Die Linke und der Streit um Sahra Wagenknecht - Die Angst vor dem Schwarzen Peter

Um eine Spaltung der Partei vor der Wahl zum Europa-Parlament zu vermeiden, hat die Linke die Abwahl ihrer Vorsitzenden Sahra Wagenknecht vorerst verschoben. Doch der mühselig ausgehandelte Kompromiss vermag den Riss in der Partei kaum zu kitten

Übermächtige Vorsitzende: Die Linke kann nicht mit Sahra Wagenknecht – aber auch nicht ohne sie /picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Der von vielen erwartete und von manchen erhoffte große Knall ist vorerst ausgeblieben. Am Wochenende trafen sich die Bundestagsfraktion und der Parteivorstand der Linken zu einer mit Spannung erwarteten Klausurtagung in Berlin. Kurz vor Beginn der Tagung präsentierten die Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sowie die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ein gemeinsames Papier zur Migrationspolitik, das von dem Bemühen geprägt ist, die drohende Spaltung der Partei zu verhindern. 

Ob dies gelingt, ist allerdings fraglich. Denn das Papier lässt den Kontrahenten sehr viel Interpretationsspielräume. So wird die Frage der Regulierung von Arbeitsmigration – einer der Hauptstreitpunkte – unter Hinweis auf „intensive Diskussionen innerhalb unserer Partei“ offen gelassen. Die von Teilen der Partei vertretene Forderung nach „offenen Grenzen und Bleiberecht für Alle“ taucht in dem Papier nicht auf, ließe sich aber aus dem gemeinsamen Bekenntnis der Unterzeichner zum Bundestagswahlprogramm und zu dem Grundsatzbeschluss des letzten Parteitags im Juni in Leipzig herauslesen. Andererseits kann das uneingeschränkte Bekenntnis zum Asylrecht für politisch Verfolgte und zur Genfer Flüchtlingskonvention auch als Abkehr von dieser Position gewertet werden, da beide Rechtskomplexe aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei fehlendem Schutzanspruch vorsehen.

Der Preis für den Burgfrieden

Wie aus Teilnehmerkreisen zu erfahren war, wurde das „Kompromisspapier“ von der großen Mehrheit der teilnehmenden Vorstands- und Fraktionsmitglieder unterstützt. Nur einige Vertreter der  „fundamentalistischen No-Border-Fraktion“ hätten dies als Zurückweichen gegenüber Wagenknecht interpretiert und sich entsprechend unzufrieden geäußert. Kipping habe einige Mühe gehabt, diesen Flügel auf die Kompromisslinie einzuschwören.

Die bereits weit gediehenen Pläne, Wagenknecht bei der Fraktionsklausur am 10. Januar als Vorsitzende abzuwählen, sind nach Einschätzung von Teilnehmern vorerst auf Eis gelegt worden. Dafür gebe es in der Fraktion derzeit keine Mehrheit mehr, so ein Insider. Der „Kipping-Flügel“ könne es sich angesichts des Unmuts an der Parteibasis über den permanenten Streit nicht leisten, den Schwarzen Peter für den Bruch des mühsam ausgehandelten Burgfriedens und eine dann wahrscheinliche Spaltung der Partei zugeschoben zu bekommen. Auch sitze der Parteiführung die Angst im Nacken, dass es in diesem Fall bereits bei den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 eine konkurrierende linke Liste geben könnte – im Bündnis mit starken europäischen Linksparteien aus Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal  und Dänemark.Eine derartige Liste würde sich deutlich EU-skeptischer als die Linke positionieren, was der Auffassung vieler Anhänger entgegenkommen würde. 

„Aufstehen“ lernt laufen

Doch auch Wagenknecht wird alles vermeiden, um als mögliche Schuldige für eine Spaltung dazustehen. Ein Abrücken von ihren Positionen bedeutet dies hingegen keineswegs. Noch am Vorabend der Klausur erklärte sie in einem Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR): „In einer Welt, wo es derart unterschiedliche soziale Bedingungen gibt, da ist der Hebel, diese Ungleichheit zu verändern und nicht die Grenzen zu öffnen und zu sagen: Alle, die möchten, können nach Deutschland kommen.“ Einen freiwilligen Rücktritt von der Fraktionsspitze schloss sie ebenfalls kategorisch aus: „Ich weiß zwar, dass es einige gibt, die nicht mehr möchten, dass ich Fraktionschefin bin. Aber die sollten dann den Mut haben, entsprechende Anträge in der Fraktion zu stellen." Dabei beruft sie sich auf die Basis der Partei: „Wenn ich das Gefühl habe, dass die Mehrheit in der Partei möchte, dass ich gehe, würde ich selbstverständlich gehen.“ Die Basis habe sie aber massiv aufgefordert, zu bleiben.

Wagenknecht lässt ferner keinen Zweifel daran, dass sie sich auch künftig für die maßgeblich von ihr Initiierte Sammlungsbewegung „Aufstehen" engagieren wird. Diese hat mittlerweile über 175.000 registrierte Unterstützer, es gibt inzwischen über 100 Regional-, Orts- und Stadtteilgruppen in allen Bundesländer. Auf der Internetplattform der Bewegung hat eine Art Programmdebatte begonnen, im kommenden Jahr soll ein Kongress die Ergebnisse bündeln und auch über die Strukturen beraten. Auch das liegt vielen innerparteilichen Kritikern von Wagenknecht schwer im Magen, spielte auf der Klausurtagung aber nur eine untergeordnete Rolle.

Eine wirklich tragfähige Lösung des fundamentalen Streits in der Linken ist jedenfalls nicht absehbar. Zumal es immer wieder zu Ereignissen kommen kann, die ihn erneut eskalieren lassen können, Dies war zuletzt bei den Auseinandersetzungen um die große  #unteilbar-Demonstration in Berlin und wenig später über den UN-Migrationspakt deutlich geworden. In beiden Fragen vertrat Wagenknecht eine von der Fraktionsmehrheit und dem Parteivorstand abweichende Position. Fortsetzung folgt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.

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