Der Fall Billy Six - Opfer einer PR-Kampagne der AfD?

Nach 119 Tagen Haft in Venezuela ist der Journalist Billy Six nach Deutschland zurückgekehrt. Seine Eltern wollen die Bundesregierung verklagen. Doch was ist, wenn die Klage auf sie selbst zurückfällt? Ein Hausbesuch bei der Familie

Billy Six: „Peter Scholl-Latour hatte auch keine journalistische Ausbildung“ / Antje Hildebrandt
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Er trägt ein kurzärmeliges Hemd. Draußen sind es gerade mal zehn Grad, aber Billy Six, 32, sagt, er friere nicht. Neuenhagen, ein Dorf im Speckgürtel von Berlin. Six steht vor dem S-Bahnhof, um die Reporterin abzuholen. Ein schmaler Mann mit freundlichem Gesicht und einem Händedruck so fest wie ein Schraubstock. Er sagt, er habe zwei Jahre lang in Venezuela gelebt. Vielleicht ist er gedanklich immer noch dort. Six, das ist der Reporter, der 119 Tage lang im Gefängnis El Helicoide eingesessen hat. Er war wegen Spionage, Rebellion und Verletzung von Sicherheitszonen angeklagt, so hieß es im venezolanische Militärgericht. „Es ging klar darum, einen Journalisten wegen seiner journalistischen Arbeit zu drangsalieren“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. 

Aber ist Billy Six wirklich ein Journalist? Diese Frage ist der Schlüssel zu einer Geschichte, die ein bisschen was über die Staatskrise in Venezuela erzählt, vor allem aber darüber, was passiert, wenn ein junger Mensch zwischen die Fronten eines Kampfes um die Deutungshoheit gerät. Was geschieht, wenn die Bundesregierung ein Problem aus taktischen Gründen aussitzt und die größte Oppositionspartei im Bundestag genau darin eine Chance sieht, die Arbeit der Bundesregierung zu diskreditieren und sich selbst als Anwältin der kleinen Leute zu profilieren. 

Die Bundesregierung verklagt

Aber der Reihe nach: Seit dem Wochenende ist Billy Six frei. Er sitzt im Wohnzimmer des Einfamilienhauses seiner Eltern. Es ist vollgestopft mit Souvenirs aus Afrika, Australien und Asien. An den Wänden hängen Didgeridoos und Holzmasken. Die Familie hat schon viel von der Welt gesehen. Billy war 24, als er mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Benno nach Kapstadt getrampt ist. „Nach neun Wochen waren sie da“, erzählt Ute Six. Sie ist stolz auf ihre Söhne. Benno lebt als Zauberer in Frankreich. Billy ist jetzt ein Politikum geworden.

Billy Six mit Eltern Ute und Edward / picture alliance

Zu seiner Freilassung habe die Bundesregierung nichts beigetragen, sagen er und seine Familie. Sein Sohn war kaum in Berlin gelandet, da hatte Edward Six schon eine Pressekonferenz organisiert. Er werde die Bundesregierung verklagen, kündigte der IT-Manager an. Wegen unterlassener Hilfeleistung. Denn nicht das Auswärtige Amt und Außenminister Heiko Maaß hätten die Freilassung von Billy Six eingefädelt. Das wäre ausschließlich Russland und vor allem seinem Außenminister Sergej Lawrow zu verdanken gewesen. Die Bundesregierung habe außer der konsularischen Betreuung nichts unternommen. Billy Six selbst formuliert es jetzt so: „Die hätten mich in diesem Gefängnis versauern lassen.“ In einer Einmann-Zelle ohne Fenster, Tür an Tür mit den gefährlichsten Staatsfeinden des linken Diktators Nicolas Maduro. 

Fragt man den 32-jährigen, wie er die Haft durchgehalten habe, reagiert er so professionell, wie man das von jemandem erwartet, der sich selber auf seinem YouTube-Kanal mal als den „Indiana Jones des Journalismus“ bezeichnet hat: „Ich hatte vor ein paar Jahren ein Seminar bei der Bundeswehr. Ein Psychologe hat uns ein Bild gezeigt, auf dem sich ein Wolf auf einen Hasen stürzt, und der Hase sagt: ,Toll, endlich treff ich mal nen Wolf!‘ Es ist wichtig, die Dinge positiv zu sehen, um zu überleben.“ 

Immer dahin, wo die Bomben fallen 

Six ist eine schillernde Figur. Man vergisst das schnell, wenn er leicht geduckt durch den verschlafenen Ort seiner Kindheit läuft und er erzählt, warum ihn hier nichts mehr gehalten habe. 1986 in Ost-Berlin geboren, Abitur, Lehre zum Finanzfachwirt, Vorsitzender der Jungen Union (JU) in Neuenhagen. Er will zur Bundeswehr, aber die will ihn nicht. „Wegen einer Wirbelsäulenverkrümmung“, wie er sagt. Er geht zur französischen Fremdenlegion, zur härtesten Elite-Truppe der Welt. Denen, sagt er, sei er zu rebellisch gewesen. So landet er im Journalismus. 

