Corona-Pandemie - Alles bleibt anders

Am Donnerstag debattierten die Fraktionen im Deutschen Bundestag über einen Gesetzesentwurf von SPD, Grünen und FDP für den künftigen Umgang mit der Corona-Pandemie. „Impfen, Impfen, Impfen“, tönte es mal wieder in Dauerschleife. Jeder Satz wirkte wie schon gesagt und jede Forderung wie schon gestellt. Die deutsche Politik dreht sich bei Corona im Kreis. Und mit ihr die Bevölkerung.

Bei nicht wenigen macht sich Pandemiemüdigkeit breit / FFP2-Maske im Herbstlaub / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Um 9.41 Uhr am Donnerstagvormittag eröffnete Olaf Scholz die erste Debatte im Deutschen Bundestag zum Corona-Fahrplan der Ampelparteien. 67 Minuten sollte debattiert werden über den von SPD, Grünen und FDP eingereichten „Gesetzesentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

Unterm Strich wollen die Ampelparteien die epidemische Notlage beenden, die Maßnahmen aber nicht. Den Parteien gehe es etwa um Rechtssicherheit in der Corona-Politik, heißt es. Wer der folgenden Diskussion im Deutschen Bundestag beiwohnte, fühlte sich gleichwohl wie in einer Zeitschleife gefangen; wie in der Playlist eines x-beliebigen Radiosenders, der immer wieder die gleichen Nummern spielt. Olaf Scholz als der Ed Sheeran der deutschen Corona-Politik.

Weniger schwarz und kalt

Da stand Scholz also, der Noch-Bundesfinanzminister, und sagte Sätze wie: „Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir alle Maßnahmen ergreifen, um sicher zu sein, dass wir die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes schützen können.“ Oder auch: „Sehr, sehr viele von denen, die nicht geimpft sind, werden sich infizieren. Und viele von denen, die sich infizieren werden, werden krank werden. Und von diesen, die krank werden, werden einige auf den Intensivstationen um ihr Leben ringen.“ Aus Scholz' Sicht waren das gute Sätze, wichtige Sätze. Und wahrscheinlich hat er mit vielem, was er sagt, sogar recht.

Deutlich wurde dennoch, dass sich die deutsche Spitzenpolitik im Umgang mit der Corona-Pandemie im Kreis dreht. Auf einen Redner einer Fraktion folgte ein Redner einer anderen. Auf ein Déjà-vu folgte damit das nächste. Und mit der Politik dreht sich auch die deutsche Bevölkerung im Kreis, die sich lieber früher als später auf einen langen Corona-Winter einstellen sollte. Vielleicht wird er weniger schwarz und kalt als der letzte. Vielleicht wird man sogar im Januar noch ein Helles in einem Münchner Wirtshaus oder ein Alt in einer Düsseldorfer Kneipe trinken können. Verlassen sollte man sich darauf nicht. Denn Wirtshäuser und Kneipen sind schnell wieder leergefegt, Fußballstadien und Konzertsäle ebenso.

Nein heißt nein

%paywall%

Zwei Drittel der Bevölkerung sind mittlerweile geimpft. Trotzdem steigen die Corona-Zahlen rasant. Doppeltgeimpfte können auch Spreader sein, gleichzeitig lässt Tag für Tag der Impfschutz nach. Außerdem wollen sich rund 90 Prozent der Ungeimpften partout nicht impfen lassen. Manche, weil sie nicht können. Die allermeisten aber, weil sie nicht wollen. Da nutzt es auch nichts, den Druck auf die Ungeimpften stetig zu erhöhen oder die prominentesten Sünder ins Rampenlicht zu zerren. Denn das fördert vor allem den Widerstand. „Nein heißt nein“, lautet die Devise der Impfgegner und -skeptiker.

Doch was forderten, abgesehen von der AfD-Fraktion freilich, die Parteien des Deutschen Bundestages am Donnerstag? „Impfen, Impfen, Impfen“, tönte es in den Worten der Linken-Politikern Simone Freschl in Dauerschleife. Gerade so als hätte in den vergangenen zwölf Monaten nicht auch der letzte Hinterwäldler mitbekommen, dass es Corona-Impfstoffe gibt. Und gerade so als wäre die dritte Impfung jene entscheidende Dosis, die allen Doppeltgeimpften die Erlösung bringt. Nur ein Pieks noch, dann bist du frei. Nur noch ein einziger Pieks.

