Geschlechter-gerechte Sprache im Duden - „Uns fehlen Pronomen für die dritten, vierten und fünften Geschlechter“

Weil der Duden jetzt auch online die weibliche Form von Berufsgruppen auflistet, werden die Mitarbeiterinnen attackiert. Die einen werfen ihnen vor, sie würden die Regeln eigenmächtig ändern. Anderen geht die Reform nicht weit genug. Wie kommt der Duden da wieder raus?

Weil der Duden die weibliche Form von Berufen aufnimmt, wird die Leiterin der Redaktion im Internet attackiert / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Kathrin Kunkel-Razum ist promovierte Germanistin. Seit 2016 ist sie Leiterin der Duden-Redaktion, die für das gedruckte Wörterbuch und die Online-Fassung verantwortlich ist. 

Frau Kunkel-Razum, der Duden-Verlag fügt jetzt jeder männlichen Form eine weibliche Form hinzu. Kritiker werfen Ihnen vor, Sie wollten das generische Maskulinum durch die Hintertür abschaffen. 

Das stimmt nicht, und wir müssen an dieser Stelle auch genau sortieren. Wir sprechen nicht über den gedruckten Duden, sondern über Duden Online, das Portal wird ständig überarbeitet. Was wir jetzt gemacht haben: Wir arbeiten die Einträge zu den femininen Personen und Berufsbezeichnungen, die es ja schon immer gab, zu Vollartikeln aus.

Aber gibt es diese Vollartikel nicht schon im gedruckten Duden? 

Nein, wir nehmen dort nur die feminine Form schon seit über 20 Jahren systematisch mit zu maskulinen Personen- und Berufsbezeichnungen mit auf. Also, neben dem Papst haben wir schon längst die Päpstin aufgenommen oder die Influencerin als Pendant zum Influencer. Aber im Rechtschreib-Duden gibt es nur selten Bedeutungserklärungen, es ist ja ein Rechtschreibwörterbuch. Anders sah das im Universalwörterbuch aus, dem umfassendsten, gedruckten Bedeutungswörterbuch. Dort waren diese femininen Artikel bislang nur Verweisartikel. Bei „Ärztin“ stand nur „weibliche Form von Arzt“. Es gab keine eigenen Definitionen und Beispiel. Darüber haben sich Leser beschwert. 

Vermutlich Frauen, oder?

Auch, aber das Problem war in erster Linie technischer Natur. Man musste online erst immer auf Influencer klicken, um eine Definition zu erhalten. Inhaltlich war das aber auch ein Problem. Es entstand der Eindruck, Influencerinnen seien nicht gleichwertig ...   

... sondern nur ein weibliches Anhängsel?

Genau. Im gedruckten Wörterbuch brauchten wir keine eigene Definition. Influencer und Influencerin stehen ja dicht beieinander auf einer Seite. Online ist das anders. Da steht jeder Begriff auf einer eigenen Seite. Das war der Knackpunkt.

Ich habe das mal stichprobenartig kontrolliert und mit Schrecken bemerkt: Es gibt kein weibliches Pendant zu Doofmann.

(lacht). Gut, die Form hieße dann wahrscheinlich Dooffrau.

Nicht Doofmännin?

Nein, wobei den Begriff der Männin gab es tatsächlich mal, zum Beispiel in Deutschland und Österreich – genauer: den der Amtsmännin. Aber bei der Dooffrau wäre das Muster dasselbe wie bei Kauffrau/Kaufmann. Auch gegen die Einführung der Kauffrau gab es starke Widerstände.

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Im Ernst?

Ja, vor 40 Jahren war das fast so ein Aufreger wie die Abschaffung des „Fräuleins“.

Mit der weiblichen Form schließen Sie immer noch Leute aus, die weder männlich noch weiblich sind. Drohen da neue Beschwerden?

Klar, das wird kritisiert, und dieses Problem sehen wir auch. Bislang reden wir nur über Männer oder Frauen, nicht über weitere Geschlechter.

Warum lassen Sie es dann nicht beim generischen Maskulinum? Da wären ja alle Geschlechter mit drin.