Ohne Volontariat. Wozu brauche er das, fragt er pikiert. „Peter Scholl-Latour und Ernest Hemingway hatte auch keine journalistische Ausbildung.“ An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Vielleicht ist genau das sein Problem. Die meisten Journalisten fangen in einer Lokalredaktion an. Ausstellungen des Kaninchenzüchtervereins  oder Dreikönigssingen im Seniorenheim, das sind ihre Themen. Six geht gleich dahin, wo Bomben fallen. Nach Syrien, in den Libanon, nach Ägypten oder in die Ukraine. Getrieben von einer Mischung aus Abenteuerlust und der Suche nach dem, was er Wahrhaftigkeit nennt. „Billy“, sagt seine Mutter, „hat sich schon früh für Politik interessiert. Mit 16 wollte er Bundeskanzler werden.“  

„Sollen wir warten, bis der Junge stirbt?“

Als Journalist hat er nur zwei Auftraggeber, die Wochenzeitung Junge Freiheit und das Deutschland-Magazin. Beide stehen im Meinungsspektrum eindeutig rechts. Was er verdient, reicht kaum zum Leben.. Er schlägt sich auf eigene Faust in Krisengebieten durch. Das geht oft schief. Viermal enden seine journalistischen Ausflüge im Knast. 2013 passiert ihm das in Syrien. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und damals schon Sergej Lawrow setzen sich für seine Freilassung ein. Sie informieren die Eltern. 

Seiner Mutter Ute merkt man die Angst um Billy immer noch an. Ihr Ältester ist jetzt zurück, aber die Sorge um ihn zerrt noch immer an ihren Nerven. Im Gefängnis war er in den Hungerstreik getreten, um durchzusetzen, dass er mit der Deutschen Botschaft telefonieren durfte, erzählt der Sohn. Und dann ist da noch die Sache mit seiner Leber. Bevor Billy verhaftet wurde, hatte er sich mit dem Dengue-Fieber infiziert. Seine Blutwerte haben sich verschlechtert. Er brauche dringend Medikamente, fordern die Eltern. Ob ein Mitarbeiter der  Deutschen Botschaft sie nicht im Gefängnis abgeben könne? Ihre Forderung wird nicht erfüllt. Die Eltern werden nervös. Edward Six sagt: „Sollen wir warten, bis der Junge stirbt?“ Seine Frau fragt:  „Wie soll das erst werden, wenn in Venezuela ein Bürgerkrieg ausbricht?“ 

Ein Spielball der Diplomatie?

Am 9. Januar bekommt Billy im Gefängnis Besuch vom Deutschen Botschafter Daniel Kriener. Kurz danach wird Kriener abberufen. Die Bundesregierung hat dem neuen Übergangspräsidenten Juan Guaidó ihre Unterstützung zugesagt. Das Verhältnis zum Amtsinhaber Nicolas Maduro ist gespannt. Billy, so scheint es, ist zum Spielball der Diplomatie geworden. Die Bundesregierung unterstützt ihn zwar konsularisch. In einer Antwort auf eine Anfrage von Cicero heißt es, die Deutsche Botschaft habe ihn „intensiv“ betreut und „hochrangige Gespräche im Außenministerium geführt.“ Aber wenn hinter den Kulissen Gespräche über seine Freilassung geführt wurden, dann bekommt die Öffentlichkeit davon nichts mit – auch Billy nicht. Er sagt, nicht mal einen Anwalt habe man ihm besorgt. Der Name des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel fällt. Hatte die Bundeskanzlerin die türkische Regierung nicht schon kurz nach seiner Verhaftung 2017 öffentlich kritisiert? Warum forderte sie jetzt nicht die Freilassung von Billy Six? Misst die Bundesregierung Journalisten mit zweierlei Maß? Wurde Six nicht unterstützt, weil er für Medien schrieb, für die Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Hassobjekt ist? Oder wollte die Bundesregierung Maduro bloß nicht noch weiter provozieren? 

Das sind Fragen, die sich Billys Eltern stellen. Sie machen ihrem Sohn keine Vorwürfe, dass er sich selbst in diese Situation hineinmanövriert hat. Sie fragen sich auch nicht, ob es nicht ihre elterliche Pflicht gewesen wäre, ihm nach seinem ersten Gefängnisaufenthalt ins Gewissen zu reden. Sie haben Angst um ihren Sohn. Wenn er in Gefahr gerät, soll, nein muss ihn Vater Staat raushauen. 

Die AfD nimmt sich der Sache an

Doch von der Bundesregierung fühlen sie sich im Stich gelassen. Ein persönlicher Brief an Bundesaußenminister Heiko Maaß bleibt lange unbeantwortet. Eine Antwort wollen sie erst am vergangenen Wochenende in ihrem Briefkasten gefunden haben, als Billy schon wieder frei ist. Edward Six legt den Brief auf den Tisch. Er ist datiert auf den 12. März. Merkwürdig nur: Das Datum wurde handschriftlich eingefügt. Von wem? 

