Duisburg - Harte Heimat

Duisburg versucht, das Image der Krisen- und Verliererstadt abzuschütteln. Aber in manchen Vierteln wählen Migranten inzwischen die AfD, weil sie sich von der Politik alleingelassen fühlen. Reportage aus einer Kommune, die von der Zuwanderung heillos überfordert ist.

Blick vom Alsumer Berg auf das Duisburger Stahlwerk von Thyssen-Krupp / Dominik Asbach
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Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Nein, wie eine No-go-Area sieht der Erlinghagenplatz nicht aus. Am Anfang der Sackgasse im ­Duisburger Stadtteil Friemersheim stehen kleine weiße Mehrfamilienhäuser. Danach kommen Wohngebäude, wie sie in den achtziger Jahren wohl fast in jeder westdeutschen Stadt entstanden: zwei Etagen mit Dachgeschoss, roter Ziegelstein und Eisenbalkone aus dem Baukastensatz. Am Ende des Platzes stehen Garagen, die architektonisch zu den Wohnhäusern passen. Selbst die Grünflächen wirken gepflegt. 

Doch der Eindruck täuscht. Im Mai sorgte die kleine Siedlung bundesweit für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass DHL seit Februar keine Sendungen mehr in die Straße liefert. Kurz darauf gab auch der Paketdienst DPD bekannt, sich für den rigorosen Schritt entschieden zu haben. Die Postboten fühlten sich von den aus Rumänien und Bulgarien stammenden Bewohnern der Straße in Zeiten der Corona-­Pandemie bedrängt. „Sobald hier ein Fahrrad von der Post angefahren kam, wurden die umzingelt. Und das schon lange vor Corona“, sagte ein Nachbar dem WDR

Wer auf die Schlagzeilen der letzten Jahre zurückblickt, könnte nun sagen: Klar, mal wieder ­Duisburg. So etwas kann nur dort passieren. Die einst stolze, an Rhein und Ruhr gelegene Industriestadt, die noch in den fünfziger Jahren wegen Stahl, Kohle und dem größten Binnenhafen der Welt die reichste Stadt Deutschlands war, die Königin Elisabeth II. 1965 besuchte, hat heute den Ruf einer gescheiterten Kommune, eines „Failed State“ im Kleinformat. 

Negativ-Schlagzeilen

Die Schließung ganzer Stahlwerke und der damit verbundene Kampf um Arbeitsplätze führte zu heftigen Konflikten: 1987 wehrte sich die Bevölkerung des Stadtteils Rheinhausen mit Unterstützung der gesamten Stadt gegen die Stilllegung des Krupp-Werks und die Vernichtung von 6000 Arbeitsplätzen. Knapp drei Milliarden Euro Schulden haben der Stadt der Niedergang der Industrie und das gleichzeitige Wachsen der Sozialausgaben über die Jahre gebracht. Die Bevölkerung stieg bis 1975 auf 600 000, heute liegt sie deutlich unter einer halben Million. 

2005 lag die Zahl der Menschen ohne Arbeit bei fast 18 Prozent, weshalb die heutige Arbeitslosenquote zwischen 12 und 13 Prozent eher als Erfolg zu sehen ist. Schlechter sieht es in NRW nur in Gelsenkirchen aus. Dasselbe gilt für das Jahreseinkommen: Die ­Duisburger liegen mit durchschnittlich 20 000 Euro auf dem zweitletzten Platz. 

In die Schlagzeilen gerät die Stadt immer wieder mit Kriminalität und Katastrophen: mit den Mafiamorden von 2007; einem über Jahre andauernden Rockerkrieg zwischen Hells Angels und Bandidos, der das Rotlichtviertel in ­Duisburg in eine rechtsfreie Zone verwandelte; mit der Loveparade-Katastrophe von 2010, als bei einer Massenpanik 21 Menschen starben. 

Gescheiterte Integration

Als wäre der Ruf nicht schon ruiniert genug, erscheint ­Duisburg in den Medien immer wieder als Paradebeispiel gescheiterter Integration. Ausgerechnet ­Duisburg, wo ein Gymnasium, die Universität, eine Straße, eine Veranstaltungshalle und ein Bürogebäude nach dem berühmtesten Sohn der Stadt benannt sind, dem aus Flandern eingewanderten Geografen Gerhard Mercator, wurde zum Inbegriff einer misslungenen Migrationspolitik. 

