Die Jagd nach einem Impftermin - Lange Leitung

Impfungen sind die große Hoffnung im Kampf gegen das Corona-Virus. Aber wer einen Termin haben will, sollte sich auf eine wahre Odyssee einstellen. Wir dokumentieren den Erfahrungsbericht eines Betroffenen.

Warteschlange vor einem Impfzentrum in Hessen / picture alliance
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Autoreninfo

Michael Rogowski, Jahrgang 1939, ist Wirtschaftsingenieur und ehemaliger deutscher Manager. Er war von 2001 bis 2004 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

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Ich bin Baden-Württemberger. Genauer gesagt ein Schwabe aus jenem Bundesland, das hinsichtlich der Versorgung mit Impfstoffen ganz unten im Länderranking gesucht werden muss. Meine Impfgeschichte ist blamabel, zum Teil sicherlich auch für mich selbst. Insbesondere aber für die Bundesregierung sowie für das zuständige Gesundheitsministerium meines Bundeslandes.

Die Geschichte geht so: Als ich vor Wochen las, es gebe Impfzentren (und ich bin wegen meines Alters von Anfang 80 ein Kandidat für die ersten Stunden), habe ich sofort zum Telefonhörer gegriffen, die ominöse Nummer 116117 gewählt – aber keine Verbindung bekommen und es deshalb wieder und wieder versucht. Das dauerte so um die zwei Stunden. Dann plötzlich kam ich durch, so dachte ich zumindest. Doch außer leiser Hintergrundmusik tat sich nichts, nichts und nochmal nichts. Ich dachte: „Du blödes Telefon, du wirst mich nicht los“ – und legte den Hörer einfach neben mich.

Das dauerte ungefähr eine weitere halbe Stunde und dann, siehe da, eine freundliche Person am anderen Ende der Leitung:

„Guten Tag!“

„Guten Tag! Ich hätte gern einen Impftermin.“ 

„Ihre Postleitzahl, bitte!“

Kaum ausgesprochen, nannte der Herr mir einen Termin und wo ich mich einfinden möge. Ich verstand „Rott am Inn“ und sagte: „Um Gottes Willen, da fahre ich ja fast drei Stunden! Ich hätte lieber einen Termin vor Ort. Bei uns gibt es ein Impfzentrum!“

„Ein Impfzentrum bei Ihnen? Lassen Sie mich nachsehen ... Bei Ihnen gibt es kein Impfzentrum.“ 

„Doch, nach meinen Informationen aus bester Quelle gibt es das.“

„Es tut mir leid, vielleicht soll es auch bei Ihnen mal eines geben, derzeit aber gibt es keines. Wollen Sie nun einen Termin?“

Ich bedankte mich freundlich und lehnte dummerweise das Angebot ab, weil mir nicht klar war, dass der Telefonist nicht Rott am Inn, sondern Rot am See in Hohenlohe gemeint hatte – was übrigens auch weit mehr als eine Autostunde von da entfernt ist, wo ich wohne. Schnell wurde deutlich, dass ich einen großen Fehler begangen hatte. Weil sich nämlich herausstellte, dass das Impfzentrum bei mir vor Ort zwar als Gebäude existierte, aber noch nicht eingerichtet war. Auch blieb es ein Geheimnis, wann es denn seinen Dienst aufnehmen würde.

Online ist Longline

Also ging alles von vorne los – dieses Mal online. Doch online erwies sich als „Longline“: Ich nudelte und nudelte und bekam keine Termine. Dann plötzlich, eines schönen Tages nach ungezählten Versuchen, hatte ich anscheinend doch einen Termin. Halleluja! Leider war der am nächsten Tag aber schon wieder gelöscht (und ich zunehmend angesäuert).

Irgendwann entnahm ich dann einer Meldung in der örtlichen Tageszeitung, dass es demnächst losgehen würde mit dem Impfzentrum bei uns vor Ort. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich ebenfalls, dass es schon viel früher hätte losgehen können. Alles stand bereit, nur der Impfstoff fehlte. Kann ja mal vorkommen.

So nahm ich die Jagd nach einem Impftermin wieder auf. Ich kannte inzwischen sogar den Tag, an dem die Leitung zum hiesigen Impfzentrum freigeschaltet werden sollte. Und stellte den Wecker auf kurz vor sieben Uhr, um ganz früh einer der Ersten am Telefon zu sein. Das wäre übrigens nicht nötig gewesen, weil ich ohnehin schon um fünf Uhr hellwach war. Punkt sieben wählte ich dann wieder die berüchtigte Nummer 116117. Eine automatische Ansage ließ verlauten, dass ich außerhalb der Dienstzeit anrufe; die beginne erst um acht. Klar, Beamte brauchen auch Ihre Nachtruhe, Pandemie hin oder her.

Hurra, ein Termin!

Also eilte ich an meinen Computer, um dem Telefondienst zuvorzukommen – musste aber feststellen, dass es das Impfzentrum vor Ort zwar tatsächlich gibt, es aber online noch immer nicht erreichbar war. Plötzlich, Punkt acht Uhr, erschienen eine ganze Reihe neuer Impfzentren auf dem Bildschirm, auch das in meinem Heimatort. Und siehe da, die Terminsuche war endlich so gestaltet, dass man nicht die Geduld verlor, bevor ein Ergebnis erzielt war. Hurra, endlich war ein Termin vereinbart! Zwar viele Wochen später als ich hoffte, aber immerhin.

Noch ein Wort zum leidigen Thema der Verfügbarkeit (oder besser gesagt: Nichtverfügbarkeit) von Impfstoffen. Was auch immer die politisch Verantwortlichen dieser Tage an Erklärungsversuchen in die Welt setzen, so lautet mein bescheidenes, wiewohl von einer gewissen Lebens- und Berufserfahrung unterfüttertes Fazit: Die rechtzeitige Bestellung wurde versemmelt, oder wie es in meiner Heimat auch heißt „verdackelt“. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass wir erstens in der Bundesrepublik noch erheblichen Nachholbedarf haben in Sachen Digitalisierung. Und zweitens, dass die Menschen hierzulande – insbesondere die Älteren, aber auch solche mit Handicaps – einen besseren Service verdient haben.

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