Politische Kommunikation in der Corona-Krise - Schluss mit Panik: Regierung muss Strategiewechsel erklären

Deutschland hat sich vom Kampf gegen das Coronavirus verabschiedet. Aber still und heimlich, ohne es den Bürgern zu erklären. Dass muss jetzt dringend nachgeholt werden, was auch mehrere medizinische Fachgesellschaften in einer aktuellen Stellungnahme fordern. Sonst droht die Demokratie wirklich Schaden zu nehmen.

Mehr Ehrlichkeit wagen: Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Das politische Geplänkel um die Frage, wie schnell und in welchen Schritten Deutschland aus dem Corona-Krisenmodus herausfindet, vernebelt den Blick auf eine wesentliche Tatsache: Die Bundes- und Landesregierungen haben ihre Pandemie-Strategie fundamental geändert. Das lange vorherrschende Ziel einer Eindämmung der Virusverbreitung wurde aufgegeben. Stattdessen geht es jetzt um den Schutz von Risikogruppen. Das ist vernünftig und richtig. Doch das Problem ist: Die Regierung hat diesen Strategiewechsel nie deutlich verkündet und erklärt. Das muss sie jetzt dringend nachholen.

Mediziner fordern klare Kommunikation

Diese Forderung erheben mehrere medizinische Fachgesellschaften in einer aktuellen Stellungnahme, die wir als so wichtig erachten, dass wir sie an dieser Stelle im vollständigen Wortlaut veröffentlichen:

„Als unabhängige Wissenschaftler und Fachleute aus verschiedenen medizinischen Bereichen fordern wir die verantwortlichen Politiker auf, die aktuelle Strategie der Pandemiebekämpfung der Bevölkerung zu erklären. Seit bald zwei Jahren gilt für die Menschen eine umfassende Eindämmungspolitik (‚containment‘) mit breitem Testangebot, Kontaktverfolgung und Quarantäne.

Die Dynamik der Omikron-Welle erfordert aber aktuell einen Strategiewechsel hin zu einem sehr viel gezielteren Schutz der Risikogruppen (‚protection‘), den Politik und öffentlicher Gesundheitsdienst derzeit notwendigerweise auch tatsächlich vollziehen. Doch dies muss von klarer und sachlicher Kommunikation begleitet sein, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern.

Den Menschen muss erklärt werden, dass die Konzentration der Schutzmaßnahmen und der verstärkten Impfkampagnen auf Risikogruppen primär der Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe, insbesondere in Risikogruppen, und letztlich auch der Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur dient.

Es muss anerkannt werden, dass angesichts einer sich rasch verbreitenden, aber weniger virulenten Virusvariante dies bei dem breiten Impfschutz in der Bevölkerung, den wir in Deutschland trotz aller Impflücken auch bei Älteren haben, keine unkontrollierbaren Gefahren mit sich bringt. All dies bedeutet einen grundlegenden Kurswechsel, der politischer Führung, Erklärung und sachlicher Einordnung bedarf.

Es geht nicht mehr um eine nunmehr vollkommen illusorische Verhinderung jeder Infektion, sondern um den gezielten Schutz vor schwerer Erkrankung. Umfassende Kontaktnachverfolgung und Quarantäneanordnungen sind angesichts der Dynamik der Welle nicht mehr möglich und würden zudem die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur gefährden (siehe auch die aktuelle Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene DGKH).

Eine Priorisierung der begrenzten PCR-Testkapazitäten für Risikobereiche, etwa Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, ist dringend erforderlich und bedingt auch eine Beendigung anlassloser Massentests, insbesondere in Schulen und Kitas, da sie keinen erkennbaren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten.

Der in vielen Bundesländern bereits angekündigte Verzicht auf Quarantäne in Schulen und Kitas ist ebenso richtig, denn Kinder und Jugendliche sind durch eine Infektion kaum gefährdet, wohl aber durch unnötige Unterbrechung ihres Schulalltags mit Sport und Freizeitaktivitäten. Die hohen Infektionszahlen in dieser Altersgruppe sind jedoch aus unserer Sicht kein Anlass zur Sorge, da das Auftreten von schweren Erkrankungsfällen in dieser Altersgruppe weiterhin gering ist.

Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder sind durch die etablierten Hygienemaßnahmen ausreichend geschützt, wenn Erkrankte in Eigenverantwortung zu Hause bleiben, wie es auch vor der Pandemie üblich war. Das gilt nun umso mehr, da Eltern, die Angst vor einer Infektion ihrer Kinder haben, die Impfung ihrer Kinder ab dem 5. Lebensjahr nach STIKO-Vorgaben offensteht. Wir müssen mit klarer politischer Kommunikation so schnell wie möglich zu einem rationalen Umgang mit Kindern und ihren Gemeinschaftseinrichtungen zurückkehren.“

Unterzeichnet ist diese Stellungnahme von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) und dem Berufsverband der Kinder und Jugendärzte (BVKJ).

