Corona-Massentests für Urlaubsrückkehrer - „Wir hätten diese Diskussion viel früher führen müssen“

Der Münchener Epidemiologe Ulrich Mansmann kritisiert die von Gesundheitsminister Jens Spahn beschlossenen Massentests für Urlaubsrückkehrer. Diese seien nur bedingt aussagekräftig und würden wichtige Kapazitäten verbrauchen, sagt er im „Cicero“-Interview.

Testen, aber wo, wie und wen? / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

So erreichen Sie Bastian Brauns:

Anzeige

Prof. Dr. Ulrich Mansmann ist Direktor des Instituts für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBM) an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).

Herr Mansmann, für wie sinnvoll halten Sie den Beschluss, dass sich Urlaubsrückkehrer nun verpflichtend testen lassen müssen?
Das Problem ist, dass verpflichtende Massentests viele Gesunde ins Chaos stürzen werden. Denn wir müssen davon ausgehen, dass etwa zwei Prozent der Gesunden ein falsch-positives Testergebnis bekommen werden. Bei 100.000 Tests an Gesunden sind das 2.000 Personen, die als krank deklariert werden mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Wie kommt es zu solch positiven Test-Ergebnissen, die aber eigentlich falsch sind?
Das liegt daran, dass gerade bei Massentests immer der Ablauf von den Getesteten bis zum Labor nicht fehlerfrei vonstatten geht. Für die Frage, wie solche falsch-positiven Fälle durch weitere abklärende Untersuchungen schnell entdeckt werden sollen, gibt es vonseiten der Politik kein Konzept.

Vielleicht weil das Konzept sein soll, vor allem die Kranken zu entdecken.
Ja, aber gerade die Menschen, die sich kurz vor ihrer Rückreise angesteckt haben, werden wegen der langen Inkubationszeit von solch einem Test am Flughafen oder Bahnhof nicht erkannt.

Reichen die vielbeschworenen, immer weiter ausgeweiteten Testkapazitäten denn nun aus?
Tatsächlich werden durch verpflichtende Massentests Laborkapazitäten gebunden, die in Krankenhäusern, Altenheimen oder an entstandenen Hotspots wie bei Tönnies in NRW oder den Landwirtschaftsbetrieben in Bayern viel dringender benötigt werden. Die Labore werden nicht mehr hinterherkommen.

Die Tests sollen für die Betroffenen kostenlos sein. Aber am Ende zahlen wir alle mit unseren Steuergeldern. Ist das gerecht?
Beim Testen gibt es einerseits das Interesse der Allgemeinheit, vor Corona-Ansteckungen geschützt zu werden und andererseits das Interesse des Individuums, von Quarantäne-Maßnahmen im Zweifel verschont zu bleiben. Aber ja, Interessen liegen auf beiden Seiten und einen gewissen Anteil der Tests selbst zu zahlen, halte ich deshalb für absolut vertretbar.

Warum kommt die Debatte um diese Rückkehrer-Tests erst jetzt, wo viele Urlauber längst zurück sind?
Wir hätten diese Diskussion viel früher führen müssen, um vorbereitet zu sein. Schon im Mai haben die Menschen begonnen, Urlaub zu planen und zu machen.

Quelle: Robert-Koch-Institut

Die aktuelle Liste der sogenannten Expositionsländer des RKI legt nahe, dass sich die meisten Menschen aber gar nicht im Ausland infizieren, sondern in Deutschland. Wie lässt sich das erklären?
Viele Leute verhalten sich so, als wäre Corona kein Problem mehr.

Wie sollten sie sich denn verhalten, ob nun im Urlaub oder im Alltag?
Die Mitbürger sollten sich vorsichtig verhalten und die Hygienemaßnahmen ernst nehmen, gerade dann, wenn sie aus dem Urlaub kommen. Bei ersten Symptomen sollten Sie sofort zum Testen gehen.

Wie gefährlich wird die sogenannte zweite Welle?
Der Herbst wird unsere Krankenhäuser vor eine schwierige Situation stellen. Denn da wird wie jedes Jahr eine Grippe-Welle anrollen und Grippe- wie Coronapatienten werden Intensivstationen benötigen. Im Frühjahr hatten wir das große Glück, dass die Grippe-Welle bereits beendet war, bevor Corona so richtig begann.

Die Fragen stellte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft bei Cicero.

Anzeige