Denkmalsturm - Zwischen Bismarck und Obama

Es ist in der Rückschau fast ein Wunder, dass Barack Obama ausgerechnet an der Siegessäule in Berlin eine fulminante Rede hielt. Sie ist preußischem Militarismus gewidmet und wäre eigentlich ein perfektes Ziel für den derzeit um sich greifenden Denkmalsturm.

Phallushaft: Die Siegessäule in Berlin / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Für kultursensible Menschen ist der Große Stern in Berlin eine veritable Herausforderung. Der Kreisverkehr am Tiergarten birgt nämlich aufgrund seiner unübersichtlichen Vielspurigkeit nicht nur für Verkehrsteilnehmer allerlei Gefahren (ich war dort selbst schon mal in einen Unfall verwickelt), sondern bietet auch historische Zumutungen jeglicher Gestalt.

Es beginnt mit der phallushaften Siegessäule in der Mitte des Platzes, die an gleich drei gewonnene Preußenkriege (gegen Dänemark, Österreich und Frankreich) erinnert. Dass die Kannelierungen auch noch mit 60 vergoldeten Kanonenrohren aus Beutebestand ausgestattet wurden und das ganze Machwerk von einer Bronzestatue der Siegesgöttin Viktoria gekrönt ist, die in der linken Hand ein Feldzeichen mit dem Eisernen Kreuz hält, trägt auch nicht gerade zur Entspannung bei. Kein Wunder, dass der verstorbene CDU-Generalsekretär Heiner Geißler das Monument am liebsten in die Luft hätte sprengen lassen, noch bevor der Denkmalsturm jetzt groß in Mode kam.

Leistungsschau des preußischen Militärs

Im Halbkreis um den Großen Stern gruppieren sich Statuen Otto von Bismarcks sowie der beiden Generalfeldmarschälle Albrecht von Roon und Helmuth von Moltke: eine wahre Leistungsschau des preußischen Militarismus. Eingeweiht wurde das Ensemble übrigens an Hitlers 50. Geburtstag mit einer großen Militärparade.

Immerhin trägt die auf den Großen Stern zulaufende Hauptmagistrale den Namen „Straße des 17. Juni“ und erinnert so an den Volksaufstand von 1953. Aber in den Augen einiger Berliner DDR-Apologeten dürfte auch das nur eine weitere Provokation sein. Nach heutigen Maßstäben müsste das alles also schleunigst abgeräumt werden.

Geistiges Vakuum

In der Rückschau ist es fast ein Wunder, dass der Große Stern noch vor ein paar Jahren ganz selbstverständlich Aufmarschplatz ausgerechnet für die Loveparade sein konnte – oder dass Barack Obama im Schatten der Siegessäule eine fulminante Rede hielt, mit der er 2008 Hunderttausenden Zuhörern Hoffnung auf eine bessere Zukunft machte.

Die Hoffnungen sind inzwischen verflogen, stattdessen werden heute Denkmäler geschleift: Symbolpolitik als Ausdruck des geistigen Vakuums; Empörung aus Unfähigkeit zur kritischen Distanz. Und das nennt sich Fortschritt.

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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