Heilsamer Schock

Für die deutsche Öffentlichkeit, die seit bald zwei Jahren in etlichen Pressekonferenzen, Talkshows und Nachrichtensendungen auf den Kampf gegen das Coronavirus eingeschworen wird, wäre eine so klare Kommunikation womöglich ein Schock. Aber ein heilsamer. Denn immer mehr Menschen äußern inzwischen ihre Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Pandemiebekämpfung durch ein immer verworreneres Regelwerk teils tiefgreifender Freiheitsbeschränkungen.

Es sind längst nicht nur radikale Staatsfeinde, die gegen die Corona-Politik in Deutschland auf die Straßen gehen. Es sind demokratisch gesinnte Bürger, die ihrer Regierung nicht mehr vertrauen. Es liegt nun an den Regierenden, das Vertrauen der Regierten zurückzugewinnen. Ehrlichkeit ist die Voraussetzung dafür.

Dazu zählt auch das Eingeständnis, dass es ein schwerer Fehler war, die Öffentlichkeit durch Schockszenarien in Angst und Schrecken zu versetzen. Merkwürdigerweise sahen das die politisch Verantwortlichen zu Beginn der Pandemie noch genauso. Es gebe keinen Grund, jetzt in Alarmismus zu verfallen, hieß es noch Ende Januar 2020 aus dem Bundesgesundheitsministerium. Das neuartige Coronavirus sei weit weniger gefährlich als etwa der Sars-Erreger vor einigen Jahren.

Panikpapier aus dem Innenministerium

Als dann die Infektionszahlen in Europa zunahmen, änderte die Bundesregierung ihre Strategie um 180 Grad. Statt die Bürger zu beruhigen, sollten sie nun in Panik versetzt werden, um strenge Maßnahmen durchsetzen zu können. Nachlesen lässt sich das in jenem berüchtigten Geheimpapier aus dem Bundesinnenministerium, das eine von Staatssekretär Markus Kerber beauftragte Gruppe von Wissenschaftlern im März 2020 verfasst hat. Hier ein wesentlicher Auszug daraus:

„Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden:

1) Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.

2) ‚Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden‘: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“

Verbindungen nach China

Recherchen der Welt am Sonntag brachten ans Licht, das einer der Autoren des Panikpapiers Verbindungen nach China hat und offen Sympathien für das dortige kommunistische Regime hegt. Die Volksrepublik, die den Virus-Ausbruch in Wuhan zunächst vertuschen wollte – womöglich auch deshalb, weil sie dort ein Forschungslabor betreibt, das auf gefährliche gentechnische Experimente mit Coronaviren spezialisiert ist  –, hatte in dieser frühen Phase der Pandemie auf strikte Eindämmung gesetzt.

Ihr Propagandaziel war es damals, der Welt zu zeigen, dass das autoritäre Gesellschaftsmodell Chinas den freiheitlichen Demokratien überlegen ist. Der Plan ging auf: Westliche Regierungen überboten sich regelrecht darin, ihre Bürger in Lockdowns und Massenquarantäne zu schicken. Sie beschlossen Maßnahmen, die kurz zuvor noch unvorstellbar erschienen.

Dass sich dagegen Protest regte, den natürlich auch Extremisten für sich zu nutzen wussten, ist kein Zeichen dafür, dass die freiheitliche Demokratie in Gefahr ist. Auch wenn das deutsche Regierungsvertreter und weite Teile der Medien so darzustellen versuchten. Im Gegenteil: Dass massive Freiheitseinschränkungen, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zuvor gab, Bürger auf die Straße treiben, ist ein Zeichen dafür, dass die Demokratie funktioniert.

Schmerzhafte Aufklärung

Wenn nun die Corona-Maßnahmen endlich rückabgewickelt werden und die Politik ihren Panikmodus verlässt, darf das nicht stillschweigend geschehen. Der Strategiewechsel muss zunächst klar und deutlich benannt werden, damit auch diejenigen ihn verstehen, die vor dem Virus nach wie vor Angst haben und mit der strengen Coronapolitik im Großen und Ganzen einverstanden waren.

Der zweite Schritt wird noch schmerzhafter. Nach der Krise muss Aufklärung folgen. Welche Fehlentscheidungen gab es? Wie kamen sie zustande? Was kann Deutschland bei der nächsten Pandemie besser machen? Diese Fragen müssen offen und transparent geklärt werden. Denn sonst nimmt die Demokratie wirklichen Schaden.

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