Im Mittelpunkt steht dabei das Viertel Marxloh. 2017 reiste Moritz von Uslar als ein von „der sanften Spießigkeit von Berlin-Mitte Erschöpfter“ für die ZEIT nach ­Duisburg, einen Ort der „pittoresken Hässlichkeit“, um einen „Rundgang durch Deutschlands bekanntestes Problemviertel“ zu machen. 

„Diese Berichte nerven“, sagt Michael Wildberg. „­Duisburg ist zu einer Vorzeigestadt für die Übel unserer Zeit gemacht worden“, so der gebürtige ­Duisburger. Wie verfestigt das negative Klischee bei Außenstehenden ist, hat der 40-jährige Wildberg, Autor zweier populärer Bücher über den MSV ­Duisburg, persönlich erfahren. 

Ab 7 Uhr wird es gefährlich

„Als ich zu Beginn meines Studiums in Bochum in der Vorstellungsrunde gesagt habe, ich komme aus ­Duisburg, wurde ich erschrocken angesehen“, erinnert sich der studierte Sozialpädagoge. „Natürlich haben wir hier Probleme, ich habe die selbst in meinem Job gesehen. Aber die Probleme, die auf ­Duisburg projiziert werden, sind die des ganzen Ruhrgebiets“, erklärt er.

In Marxloh stieg der Ausländeranteil von 18,8 Prozent 1975 auf heute 58,3 Prozent. Der Großteil kommt aus der Türkei. Das ist auf der Weseler Straße unübersehbar: Neben türkischen Cafés, Barbieren und einem Einrichtungshaus mit dem Namen Turkish Home dominieren Brautkleider die Schaufenster. Ob mit Glitzer, Schleier, Plisseefalten, in Weiß oder Elfenbein, ob als Ballkleid oder im traditionellen osmanischen Stil. 

„Allein am Samstag hatten wir um die 100 Kunden im Geschäft“, erzählt Rabia, eine schmächtige 41-Jährige in Hose, Bluse und mit Kopftuch – ganz in Schwarz. Von ihr erfährt man alles über das Geschäft mit türkischer Brautmode an der Weseler Straße, dem größten Markt seiner Art außerhalb der Türkei. Die in Hamm geborene Frau erzählt von Kunden, die aus den Niederlanden und anderen benachbarten Staaten für ein Brautkleid nach Marxloh kommen.

Rabia kann auch viel über den Alltag in Marxloh erzählen „Ab 7 Uhr abends ist es auf der Straße gefährlich“, sagt die Mutter von drei Kindern. Dafür sind nicht nur einige arabische Clans verantwortlich, die sich im ­Duisburger Norden niedergelassen haben. „Seitdem Flüchtlinge, vor allem aber Sinti und Roma kamen, ist es hier unruhiger geworden“, sagt Rabia. „Schauen Sie in die Nebenstraßen. Da ist es dreckig“, erzählt sie. Sie hat wenig Verständnis für die Neuankömmlinge. „Wenn man in einem fremden Land lebt, muss man doch die Gesetze des Gastgebers kennen.“ Ihre Familie sei in den siebziger Jahren gekommen. „Und wir haben uns an die Regeln gehalten“, sagt Rabia, die nach Feierabend Marxloh den Rücken kehrt. Mit ihrer Familie lebt sie in Moers, einer beschaulichen Nachbarstadt auf der linken Seite des Rheins. 

Zuzug von Sinti und Roma

Was Rabia mit „dreckig“ meint, sieht man, wenn man durch die Nebenstraßen geht. „­Duisburg bleibt Ghetto 47“, hat irgendjemand auf die Plane eines Anhängers geschrieben. Am Durchgang eines Hauses zum Innenhof stapeln sich Matratzen, Fahrräder, Sperrmüll und Abfälle. Müll liegt auch im Innenhof, der mit einer Tischtennisplatte und einem Spielplatz ein kleines Kinderparadies sein könnte. In der Nähe einer Trinkhalle mit dem Namen Europa­kiosk trifft man auf Gruppen von Männern und Frauen, die sich unterhalten oder einfach nur die Straße beobachten. In den Straßen spielen Kinder, die eigentlich in der Schule sein müssten. Es ist der Beginn jener Woche, ab der in den Schulen Nordrhein-Westfalens wieder Präsenzpflicht gilt. 