Um Verbündete im Kampf um Billys Freilassung zu gewinnen, haben die Eltern alle 709 Bundestagsabgeordneten angeschrieben. Ein CDU-Mann und ein Abgeordneter der Linken melden sich. Auch die AfD signalisiert Unterstützung.

Edward Six Miene verdüstert sich, als die Sprache auf die Partei kommt. Er weiß ja, was viele über den Fall Six denken. Dass nämlich die AfD den Fall instrumentalisiert habe, um die Regierung und den SPD-Außenminister Heiko Maaß zu diskreditieren. Petr Bystron, AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, hat es gerade bei einer Pressekonferenz seiner Partei ausgesprochen. Eine „Ideologisierung der Außenpolitik“ hat er der SPD vorgeworfen. Bystron gefällt sich in der Rolle des Retters. Er sagt, er habe die Kontakte seiner Frau, einer Ex-Diplomatin, genutzt, um Russlands Außenminister Sergej Lawrow für den Fall zu gewinnen.

Ob das stimmt, dafür gibt es keine Beweise. Vater Edward Six sagt, er hätte Lawrow schon vorher kontaktiert. Vielleicht kennt Russlands Außenminister den Namen Six noch. Er hat ihn ja schon einmal rausgehauen, 2013 in Syrien. Trotzdem verbucht die AfD die Freilassung von Billy Six jetzt auf ihrem Konto. 

Edward Six ist der Partei dankbar. Aber richtig froh ist er über die Schützenhilfe von rechts nicht. Er sagt, es sei genau das passiert, was er eigentlich verhindern wollte, als er im November die Reporter ohne Grenzen einschaltete, um den Fall seines Sohnes in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie stehe sein Sohn denn jetzt da? Als rechter Journalist, der von Rechten missbraucht worden sei für eine PR-Kampagne. 

Kein guter Ruf unter anderen Journalisten

 „Billy ist non-konform, aber kein Rechter“, sagt Moritz Schwarz, Redakteur der Jungen Freiheit. Einer, der sich traue, die richtigen Fragen zu stellen. Die Zeitung wollte nicht, dass er nach Venezuela geht. Aber jetzt, da er wohlbehalten zurück ist, profitiert auch sie von dem PR-Rummel. Den hätte sich Edward Six aber schon viel früher gewünscht. Doch die deutschen Medien reagierten zögerlich. In der Branche genießt Six keinen guten Ruf. Im Mai 2016 hat er mit einem Kameramann das Büro des Recherche-Verbunds Correctiv  gestürmt, um den Journalisten vorzuhalten, sie hätten bei ihren Recherchen für eine für den Henri-Nannen-Preis nominierte Reportage über den Absturz des Passagierflugzeugs MH17 in der Ukraine Zitate gefälscht und anti-russische Propaganda betrieben. Die Aktion ist Six heute peinlich. In einem Interview mit dem Propaganda-Sender Russia Today hat er gesagt, die Aktion sei aus dem Ruder gelaufen. 

In Neuenhagen ist Billy Six wieder in sein Kinderzimmer eingezogen. Sein Schreibtisch verschwindet unter Bergen von Papieren und Geschenken, die er noch nicht ausgepackt hat. An der Wand hängt eine Weltkarte. In einem Regal stapelt sich Schokolade. „Ein Ausnahmezustand“, sagt seine Mutter. Sie meint sein Zimmer. Aber eigentlich gilt das auch für sein Leben. Billy sagt, er müsse erstmal Ordnung hineinbringen. Er wolle ein Buch über seine Zeit im Gefängnis schreiben. 

Musste Six wirklich um sein Leben fürchten?

Vielleicht findet man darin Antworten auf die Fragen, die sich um den Fall Six ranken. Die wichtigste hat jetzt ausgerechnet der venezolanische Anwalt aufgeworfen, den ihm Espacio Publico vermittelt hatte, der internationale Partner von Reporter ohne Grenzen. „Die Ausreise von Six hatte Elemente eines Thrillers“,  sagt der Anwalt Amado Vivas der argentinischen Wochenzeitung Perfil.

Das Interview lässt die Vorwürfe der Familie gegen die Deutsche Botschaft in Caracas in einem neuen Licht erscheinen. Six, so sagt Vivas, habe Venezuela nach seiner Freilassung gar nicht verlassen wollen. Er habe darauf bestanden, erst noch Freunde zu treffen. „Wir waren besorgt, dass sich keine zweite Chance für eine Ausreise ergeben würde.“ Reagiert so einer, der um sein Leben fürchtet? Oder einer, der es genießt, sich im Licht seiner plötzlichen Popularität zu sonnen? Eines scheint sicher. Dass sich niemand für den Fall Billy Six interessiert, diesen Vorwurf können er und seine Familie niemandem mehr machen. Die Frage ist nur, ob das gut für sie ist.

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