DGB-Chef Hoffmann im Interview - „Der Mindestlohn ist ein guter Kompromiss“

Für Reiner Hoffmann hat die Bundesregierung mit dem Corona-Konjunkturpaket Beachtliches geleistet. Doch manche Maßnahmen gehen ihm nicht weit genug. Im „Cicero“-Interview spricht der DGB-Chef über sein Verhältnis zur SPD, Rassismusvorwürfe gegen die Polizei und den Mindestlohn.

DGB-Chef Hoffmann: „Wir machen keinen Wahlkampf für eine Partei“
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Herr Hoffmann, wenn Ihre Pressesprecherin zu Ihnen kommt und sagt: Da ist wieder mal einer, der mit Ihnen über die SPD und die Gewerkschaften sprechen möchte, rollen Sie dann innerlich mit den Augen, oder sagen Sie: Na ja, gut, vielleicht nicht besonders originell, aber immer wieder wichtig und relevant?
Immer wieder gut. 

Dann mal los. Es gab eine Zeit, in der ein SPD-Bundeskanzler den Gewerkschaften ein „Basta!“ entgegenschleuderte, als er seine Agenda-Politik und die Hartz-Reformen durchbringen wollte und es Widerstand gab seitens der Gewerkschaft. Dann gab es Andrea Nahles, die Herrn Schröder daraufhin zur Abrissbirne der SPD erklärt hat, nicht zuletzt wegen der Agenda-Konflikte mit den Gewerkschaften. Und dann hat die SPD die Abrissbirne wiederum an die Agenda gelegt. Muss doch jetzt eigentlich wieder alles in Ordnung sein?
Ich verlängere die historische Linie mal bis ins Jahr 1906, zum Mannheimer Parteitag der Genossen. Da gab es eine heftige Auseinandersetzung über den Generalstreik und es wurde ein für alle Mal die Unabhängigkeit der Gewerkschaften von der SPD geklärt und klargestellt, dass die Gewerkschaften nicht der Transmissionsriemen der Partei sind. In der Tat hat es immer auch Spannungen zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften gegeben – was dann besonderes Interesse weckt, weil historisch natürlich Gewerkschaften und Sozialdemokratie gemeinsame Wurzeln haben.
 
Klingt ein bisschen wie Kirche und Staat seit der Aufklärung und der Säkularisierung.
Kein schlechter Vergleich. Der Verweis auf 1906 ist deshalb wichtig, weil nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Zersplitterung der Gewerkschaften in der Weimarer Republik der Deutsche Gewerkschaftsbund als Einheitsgewerkschaft gegründet wurde. Das bedeutet, dass wir parteipolitisch unabhängig, aber politisch nicht neutral sind.
 
Also, unter den Regierungsparteien ist Ihnen die SPD schon die nächste. Warum zanken Sie sich dann aktuell wieder so?
Die aktuellen Auseinandersetzungen würde ich nicht dramatisieren. Es gibt immer in einzelnen Themenbereichen unterschiedliche Auffassungen. Entscheidend ist, dass sich das Verhältnis in den letzten Jahren deutlich entspannt hat.
 
Gehen wir die aktuellen Baustellen durch. Sie wollten im Zuge der Corona-Konjunkturmaßnahmen die Autoprämie für E-Autos, die hat die SPD in der Regierung nicht geliefert. 
In der Frage der Mobilität haben wir teilweise eine andere Auffassung. Wir hätten uns gewünscht, dass eine Mobilitätsprämie kommt mit einer lenkenden Wirkung hin zum E-Auto und zu emissionsarmen Fahrzeugen. Stattdessen kam auf Drängen der CSU die Mehrwertsteuersenkung, die auch Verbrenner mit einem hohen Verbrauch indirekt unterstützt.
 
Es war ja nicht nur die CSU, die anderer Meinung war. Der SPD-Chef Walter-Borjans hat die Prämie für falsch gehalten, weil, so wörtlich, die Steuerzahler dann die Boni für die Bosse und die Dividenden für die Aktionäre finanzieren.
Das ist nachvollziehbar. Die Automobilindustrie hat in den letzten Jahren dermaßen an Kredit in der Öffentlichkeit verspielt, sie verfügt über eine hohe Eigenkapitaldecke und hat den Weg in die Elektromobilität viel zu spät eingeschlagen. Wir brauchen eine Mobilitätswende, und die ist ja durchaus auch im Konjunkturpaket angelegt. So wird beispielsweise der stark von Corona betroffene Öffentliche Nahverkehr mit 2,5 Milliarden Euro unterstützt. Auch die Förderung der Wasserstofftechnologie ist sinnvoll. Daher unsere Gesamtbewertung des zweiten Konjunkturpaketes: Es ist beachtlich und vieles geht in die richtige Richtung. Bei allen Anstrengungen, die unternommen werden, muss auch die Sicherung von Beschäftigung im Fokus stehen. 
 
