Verfassungsschutz und Corona-Protestbewegung - Kann man „Querdenken“ überhaupt beobachten?

Im Stammland Baden-Württemberg wird „Querdenken“ nun vom dortigen Verfassungsschutz beobachtet. Aber kann man so eine Bewegung überhaupt überwachen? Und was erhofft man sich davon? Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke gibt Antworten.

Die Baden-Württembergischen Verfassungsschützer werden demnächst viel zu beobachten haben bei Querdenken / dpa
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Autoreninfo

Jakob Arnold hospitierte bei Cicero. Er ist freier Journalist und studiert an der Universität Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften. 

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Hans-Gerd Jaschke war bis 2018 Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin im Fachbereich Polizei- und Sicherheitsmanagement. Im Frühjahr erscheint sein neues Buch mit dem Titel „Politischer Extremismus. Eine Einführung“.

Herr Jaschke, der Verfassungsschutz Baden-Württemberg wird die „Querdenken-Bewegung beobachten. Ist „Querdenken gefährlich?
„Querdenken entwickelt sich in eine gefährliche Richtung. Bei der Gründung im April war es eine Bewegung von in der Tat besorgten Bürgern, denen es um die Abwehr von Eingriffen in ihre Grundrechte ging, die in ihren Augen nicht nötig waren. Mittlerweile entwickelt sich „Querdenken immer mehr zu einem Magneten für die rechtsextremistische Szene. Das macht „Querdenken gefährlich. 

Wann kam es zu diesem Wandel?
Es gibt bei den Demonstrationen immer noch bürgerlichen Protest. Ein Gutteil der Demonstranten sind besorgte Bürger, um diesen Begriff zu verwenden. Aber die Unterwanderung durch Rechtsextremisten hat längst eingesetzt. Das zeigt sich daran, dass in der Bewegung AfD-Funktionäre, NPD-Anhänger, Mitglieder der Identitären Bewegung und vor allem auch Reichsbürger aktiv sind. Ein Wendepunkt dafür war der Angriff auf den Reichstag am Rande der „Querdenker-Demonstration in Berlin am 29. August. Hier zeigte sich, dass nicht nur Corona-Regeln missachtet werden, sondern auch Aufrufe zu Militanz zu vernehmen waren. Man wollte den Reichstag als Symbol dieses verhassten Staates stürmen. Seit September nimmt die Entwicklung nach rechts zu. Obwohl der Chef-Denker Michael Ballweg sich offiziell distanziert.

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Wie ist das Kräfteverhältnis zwischen den Lagern? Wie viel Prozent sind besorgte Bürger, wie viele Rechtsextreme?
Die rechtsextreme Fraktion ist sicherlich eine Minderheit. Aber es ist eine lautstarke und einflussreiche Gruppierung. Man muss kritisieren, dass sich die bürgerlichen Demonstranten nicht entschieden distanzieren von den rechtsextremen Teilen, sondern diese gewähren lassen. Auch die Position: „Bei uns kann alles geäußert werden. Wir leben die Meinungsfreiheit. Deswegen lassen wir alle gewähren“, halte ich für einen schweren politischen Fehler.

Haben Sie also erwartet, dass der Verfassungsschutz sich „Querdenken annehmen wird?
Der Verfassungsschutz kann gar nicht anders. Er muss hinsehen, wenn – um in der Rhetorik des Verfassungsschutzes zu bleiben – Angriffe gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sichtbar sind und sich verfestigen. Das scheint bei „Querdenken der Fall zu sein. 

Was heißt das jetzt in der Praxis?
Das heißt, dass jetzt einzelne Funktionäre unter Beobachtung stehen. Und zwar diejenigen, die eher von rechts kommen.

Und wie beobachtet man die?
Zum einen aus öffentlich zugänglichen Quellen. Das ist der wichtigste Zugang. Aber auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln; das kann sein: Telefonabhörung oder das Anwerben von Informanten. Es gilt – wie die Verfassungsschutzpräsidentin Baden-Württembergs es gesagt hat – auf der ganzen Klaviatur der Nachrichtendienste zu spielen.

Aber hauptsächlich wird man öffentliche Quellen konsultieren? Das heißt, die Beamten gucken sich Facebook-Posts an?
Das ist ein wesentlicher Teil, weil die Kommunikation in den neuen sozialen Medien stattfindet. Und damit auch die Verabredung und Planung von Demonstrationen, Parolen zu den Demonstrationen, politische Stellungnahmen zur Corona-Debatte. Das erfolgt öffentlich, weil es sich um eine Protest-Bewegung handelt.

Aber kann man eine Bewegung überhaupt beobachten? Es gibt doch hier keine Strukturen wie etwa in einer Partei.
Die Bewegung als solche kann man nicht in allen Einzelheiten beobachten. Aber die Beobachtung des Verfassungsschutzes wird sich konzentrieren auf bestimmte Personen, von denen man ausgeht, dass sie die Wort- und Meinungsführer sind, die Organisatoren und auch die Multiplikatoren. 

