Debatte über Impfpflicht im Bundestag - Viel Polemik, wenig sachliche Argumente

Im Bundestag wurde an diesem Mittwoch über eine mögliche Impfpflicht debattiert. Eigentlich sollte die Aussprache der Erweiterung des Horizonts dienen, doch den meisten Parlamentariern ging es um politischen Landgewinn. Trotz vieler Allgemeinplätze gab es aber auch bemerkenswerte Wortmeldungen. Die Impfpflicht-Befürworter waren jedenfalls in der Überzahl.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) während der „Orientierungsdebatte“ an diesem Mittwoch / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Eine „Orientierungsdebatte“ sollte es sein, die an diesem Mittwoch wegen der möglichen Einführung einer allgemeinen Impfpflicht im Bundestag geführt wurde. „Orientierung“, das klingt nach Ergebnisoffenheit, nach einem sachlichen Austausch von Argumenten und Informationen. Es hätte also dem Wort nach eine Veranstaltung werden müssen, bei der die Abgeordneten hinterher schlauer sind, sich idealiter also besser in die Lage versetzt fühlen, um demnächst über diese ethisch heikle und verfassungsrechtlich höchst problematische Frage abstimmen zu können.

Leider waberte dieser aufklärerische Geist nur in wenigen Momenten über dem Plenum, denn die meisten Abgeordneten nutzten die Gelegenheit entweder, um zu polemisieren. Oder um mit abgedroschenen Bemerkungen zu langweilen von wegen, es handele sich bei der Impfung ja nur um einen „kleinen Piks“ und überhaupt müsse jetzt „Solidarität“ geübt werden, um der Pandemie zu entkommen. Und natürlich nahmen insbesondere die oppositionellen Unionsparteien die Gelegenheit dieser „Orientierungsdebatte“ zum Anlass, um ein ums andere Mal der Regierung Arbeitsverweigerung vorzuwerfen, weil diese bisher keine eigene Gesetzesvorlage in Sachen Impfpflicht zustande gebracht hat. So blieb der Erkenntnisgewinn insgesamt eher gering; die substantiellsten Beiträge kamen erstaunlicherweise aus den Reihen der Linkspartei und der FDP.

Drei Lager

Insgesamt zeichneten sich drei Lager ab, nämlich die Impfpflicht-Befürworter, die Impfpflicht-Gegner sowie jene, die für eine verpflichtende Impfung ab dem Alter von 50 Jahren eintreten. Insbesondere CDU und CSU scheint eine Positionierung derzeit noch sehr schwer zu fallen

Den Auftakt machte die Abgeordnete Dagmar Schmidt von der SPD, die sich gleich im ersten Satz darüber beklagte, dass bei diesem Thema von manchen etwas „zusammengeschwurbelt“ und „auf die da oben“ geschimpft werde. Schmidt hält eine allgemeine Impfpflicht für unausweichlich, um Lockdowns und Kontaktbeschränkungen zu entkommen; diese sei auch im Vergleich zur Durchseuchung das mildere Mittel, um Corona hinter sich zu lassen. Die Impfstoffe seien sehr gut und schützten gegen schwere Krankheitsverläufe.

Tino Sorge von der CDU warf der Regierung deren eingangs beschriebenes Nichthandeln vor, die Debatte hätte schon vor Weihnachten geführt werden müssen. Problematisch sei die nachlassende Wirksamkeit des Impfstoffs, „Boostern ohne Ende kann nicht die Lösung sein“. Er forderte die Bundesregierung auf, erst einmal für eine ordentliche Datengrundlage zu sorgen und appellierte an die Eigenverantwortung. Eine „absolute Impfpflicht“ nannte er den „falschen Weg“, man müsse gesellschaftlich die „Tür zur Versöhnung offenhalten“.

Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen führte die Impfpflicht als probates Mittel dazu an, um Impflücken zu schließen. Weil auch jüngere Menschen schwer an Covid erkranken könnten, müsse es eine verpflichtende Impfung für alle geben, die älter sind als 18 Jahre. Eine solche Impfpflicht würde bisher Ungeimpften auch dabei helfen, „innere Ambivalenzen“ abzubauen.

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla nutze seinen Auftritt, um die Regierung zunächst mehr oder weniger pauschal zu beschimpfen; es sei „schlecht bestellt um dieses Land“. Im Zusammenhang mit einer möglichen Impfpflicht sprach er von „autoritären Bestrebungen“, Vakzine hätten schon eine „fast religiöse Stellung“ inne. Stellvertretend für seine Partei lehnte er eine Impfpflicht vehement ab und fügte hinzu, es gebe viele offene Fragen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen von Impfstoffen.