Das wäre zu kurz gesprungen, denn das generische Maskulinum ist eben nicht generisch. Quantitativ fallen diese dritten, vierten oder fünften Geschlechter ja nicht so ins Gewicht wie die Frauen, deshalb gibt es weniger sprachliche Muster. Wir befinden uns hier in einer Experimentalphase, was die Bezeichnung oder die Ansprache der neuen Geschlechter betrifft. Uns fehlen beispielsweise die Pronomen.

In einem Interview mit dem NDR haben Sie gesagt, Sie und Ihre Kollegen seien für die Reform regelrecht attackiert worden.

Ja, es gab massenhaft Beschwerden in Form von E-Mails und Briefen und Posts in den sozialen Netzwerken. Wir werden als „Sprachpolizei“ bezeichnet, als „links-grün versifft“. Diese Kritik ist noch relativ abstrakt. Es gibt auch Beleidigungen, die sehr persönlich werden. Als der gedruckte Duden im Sommer 2020 mit einem Bild der drei leitenden Mitarbeiterinnen der Redaktion erschien, wurden wir als „Kampflesben“ bezeichnet.   

Aber wenn Sie jetzt online nur das machen, was im gedruckten Duden schon längst üblich ist, woher rührt dann die Aufregung?

Das würde ich auch gerne verstehen. Ich bin schon lange in der Duden-Redaktion. Ich habe auch die Aufregung um die Rechtschreibreform miterlebt. Ich erkläre mir das so: Sprache ist Teil der Identität jedes Menschen. Sobald auch nur der Anschein entsteht, irgendjemand wolle einem da Vorschriften machen – was der Duden überhaupt nicht macht – wird die Debatte extrem emotional. Und wenn noch die Frage der Geschlechtsidentität dazu kommt, wird es explosiv.

Weil es dann gar nicht mehr um die Sprache geht, sondern um Macht?

Ja, selbstverständlich.

Auch der Rat für Rechtschreibung hat den Abschied vom generischen Maskulinum kritisiert – und zwar nicht aus orthografischen, sondern aus sprachpolitischen Gründen. Es heißt, wenn man sagt, man gehe zum Bäcker, meine man nicht den männlichen Bäcker, sondern die Institution. Warum bestehen Sie auf einer weiblichen Form?

Dieses Thema ist ein Thema, das nicht vom Rat für Rechtschreibung zu verhandeln ist, denn es hat überhaupt nichts mit Rechtschreibung zu tun.

Aber wer ist dann dafür zuständig?

Letztlich ist es auch keine politische Frage. Man sollte die Macher und Macherinnen der Wörterbücher befragen.   

Der Rat für Rechtschreibung reklamiert dieses Recht aber für sich. Er sagt, Regeln zum Gendern zu erlassen, sei nicht Aufgabe des Dudens.      

Aber das haben wir ja gar nicht getan. Wir würden eine Rechtschreibregel erlassen, wenn wir sagen würden, wir schließen alle Geschlechter mit einem Gendersternchen ein. Das wäre tatsächlich eine Anmaßung. Das machen wir aber nicht. Unsere Aufgabe ist es, die Sprachentwicklung zu beobachten und Wörterbücher zu schreiben. Der Online-Duden ist ein Bedeutungswörterbuch. Für die Festschreibung von Bedeutungen gibt es kein Gremium, das so etwas entscheiden kann. Wir prüfen, wie oft und in welchem Kontext Wörter benutzt werden. Es hat sich eben immer mehr verbreitet, dass nicht mehr nur von „Kollegen“ die Rede ist, sondern von „Kollegen und Kolleginnen“. Wir stützen uns da auf konkrete Sprachdaten. Wir saugen uns da nichts aus den Fingern.   

Der Rat für Rechtschreibung kritisiert, was der Duden jetzt festlege, entspreche nicht der Sprachwirklichkeit.

Das schätzen wir anders ein. Es ist nicht die Aufgabe des Rates, zu entscheiden, was die Sprachwirklichkeit ist. Er schaut sich die Schreibwirklichkeit an. 

Aber haben Sie schon mal gehört, dass jemand einen weiblichen Gast mit „Gästin“ angesprochen hat?