Nächste Baustelle: Die Polizei. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat latenten Rassismus in der deutschen Polizei ausgemacht. Wie sehen Sie diese Einlassung? 
Die beiden Themen muss man voneinander trennen.
 
Gemeinsam haben sie aber, dass jeweils beide von den Einzelgewerkschaften IG Metall und der Gewerkschaft der Polizei nicht gerade begeistert aufgenommen wurden. 
Das ist im Falle der Kolleginnen und Kollegen der GdP auch völlig nachvollziehbar. Ihnen latenten Rassismus zu unterstellen, ist völlig unangemessen und gibt die Realität nicht wieder. Polizisten, aber auch Feuerwehr und Rettungssanitäter sind in den letzten Jahren zunehmend mit Aggressivität, Gewalt und Respektlosigkeit konfrontiert gewesen. Das ist völlig inakzeptabel und muss einen nachdenklich machen. Daher war die Aussage alles andere als glücklich. 
 
Drittes aktuelles Thema: Kurzarbeitergeld. Auch da hätten Sie sich mehr von der SPD versprochen?
Ich kann mich da über mangelndes Engagement der SPD nicht beschweren. Der Widerstand kam aus dem Wirtschaftsflügel der Union. Ohne die SPD-Bundestagsfraktion hätte es die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes nach vier Monaten auf 70/77 beziehungsweise nach sieben Monaten auf 80/87 Prozent nicht gegeben. Das ist gut so – auch wenn eine Aufstockung bereits ab dem ersten Monat richtig gewesen wäre. 
 
In welchem Land der Welt wird das großzügiger gehandhabt?
In Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden zum Beispiel. Es kann nicht sein, dass Menschen, die jetzt in dieser schwierigen Zeit in Kurzarbeit fallen, mit 40 Prozent Verlust ihres Einkommens auskommen müssen. Für viele wird das existenziell.
 
Sie wären also eher dafür, die Lufthansa abschmieren zu lassen und dafür das Kurzarbeitergeld hochzuschrauben?
Nein, ich möchte auf die enorme Schieflage hinweisen. Und es gibt einen signifikanten Unterschied: Das Kurzarbeitergeld ist im Unterschied zu den Milliardenhilfen für die Wirtschaft nicht steuerfinanziert, sondern finanziert sich aus den Beitragsleistungen an die Bundesagentur für Arbeit, die sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer erbracht haben.
 
Blicken wir ein bisschen voraus, auf den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021. Werden sich die Gewerkschaften da positionieren zugunsten der SPD?
Wir machen keinen Wahlkampf für eine Partei. Wir haben Anforderungen an die Parteien zur Bundestagswahl, und da spielen zwei Themen für mich eine ganz herausragende Rolle. Zum einen die Sicherheit für die Menschen auf dem anspruchsvollen Transformationsprozess der Digitalisierung und zum anderen der Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft. Beides geht mit erheblichen Herausforderungen für die Beschäftigten einher. In diesem doppelten Wandel muss den Menschen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sicherheit gegeben werden.
 
Wie?
Das wird am besten gelingen, wenn wir die Systeme der sozialen Sicherung stabilisieren. Das beginnt beim Rentenniveau, geht weiter über die Arbeitslosenversicherung bis hin zur Kranken- und Pflegeversicherung. Bei der Rente haben wir immerhin auf Druck der Gewerkschaften eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent erreicht. Das war ein erster Schritt – der aber nicht ausreicht, um die Altersvorsorge dauerhaft armutsfest zu machen. Die aktuelle Krise zeigt, wie wichtig eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ist und dass wir das Thema Bildung und Weiterbildung verstärkt in der Bundesagentur für Arbeit verankern müssen. Die Kranken- und Pflegeversicherung müssen wir zu einer Bürgerversicherung ausbauen, damit unter anderem auch Solo-Selbstständige abgesichert sind.
 
Wie beurteilen Sie den neuen Satz von 10,45 Euro bis 2022?
Die Mindestlohnkommission hat – trotz schwieriger Verhandlungen – einen klugen Kompromiss gefunden. Mit der schrittweisen Erhöhung auf 10,45 Euro haben die Beschäftigten in den nächsten zwei Jahren knapp zwei Milliarden Euro mehr in der Tasche. Das fließt direkt in die Nachfrage und stabilisiert die Wirtschaft in nicht einfachen Zeiten.

Nach all den inhaltlichen Fragen in die Abteilung Menschliches. Wie ist Ihr Verhältnis zur neuen SPD-Spitze?
Genauso wie zu anderen Parteivorsitzenden. Norbert Walter-Borjans kenne ich allerdings seit vielen Jahren, weil wir beide aus Nordrhein-Westfalen kommen. Demzufolge gibt es da einen guten Draht seit vielen Jahren. 
 
Wen wünschen Sie sich bei Union und SPD als Kanzlerkandidaten?
Ich habe da durchaus persönliche Präferenzen. Es ist aber unangemessen, in meiner Funktion als DGB-Vorsitzender Empfehlungen abzugeben.

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