Dass es sich um Sinti und Roma handelt, erkennt man zum Teil an der Kleidung: Die schwarzen T-Shirts mit goldenen Mustern fallen ins Auge. Sie gehören zu den 22 600 Einwanderern aus Südosteuropa, die aktuell in ­Duisburg leben und von denen die meisten seit 2014 kamen. Jenem Jahr, von dem an auch Rumänen und Bulgaren ohne Einschränkungen in anderen EU-Ländern wohnen dürfen. Da nur die Staatsangehörigkeit, aber nicht die Ethnie erfasst wird, lässt sich nicht sagen, wie viele von ihnen Sinti und Roma sind. Seit 2015 kamen zusätzlich zum Zuzug aus Südosteuropa 10 438 Asylsuchende in die Stadt.

Aktuell wohnen in städtischen Unterkünften 2575 Asylbewerber, wofür die klamme Stadt an die 30 Millionen Euro jährlich aufbringen muss. „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte“, hat ­Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link 2015 gesagt. Für die Aussage musste der Sozialdemokrat sich später entschuldigen. 

Auch wenn Sinti und Roma nur einen kleinen Teil der Einwanderer aus Südosteuropa ausmachen, haben sie das soziale Gefüge der Stadt aus dem Gleichgewicht gebracht. Ein Blick auf die Einwohnerzahlen von Marxloh genügt: 2013 lebten dort noch 18 000 Menschen, heute sind es fast 21 000. In dem ärmlichen Stadtteil, in dem vor einigen Jahren noch Leerstand herrschte, ist heute Wohnraum knapp.

Matratzenvermietung

Das wiederum ist zu einer Einnahmequelle für zwielichtige Vermieter und Schlepper geworden, die nicht Wohnungen, sondern Matratzenplätze vermieten – lukrative Einnahmen, die sie nicht versteuern, denn die Matratzenmiete lassen sie sich bar auszahlen. Das Ergebnis sind überfüllte Wohnungen in baufälligen Häusern, in denen die Menschen in unwürdigen Verhältnissen leben. Doch für viele Sinti und Roma ist das eine bessere Alternative als das Leben in ihrer Heimat.

Um diese Situation unter Kontrolle zu bekommen, nutzte Bürgermeister Link das 2014 in Kraft getretene Wohnungsaufsichtsgesetz und richtete eine Task Force aus mehreren Behörden ein. Seit 2015 hat diese 77 Häuser kontrolliert, von denen wegen Verstößen gegen den Brandschutz 66 komplett und zwei teilweise verschlossen wurden. Einige Häuser wurden in der Zwischenzeit saniert und wieder freigegeben. Doch so rigoros die Zwangsräumungen auch sind: Die heutige Lage zeigt, dass sich kriminelle Vermieter und Schlepperbanden davon nicht abschrecken lassen. Der Betrug der Sozialsysteme ist weiter lukrativ.

Alleingelassen

In dieser Gegend betreibt Melt seinen Kiosk. Der Kiosk spielt im Leben des jungen türkischstämmigen Mannes seit seiner Jugend eine wichtige Rolle. Vor 15 Jahren eröffnete sein Vater den Laden, nun betreibt Melt ihn. Besonders gesprächig ist er zunächst nicht. Zu Fremden, besonders zu Journalisten, scheint der junge Kioskbesitzer kein großes Vertrauen zu haben. Dann erzählt er aber doch vom Leben in der Straße. „Ich habe hier meine Polacken, Ukrainer, Bulgaren, Türken und was weiß ich noch alles“, erzählt er. „Sie alle kamen her zum Arbeiten.“ Doch was aus Melt auch herauszuhören ist, ist die Enttäuschung. 

Die Enttäuschung, von der Stadt und dem Staat alleingelassen zu werden. „Hier in der Straße müsste so viel gemacht werden. Allein schon wegen der ganzen Sachen, die hier passieren. Erst letztens wurde hier mal wieder ein Kind überfahren. Doch sie schaffen es nicht mal, eine 30er-Zone einzurichten“, schimpft Melt und verschwindet wieder in seinen Kiosk. Ein Gewerbegebiet in ­Duisburg-Bergheim. In einem verwinkelten Gebäude, direkt neben einer Laderampe für Lkw, hat die ­Duisburger AfD ihre Geschäftsstelle. Dass einer der großen Gewinner der Lokalpolitik hier sitzt, ist nirgendwo ersichtlich. Bei den Bundestagswahlen 2017 wurde die AfD mit knapp über 13 Prozent drittstärkste Kraft in ­Duisburg. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr konnte sie immerhin noch 9 Prozent holen. 

