Entwicklungsministerin Svenja Schulze - Mehr Seitan wagen

Der Klimawandel lässt die Grenzen zwischen Svenja Schulzes altem Job als Umweltministerin und ihrem neuen Job als Entwicklungsministerin zerfließen. Ihr Appell, weniger Fleisch zu essen, um die Getreideversorgung in Entwicklungsländern zu verbessern, stieß auf heftige Kritik. Zu sehr klang er nach Volkspädagogik. Dabei ist der Zusammenhang, den Schulze aufmacht, faktisch richtig.

Weniger Fleischkonsum, damit der globale Süden nicht hungern muss. Faktisch ist Schulzes Vorschlag richtig, politisch aber zu unkonkret / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die individuelle Konsumkritik ist intellektuell so überschaubar wie ihr Erfolg. Umso größer ist die Emotionalität der Reaktionen. Svenja Schulzes Verzichtsappell, den sie jüngst in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland äußerte, ist so ein Fall: „Es würde der Getreideversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern mittel- und langfristig sehr helfen, wenn wir in den reichen Ländern weniger tierische Produkte essen würden“, so die Sozialdemokratin. Schulze machte für ihre These folgende Rechnung auf: Wenn man in Deutschland die Schweinefleischproduktion um 30 Prozent reduzieren würde, würde eine Ackerfläche von einer Million Hektar frei. Darauf könne man wiederum fünf Millionen Tonnen Getreide anbauen. 

Der Zusammenhang, den Schulze erörterte, war faktisch richtig. Heftig waren manche Reaktionen trotzdem. Der Vorwurf: Schon wieder wolle die ökosensible Großstadtelite der ländlichen Mittelschicht vorschreiben, wie sie zu leben hat. Schulzes Herkunft gibt diesen Vorwurf nur bedingt her. 1968 in Düsseldorf geboren, wuchs sie im Münsterland auf, wo es „mehr vierbeinige als zweibeinige Schweine gibt“ – ein Werbespruch der Region, den Schulze gerne zitiert. 

Nicht zu unterschätzen

Schulze ist ein Patchwork-Kind. Ihr Vater war Kapitän zur See, ihre Mutter Sekretärin in einem Betriebsrat. Ihr Stiefvater arbeitete als Kraftwerker beim Energiekonzern RWE, während Schulze als Juso-Mitglied für die Energiewende protestierte. Aus „instinktiver Rebellion“ gegen ihre Eltern, die sehr viel Fleisch gegessen hätten, sei sie als Kind Vegetarierin geworden. Dabei ist sie geblieben. 

Nach ihrem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft arbeitete sie auch als Unternehmensberaterin. 
17 Jahre war sie sozialdemokratische Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags, sieben Jahre Ministerin in Düsseldorf. Dann folgte 2018 der Sprung in die Bundespolitik: Schulze wurde zur Bundesumweltministerin ernannt. Es ist das Jahr, in dem Greta Thunberg ihren „Schulstreik für das Klima“ startete. Der Rest ist Geschichte. „Man sollte mich nicht unterschätzen“, sagte die 1,58 Meter große Schulze letztes Jahr in einem Interview. Was sie damit meint: Als sie als Bundesumweltministerin ihren Vorschlag für ein Klimaschutzgesetz vorlegte, verspottete die Union ihn als „Öko-Planwirtschaft“ (Andreas Scheuer). Letztendlich stand das Gesetz im Bundesgesetzblatt. „Es kommt darauf an, beharrlich und seriös zu arbeiten, Verbündete zu gewinnen – und natürlich auch auf das richtige Timing“, sagt Schulze. 

Dass der Bundesrechnungshof dem Umweltministerium unter ihrer Führung 2019 vorgeworfen hat, Beraterverträge – Auftragsvolumen: 600 Millionen Euro – im großen Stil verschleiert zu haben, scheint der heutigen Entwicklungsministerin dabei nicht geschadet zu haben. 

Was konkret hat Schulze vor?

Derweil lässt der Klimawandel die Grenzen zerfließen zwischen Schulzes altem Job als Umweltministerin und ihrem neuen Job als Entwicklungsministerin. Daher auch der Appell zum Fleischverzicht. Obwohl sicher auch Schulze weiß, dass die Rechnung, die sie dabei aufgemacht hat, zwar faktisch richtig war, in einer komplizierten Welt wie der unseren aber auch eher unterkomplex daherkommt – zumal derartige Botschaften an den Verbraucher oft den Eindruck erwecken, die Regierung wolle ihre Verantwortung an den Einzelnen abgeben. 

Cicero wollte von der Entwicklungsministerin etwa wissen: Welche Hebel will sie jenseits von individuellen Appellen betätigen, um den Schweinefleischkonsum in Deutschland zugunsten der Länder im globalen Süden zu reduzieren? Als Bundesumweltministerin habe sie einige dieser Hebel bedient, etwa beim Düngerecht, sagt sie. „Als Entwicklungsministerin kann ich unsere Partnerländer im globalen Süden dabei unterstützen, krisenfeste Ernährungssysteme aufzubauen, sodass das Essen für alle Menschen reicht.“ 

Koordination zur Ernährungssicherheit

Mit den 430 Millionen Euro, die Bundeskanzler Olaf Scholz bereits zusätzlich für den Einsatz gegen drohende Hungerkrisen zugesagt hat, will sie vor allem das Welternährungsprogramm stärken. „Außerdem will ich versuchen, dass sich die unterschiedlichen Geber, internationalen Organisationen und Empfängerländer besser koordinieren. Was wir bei der globalen Impfkampagne Covax gelernt haben, kann uns auch im Einsatz für Ernährungssicherheit helfen.“ Als G7-Vorsitz habe sie dieses Jahr die Chance, hier etwas zu bewegen.

Sicher, das ist alles allgemein formuliert. Zu ihrer Verteidigung: Eine Entwicklungsministerin muss sich um die gewaltige Aufgabe nachhaltiger, globaler Strukturveränderungen kümmern – da ist es schwierig, konkret zu werden. Nein, unterschätzen sollte man die deutsche Entwicklungsministerin nicht. 

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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