Hans-Gerd Jaschke / privat

„Querdenken ist in ganz Deutschland aktiv. Wieso überwacht nur Baden-Württemberg? Wäre eine bundesweite Überwachung nicht sinnvoller?
Baden-Württemberg ist das Stammland. Dort ist „Querdenken entstanden. Da sitzt auch die Geschäftsstelle. Das heißt, der Vorsitzende Ballweg agiert von dort aus. Es werden auch bundesweite Aktionen von hier geplant. Ich denke aber auch, dass andere Bundesländer folgen könnten. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz wird prüfen, ob eine gesamtdeutsche Beobachtung sinnvoll ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass „Querdenken einige Aktivitäten aus Baden-Württemberg herausexportiert, um der Beobachtung durch den dortigen Verfassungsschutz zu entgehen. 

Was erhofft man sich durch die Beobachtung zu verhindern? „Querdenken begeht keine terroristischen Anschläge oder ähnliches.
Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz hat verschiedene Auswirkungen. Zum einen kann sie Spaltungsprozesse zwischen Extremisten und Demokraten auslösen oder verfestigen. Wenn sich der demokratische Flügel bedroht fühlt, könnten sie Extremisten auffordern, die Bewegung zu verlassen. Diese Spaltungsprozesse hat man auch in der AfD, seitdem der Flügel beobachtet wird. Nach außen hin hat der Verfassungsschutz auch gegenüber der Gesellschaft insgesamt in symbolischer Weise Grenzen aufzuzeigen. Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung werden sanktioniert. Das sind Signale an die Mehrheitsgesellschaft, die in diesem Fall nötig sind, da wir es hier mit einer Mischung aus Verschwörungstheorien, Rechtsextremismus und Hetze zu tun haben. Der Punkt ist gekommen, wo der Staat seine Wehrhaftigkeit zeigen muss.

Die Überwachung ist also auch Symbolpolitik?
Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder das Verbot von Organisationen ist immer auch Symbolpolitik. Es ist immer ein Kommunikationsangebot gegenüber der Gesellschaft. Der Staat sagt: Bis hierher und nicht weiter. 

Die erste Begründung, die Sie für die Beobachtung nannten, war, dass man den demokratischen Teil zur Distanzierung von Extremisten bringen will. Sie denken also, dass die Beobachtung deradikalisierend wirkt? Könnte sie nicht im Gegenteil radikalisierend wirken? Indem „Querdenken sagt: Seht ihr diesen diktatorischen Staat? Wir denken doch nur ein bisschen quer. 
Lassen Sie mich ein anderes aktuelles Beispiel geben. Wir haben in der AfD gerade beim Parteitag vor wenigen Tagen gesehen, wie sehr das bürgerliche Lager in Gestalt von Herrn Meuthen bemüht ist, sich zu distanzieren vom rechtsextremistischen Teil. Das wäre also ein Beispiel, in dem die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Spaltung der Partei beitrug. Ob man das auf „Querdenken übertragen kann, ist ungewiss. Es könnte in der Tat sein, dass sich „Querdenken insgesamt noch weiter radikalisiert, zumal die rechtsextremen Akteure eine starke Position haben und möglicherweise auch Jugendliche für sich gewinnen können. Es kann aber auch sein, dass die demokratisch Orientierten sich jetzt aktiv distanzieren. Dass also die Distanzierung von Herrn Ballweg, die auch auf der „Querdenken-Website zu finden ist, ernster genommen wird. Der Ausgang ist ungewiss. 

Könnte die Beobachtung „Querdenken in die Karten spielt? Dass man sich als Opfer inszenieren kann?
„Querdenken hat die Position, dass sie davon ausgeht, dass die politischen Eliten gegen sie handeln. Von Bill Gates bis Angela Merkel haben sich die Eliten gegen uns verschworen, und wir Bürger müssen uns dagegen wehren. Darin liegt auch eine Verbindung zu Pegida. Hier seht ihr mal, dass die Eliten uns verfolgen und ausradieren wollen. Insofern spielt das „Querdenken in die Karten. Andererseits hat „Querdenken von Anfang an darauf bestanden, ein demokratischer Protest zu sein. Und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz heißt immer auch Stigmatisierung und Ausgrenzung. Das kann den demokratischen Teilen der Bewegung natürlich nicht in die Karten spielen.

Michael Ballweg wird sich nicht über die Nachricht gefreut haben.
Er wird sich nicht darüber gefreut haben. Und ebensowenig die prominenten Aushängeschilder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der ehemalige Fußballprofi Thomas Berthold, der bei „Querdenken zu Reden auftritt, es begrüßt, nun möglicherweise vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. 

Was, denken Sie, wird sich jetzt in den kommenden Tagen und Wochen ändern?
Es wurden viele Demonstrationen angekündigt. Etwa am Samstag in Frankfurt am Main, die vorläufig verboten wurde, aber das Verwaltungsgericht wird hier noch endgültig entscheiden. Wir werden sehen, ob sich die „Querdenken-Bewegung bei diesen Demonstrationen radikalisiert. Es wird sich zeigen, ob es militante und gewaltbereite Teile gibt. Das hängt aber auch mit der Entwicklung von Corona und der Corona-Politik zusammen.

Kann der Staat jetzt leichter Demonstrationen verbieten?
Für die Justiz und den Rechtsweg hat die Beobachtung wenig Bedeutung. Ein Verbot hängt immer davon ab, ob das Gemeinwohl durch eine Demonstration gefährdet erscheint. Zum Beispiel eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, wenn keine Masken getragen werden. Mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz hat das wenig zu tun, denn Beobachtung heißt nicht, dass eine Bewegung verboten ist. 

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