Unbestimmte Begriffe reichen nicht

Der FDP-Abgeordnete und Bundesjustizminister Marco Buschmann stellte nüchtern fest, dass laut Verfassung im Falle der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht deren Ziel auch klar benannt werden müsse. Unbestimmte Begriffe wie „Solidarität“ seien da nicht ausreichend. Vielmehr müsse es bei einem derart schwerwiegenden Eingriff in die Individualrechte eindeutig darum gehen, das öffentliche Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. Ob dafür eine Impfpflicht das mildeste Mittel ist, sei fraglich. Es gelte auch, den möglichen Einsatz antiviraler Medikamente zu berücksichtigen.

Kathrin Vogler von Die Linke nannte eine Durchseuchungsstrategie „unverantwortlich“ und hob darauf ab, dass es eine „völlig verzerrte Risikowahrnehmung“ gebe bei der Abwägung zwischen dem Nutzen und den Risiken einer Impfung. Die Vakzine seien „sehr sicher“, und „ohne Solidarität“ werde man keinen Ausweg aus der Pandemie finden.

Andrea Lindholz von der CSU gab zu bedenken, eine Impfpflicht würde „kurzfristig“ nichts bringen, wiewohl diese durchaus auch „helfen“ könne. Fragen zur praktischen Umsetzung müsse die Regierung beantworten. Nach ihr sprach Paula Piechotta von den Grünen, die sich für eine Impfpflicht ab 50 Jahren verbunden mit einer verpflichtenden Impfberatung für die jüngeren Ungeimpften aussprach. Alice Weidel (AfD) wiederum bezeichnete eine Impfpflicht als einen „Zivilisationsbruch“ und als „Amoklauf“ gegen die Grundfesten des freiheitlichen Rechtsstaats.

Es folgte der Auftritt von Wolfgang Kubicki. Der FDP-Parlamentarier ist einer der bekanntesten Impfpflicht-Gegner; er selbst sei jedenfalls geimpft und geboostert, was ihm ein „befreiendes Gefühl“ gegeben habe. Sich impfen zu lassen, sei vernünftig, so Kubicki. Allerdings sei es nicht Aufgabe des Staates, für die Bürger darüber zu entscheiden, was vernünftig ist. Es gebe auch ernstzunehmende Gründe, sich nicht impfen zu lassen; außerdem drohe mit der neuen Omikron-Variante keine Überlastung des Gesundheitssystems. Kubicki warnte davor, die Impfpflicht-Debatte durch ständige Ermahnungen an die „Solidarität“ zu politisieren. Was derzeit diskutiert werde, sei eine „Impfpflicht auf Vorrat“ aus Furcht vor einer neuen Infektionswelle im nächsten Herbst.

Vater an Impf-Nebenwirkungen verstorben?

Ebenfalls gegen eine Impfpflicht plädierte nach Kubicki der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald, der anfangs in den Raum stellte, dass sein Vater womöglich an Impf-Nebenwirkungen verstorben sei. Die Individualrechte dürften nicht durch eine verpflichtende Impfung beschnitten werden. Mögliche Bußgelder für Nichtgeimpfte würden dazu führen, so Birkwald, dass Reiche sich von einer Impfung freikaufen könnten. Weil praktisch alle Politiker noch vor wenigen Monaten eine Impfpflicht kategorisch ausgeschlossen hätten, gehe es jetzt auch um Vertrauensschutz für die Bürger.

Till Steffen (B90/Die Grünen) forderte eine Impfpflicht im Namen der „Solidarität“ ein und äußerte, diese könne „verfassungskonform“ ausgestaltet werden. Auch die Sanktionierung von Impfverweigerern mit Bußgeldern würde „funktionieren“. Der Infektiologe und FDP-Parlamentarier Andrew Ullmann plädierte für eine Impfpflicht ab 50 Jahren, diese solle aber erst greifen, wenn man mit Ungeimpften zuvor ein „verpflichtendes Aufklärungsgespräch“ geführt habe.

Gregor Gysi von der Linken wandte sich vehement gegen eine Impfpflicht, weil diese kaum mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen sei. Sollte die Impfpflicht dazu führen, dass Impf-Unwillige am Ende eingesperrt würden, so sei dies „unerträglich“. Gysi befürchtet im Zusammenhang mit dem Thema „eine weitere Erosion des Vertrauens in die Politik“. Nach ihm trat der CDU-Abgeordnete Günter Krings auf, der Zweifel an der administrativen Umsetzung einer Impfpflicht äußerte.

Den Schluss der Debatte markierte der Auftritt von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der sich bei seinen Vorrednern für die „hervorragende Debatte“ bedankte. Er trat Erwartungen entgegen, die Omikron-Variante werde den Weg aus der Pandemie heraus und in eine endemische Situation hinein weisen. Vielmehr drohe eine Überlastung der Intensivstationen, außerdem bestehe das Risiko, dass sich aus Omikron wieder gefährlichere Virusvarianten entwickeln. Solche Szenarien könne man nur mit einer allgemeinen Impfpflicht „sicher vermeiden“, behauptete Lauterbach.

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