AfD im Aufwind

„Unsere Hochburg in ­Duisburg ist Marxloh“, sagen Andreas Laasch und Sascha Lensing, die ­Duisburger AfD-Direktkandidaten bei der anstehenden Bundestagswahl. Ausgerechnet die AfD, die immer wieder durch islamfeindliche Aussagen für Schlagzeilen sorgt, hat in einem überwiegend von Moslems bewohnten Stadtteil ihre Hochburg. 2017 holte die AfD hier 30 Prozent der Stimmen, fast so viele wie die SPD. „Für uns spielt Religion keine Rolle“, sagt Laasch und verweist auf die multikulturelle Wählerschaft der AfD in ­Duisburg. Ohne die Stimmen türkischstämmiger Wähler, oder wie Laasch sagt, „ehemalige Türken“, hätte die AfD in Marxloh nie ein so gutes Wahlergebnis erzielen können. 

So unglücklich sich Laasch bezüglich dieser Wähler­gruppe ausdrücken mag – warum die AfD von dieser ihre Stimmen bekam, ist den Politikern bewusst. „Unter den chaotischen Zuständen, die durch die Armutsmigration aus Südosteuropa entstand, leiden alle“, sagt Lensing, der eigentlich Kripobeamter ist. „Doch die etablierten Parteien, auch auf kommunaler Ebene, zeigen sich immer wieder überrascht, wenn so etwas wie am Erlinghagenplatz passiert, wo die Post keine Briefe mehr zustellt“, so Lensing weiter. Das führt dazu, dass auch türkischstämmige Wähler sich eine Lösung von der AfD erhoffen. „Uns hat sogar mal ein Türke angerufen. Er habe uns gewählt und frage, wann endlich was gegen ein Problemhaus in seiner Nachbarschaft gemacht werde“, so Laasch. 

Integrationsräte statt wirklicher Hilfe

Mahmut Özdemir sind diese Geschichten bestens vertraut. Marxloh gehört zu seinem Wahlkreis ­Duisburg-­Nord, wo der SPD-Politiker erstmals 2013 das Direktmandat gewann. Mit 26 Jahren zog er damals als jüngster Abgeordneter in den Bundestag ein. „Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht. Wir als SPD haben es nicht geschafft, die Einwanderer chancengerecht zu beteiligen“, erklärt Özdemir den Erfolg der AfD. Er bietet eine überraschende Erläuterung. „Stattdessen haben wir mit Ausländerbeiräten – heute vornehmer: Integrationsräten – die gesellschaftliche Teilung fortgeschrieben. Sie blieben die Ausländer, für deren Sorgen und Probleme man sich nicht interessiert hat“, sagt Özdemir. 

Klare Worte findet er gegenüber der Landes- und Bundespolitik. „Die Stadt kann ihre Probleme nicht allein lösen. Heute ist es eher so, dass durch Einflüsse von außen die Probleme von ­Duisburg verschärft werden“, erklärt Özdemir und verweist dabei nicht nur auf die Finanz- oder Wirtschaftspolitik von NRW und Bund. „­Duisburg kann nicht die Probleme der deutschen Einwanderungspolitik kompensieren“, sagt er. Neben mehr Bildungsangeboten und Sprachkursen, die die Stadt aber nicht alleine stemmen kann, brauche es weniger bürokratische Hürden und mehr Flexibilität, auch beim Thema Sicherheit. „Es muss einfacher werden, die Präsenz der Polizei in Stadtteilen wie Marx­loh zu stärken“, so der SPD-Politiker. „Die Menschen brauchen ein Sicherheitsgefühl.“ 

Potenzial 

„Diese negativen Schlagzeilen haben das Selbstvertrauen der ­Duisburger angekratzt“, sagt der Ur-­Duisburger Wildberg. Die Bürger der Stadt betonten nur noch das Negative, seien überzeugt vom Scheitern jedes Projekts. „Das führt dazu, dass manche es sogar vermeiden zu sagen, sie seien ­Duisburger“, sagt er. Im Stadtteil Homberg initiierte ein Teil des Bezirksrats 2014 eine Bürgerinitiative, die eine Abspaltung von ­Duisburg erreichen wollte. „Fragst du Leute aus dem Süden der Stadt, woher sie kommen, antworten sie: aus der Nähe von Düsseldorf“, sagt Wildberg.