Prä-pandemische Zeiten

Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich müssen die vulnerablen Gruppen geschützt werden. Und selbstverständlich macht es wenig Sinn, aus einer möglichen Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, wie von den Ampelparteien angedacht, gleich einen „Freedom Day“ zu machen, wie es die AfD gerne hätte. Gleichwohl liegt AfD-Politiker Sebastian Münzenmaier eben nicht ganz falsch, wenn er sagt: „Für uns ist die Impfung eine persönliche Entscheidung eines jeden Bürgers, und diese Entscheidung muss freiwillig und ohne direkten oder indirekten Zwang erfolgen.“

Fragen ergeben sich im Spannungsfeld zwischen persönlicher Freiheit und pandemischer Lage ohnehin zuhauf. Ist eine 2G-Regelung in Restaurants, obwohl auch Geimpfte und Genesene das Virus verbreiten können, noch logisch oder schon autoritär? Ist eine 3G-Regelung am Arbeitsplatz noch verhältnismäßig, obwohl Gesundheitsdaten sensible Daten sind – und sich der Arbeitgeber in normalen Zeiten nicht einmal trauen würde, nach einer Laktoseintoleranz zu fragen? Und woher nehmen sich fremde Menschen eigentlich das Recht, andere nach deren Impfstatus zu befragen?

Und wo führt das eigentlich hin, wenn wir kleinen Kindern Masken aufsetzen und Zwölfjährige nun auch unter Impfdruck setzen? Wo führt das hin, wenn, wie im Europapark Rust zuletzt, Armbändchen für Geimpfte und Genesene eine andere Farbe haben als jene für Getestete, womit indirekt die Ungeimpften markiert werden? Wo führt das hin, wenn der Vorsitzende des Weltärztebundes von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ schwadroniert oder Aktivisten aus dem „Querdenker“-Umfeld den Bayerischen Landtag per Volksentscheid absetzen wollen? Wahrscheinlich nirgendwohin, außer vielleicht zum nächsten Aufreger bei Twitter. Aber sicher nicht zurück in prä-pandemische Zeiten, als ein Handschlag noch eine Frage der allgemeinen Höflichkeit war, nicht der persönlichen Risikoabwägung.

Krise und Grundgesetz

„Dadurch, dass Sie die epidemische Lage von nationaler Tragweite aufheben, sagen Sie doch den Leuten, es ist nicht mehr so schlimm“, warf der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus den Ampelpartien bei der Debatte im Deutschen Bundestag vor. Man müsse den Menschen sagen, so Brinkhaus, „ihr müsst noch achtsamer und noch vorsichtiger sein“. Dabei waren die meisten Menschen über viele Monate hinweg doch genau das: achtsam und vorsichtig. Aber sie wollen halt auch leben.

Katrin Göring-Eckardt von den Grünen sprach von „einer dramatische Lage mit Ansteckungszahlen, die weit über dem liegen, was wir einfach hinnehmen könnten“. Dabei ist nirgends unstrittig definiert, was noch hinnehmbar ist und was nicht mehr. Das ist ja ein Grundproblem einer pandemiegetriebenen Politik. Und Marco Buschmann von der FDP sagte: „Ich finde, wir müssen auch in der Krise unser Grundgesetz respektieren, damit wir das bleiben, was wir sind und was wir sein wollen: nämlich ein freiheitlicher Rechtsstaat.“ Dabei ist die Betonung dieser Selbstverständlichkeit doch schon ein Indiz dafür, dass der freiheitliche Rechtstaat zumindest teilweise außer Kraft ist.

Über 80 Milllionen Individuen

Nun wäre es aber auch unfair, an dieser Stelle mit dem Finger nur auf die Politik zu zeigen. Denn die Verantwortlichen im Deutschen Bundestag und in den Bundesländern – und das geht bei der ganzen Schimpferei auf „die da oben“ häufig unter – versuchen eben auch, einen Spagat zu schaffen zwischen einer Vielzahl an Forderungen aus der Bevölkerung, die zu keinem Kompromiss führen können. Die einen wollen mehr Freiheit, die anderen weniger. Verschärft man die Regeln, werden die einen wütend. Lockert man sie, schimpfen die anderen. Und immer sind sich alle ständig einig, dass es so, wie es gerade ist, definitiv nicht bleiben darf. Denn im Spannungsfeld zwischen „Corona ist ungefährlich“ und „Corona ist tödlich“ wird in einem Land mit über 80 Millionen Individuen, von denen jedes seine eigenen Ängste und Sorgen hat, logischerweise hart gestritten.

„Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass das Virus eben nicht weg ist“, sagte Scholz am Donnerstagvormittag. Richtig wäre eigentlich gewesen: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass das Virus nie weg sein wird. Und bei allen Diskussionen über die konkreten Maßnahmen, mit denen wir durch den Corona-Winter kommen wollen, wäre es eben an der Zeit, noch eine zweie Debatte anzustoßen. Nämlich die, wie wir lernen, dauerhaft mit dem Virus zu leben. Die Geimpften mit den Ungeimpften. Die Sorglosen mit den Ängstlichen. Nicht nur im anstehenden Winter, sondern weit darüber hinaus. Denn sonst bleibt doch nur alles anders – und wir drehen uns weiter im Kreis. Und drehen uns im Kreis. Und drehen uns im Kreis.

 

Anzeige