(lacht) Ich benutze dieses Wort gerne in Vorträgen, allerdings nur augenzwinkernd. Das ist eine Falsch-Information gewesen, die die Geschäftsführerin des Rates für Rechtschreibung im Cicero-Interview verbreitet hat. Weder die „Gästin“ noch die „Bösewichtin“ sind neue Wörter im Duden. Die „Gästin“ ist seit 2009 in der Printfassung und die Bösewichtin seit 2006. Beide Begriffe stehen auch schon seit 2011 in Duden Online.

Aber wer benutzt solche Wörter?

In unserer Datensammlung gibt es 76 Belege für Gästin und 51 Belege für die Bösewichtin. Interessanterweise stammen die überwiegend aus Filmkritiken. Es lohnt sich also, genauer hinzugucken. Beide Begriffe stehen übrigens auch schon im Grimm`schen Wörterbuch.

Auch der Verein Deutsche Sprache hat die neue Duden-Ausgabe kritisiert. Ihr Vorsitzender Walter Krämer wirft Ihnen vor, sie trage nicht zur Geschlechtergerechtigkeit bei und grenze alle aus, die Deutsch ihrem Sprachgefühl entsprechend sprechen und schreiben wollen.

Dass das generische Maskulinum Frauen ausgrenzt, weil meistens doch Männer gemeint sind, ist inzwischen hinreichend bewiesen. Die Attacken des Vereins Deutsche Sprache gegen den Duden sind bekannt. Früher ging es gegen Anglizismen, heute gegen das Gendern.

Aber machen Sie es sich nicht ein bisschen leicht, wenn Sie sagen, das Thema werde vom Patriarchat instrumentalisiert? Auch Frauen sehen es kritisch. Und wenn ich an das Porträt der taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah denke, das Ende Januar im SZ-Magazin erschienen ist, muss ich mich selbst auch dazu zählen – so unleserlich war der Text durch die Zuschreibungen für das dritte Geschlecht.

Diese Sternchen-Exzesse gehen gar nicht. Es kommt bei der Textgestaltung darauf an, an die Rezipientinnen und Rezipienten zu denken. Das raten wir auch unseren Kunden. Wenn ein Krankenhaus in seiner Image-Broschüre nicht nur von „unseren Patienten“ schreibt, sondern von „unseren Patienten und Patientinnen“, kann das gut lesbar werden. Und Sie holen die Leute wirklich ab. Die fühlen sich dann alle angesprochen. Wenn wirklich alle einbezogen werden sollen, kann man schreiben: „Alle Menschen, die bei uns behandelt werden.“

Trotzdem rufen bei der Rechtschreib-Hotline des Dudens täglich Menschen an, die nicht wissen, wie sie richtig gendern – mit Gender-Sternchen oder Binnen-I. Was raten Sie denen?

Dasselbe, was wir schon in den drei Ratgebern zum Thema Gendern geschrieben haben: Es gibt dazu keine amtliche Regel. Aber wenn man sich für ein Zeichen entscheidet, dann bitte für eins. Wir stellen fest, dass das Sternchen noch das am häufigsten verwendete Zeichen ist. Aber der jüngere Doppelpunkt ist auf dem Vormarsch.

Warum hat der Rat für Rechtschreibung das eigentlich noch nicht längst verbindlich geregelt?

Das ist schwierig, weil der Rat kein deutsches Gremium ist, sondern ein internationales. Er vertritt auch Österreich, die Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein, Südtirol und die deutschsprachige Gemeinde Belgiens. Die Bedürfnisse in diesen Ländern sind verschieden.

Lassen Sie mich raten: Während Berlin aufs Tempo drückt, weinen die Schweizer noch ihrer Amtsmännin nach?

Nein, die Schweiz ist uns sogar einen großen Schritt voraus. Dort gibt es schon seit über 20 Jahren einen Leitfaden zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Gerade las ich dazu den Leserbrief einer Frau aus der Schweiz in der Zeit. Sie verstehe die Aufregung in Deutschland gar nicht. In ihrem Land werde seither sehr selbstverständlich gegendert.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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