Dabei können ausgerechnet die Probleme, unter denen ­Duisburg leidet, Erfolgsgeschichten hervorbringen, gerade in Marxloh: 2015 eröffnete dort der Verein Tausche Bildung für Wohnen seine Türen, eine Bildungseinrichtung, die auf einem simplen Prinzip basiert: Menschen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, bekommen eine Wohnung gestellt, im Gegenzug geben sie Kindern aus der Nachbarschaft Nachhilfe. „Heute haben wir sechs Paten und vier ehrenamtliche Helfer, die mit den Kindern arbeiten“, erzählt Christian Finzel, ein gebürtiger Marxloher und studierter Musiker, der die Einrichtung leitet. 

Die Wirkung des Projekts geht aber über die Bildungsarbeit hinaus. „Durch die Arbeit mit den Kindern bekommen wir auch Zugang zu den Eltern“, berichtet Finzel. „Sie vertrauen uns und lassen sich von uns bei Anträgen für Ämter helfen“, so der Musiker weiter. Was wiederum zu einer besseren Lebenssituation der Kinder führen kann. Die einzige Gruppe, die man nicht erreiche, sind die Sinti und Roma.

Investoren schätzen Duisburg

Mitbegründerin des Projekts ist Christine Bleks. Als Ansporn diente ihr und ihrem damaligen Mitbegründer ihre eigene Erfahrung: Bleks wurde mit 17 Jahren schwanger, brach die Schule ab, schaffte später aber als junge Mutter noch ihr Abitur und Studium. Ihr Gründungspartner, ein türkischstämmiger Marxloher, wurde selbst von der Mutter eines deutschen Freundes bis zum Abitur gefördert. Trotz aller bürokratischen und gesetzlichen Hürden entwickelte sich das Projekt zu einer Erfolgsgeschichte. 
„Seit 2015 haben wir 1000 Kinder betreut“, erzählt Bleks und erinnert sich an das schönste Kompliment: „Eine Schuldirektorin hat mir mal gesagt, dass man die von uns betreuten Kinder an dem aufrechten Gang auf dem Schulhof erkennt.“ Mittlerweile ist Tausche Bildung für Wohnen nicht mehr nur in ­Duisburg aktiv. Nachdem bereits in Gelsenkirchen ein zweiter Standort gegründet wurde, eröffnet demnächst in Witten ein dritter.

In einem Gebäude gegenüber dem Hauptbahnhof, welches noch den alten Glanz des bedeutenden Industriestandorts trägt, glaubt auch Stefan Dietzfelbinger an die Erfolgsgeschichte ­Duisburg. „Die Stadt hat Potenzial“, sagt der Geschäftsführer der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer. „Die Investoren interessiert es nicht, welchen Ruf die Stadt hat. Sie interessiert, ob es hier genügend Gewerbeflächen gibt und wie hoch die Gewerbesteuer ist“, sagt der gebürtige Karlsruher. „­Duisburg ist schon heute ein bedeutender Logistikstandort. Hier endet die neue Seidenstraße.“ ­Duisburg genieße in China einen guten Ruf: Schon 1982 ging man eine Städtepartnerschaft mit der heute weltbekannten Millionenstadt Wuhan ein. „Das war die erste Partnerschaft einer deutschen Stadt mit einer aus China“, sagt Dietzfelbinger.

Gentrifizierung startet

Eine weitere große Chance für ­Duisburg sieht der IHK-Chef in der Nähe zu der wirtschaftlich florierenden Rheinregion. „Da in Düsseldorf die Mieten steigen, kann ­Duisburg eine interessante Alternative zu Düsseldorf als Wohn- und Arbeitsort werden“, erklärt er. Und tatsächlich haben die ersten Investoren das Potenzial erkannt. Torsten ­Toeller, der in ­Duisburg ansässige Gründer der Tierfutterkette Fressnapf, errichtete mit dem „Mercator One“ unweit der IHK ein modernes Bürogebäude.

In ­Duisburg-Laar macht sich jeden Tag Jürgen Steger auf den Weg ins benachbarte Viertel Ruhrort, um von einer Parkbank aus die Schiffe auf dem Rhein zu beobachten. Wenn der 63-Jährige, bei dem man seine Kehlkopf­operation heraushören kann, da so auf der Parkbank sitzt, mit dem Rücken zum „Echo des Poseidon“, einer Skulptur des bekannten Künstlers Markus Lüpertz, zeigt sich, dass ­Duisburg für die Menschen hier auch mehr sein kann als nur eine Krisenstadt. „Ich hätte wegziehen können. Aber ich lebe gerne hier. Hier ist meine Heimat. Und hier am Rhein finde ich meine Ruhe.“

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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