Corona-Impfung für Schwangere - Die Unantastbaren

Für die 500.000 Schwangeren hierzulande gibt es keine Impfempfehlung. Dabei sterben sie im Fall einer Covid-19-Erkrankung bis zu 20-mal häufiger, auch für das Ungeborene steigt das Risiko. Zwar haften Ärzte nicht, wenn Schwangere Impfnebenwirkungen zeigen. Trotzdem kommen sie nur schwer an eine Corona-Impfung.

Für Schwangere sind in der EU noch keine Corona-Impfstoffe zugelassen / dpa
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Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

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Julia L. hat bereits mehr als die Hälfte ihrer Schwangerschaft hinter sich. Ihren vollen Namen möchte sie nicht preisgeben, zu emotional werde das Thema Corona-Maßnahmen und -Impfen in ihrem Umfeld, speziell auf der Arbeit, diskutiert, erklärt sie gegenüber Cicero. Vergangene Woche hat die 34-Jährige ihre erste Corona-Impfung erhalten. Die Spritze hat ihr allerdings nicht ihre Frauenärztin gesetzt, auch nicht eine andere Gynäkologin, bei der sie zwischenzeitlich in Behandlung war. Ihr Hausarzt hatte ebenfalls abgewunken, es gebe noch nicht genügend Daten, lautete die Argumentation. Auch im Impfzentrum ihres Wohnorts in Rheinland-Pfalz habe man sie wieder weggeschickt: „Wir impfen grundsätzlich keine Schwangeren“, hieß es dort.

Dabei habe es genügend befreundete Ärzte im privaten Umfeld der Schwangeren gegeben, die ihr zur Impfung geraten hatten. Die hätten Julia L. erzählt, wie furchtbar Entbindungen seien, wenn die betroffenen Frauen Corona haben. Nur habe trotzdem keiner von ihnen Julia L. impfen wollen.

Janine Zöllkau ist Ärztin für Geburtsmedizin am Uniklinikum Jena. Dass schwangere Frauen oder Wöchnerinnen wegen einer Covid-19-Erkrankung auf der Intensivstation beatmet werden müssen und dafür an eine künstliche Lunge, ein sogenanntes ECMO, angeschlossen werden müssen, hat sie schon erlebt. „Auch wenn schwere Verläufe glücklicherweise absolut betrachtet sehr selten bei unseren Patientinnen auftreten, muss man auch im Hinterkopf behalten, dass bei einer überstandenen Erkrankung Folgen bleiben, die Frauen zum Beispiel in die Reha müssen und langfristig eingeschränkt sein können in ihrer Leistungsfähigkeit oder ihrer Atmung“, berichtet die Medizinerin Cicero. Der Nutzen einer Impfung für eine Schwangere oder auch eine Frau im Wochenbett überwiege die Risiken einer Impfung deutlich, sagt Zöllkau, die der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsmedizin (DGGG) angehört.

Gynäkologische Fachgesellschaft empfiehlt Impfung

Seit Mai empfiehlt die DGGG deshalb ausdrücklich, dass Schwangere oder Stillende sich gegen Corona impfen lassen. Dass Schwangere wie Julia L. es trotzdem immer noch schwer haben, überhaupt einen Arzt zu finden, der sie impft, davon hört auch Janine Zöllkau häufig. „Die Resonanz der Fach- und Hausärzte, für die unsere Informationen und Empfehlung ergänzend zur Ständigen Impfkommission (Stiko) ja als Hilfestellung dienen sollen, ist sehr unterschiedlich.“

Das Papier der DGGG war mitentscheidend für Julia L., sich für die Impfung zu entscheiden, obwohl vier Ärzte hintereinander sie abgewiesen hatten. Zudem war ihr älteres Kind aus der Kita mit hohem Fieber und Husten nach Hause geschickt worden und ihre Partnerin als Polizistin ins Flutgebiet im Ahrtal in den Einsatz geschickt worden, wo es mitunter schwierig gewesen sei, die Hygienemaßnahmen einzuhalten. Daraufhin fasste Julia L. den Entschluss, sich impfen zu lassen. Über Twitter recherchierte sie eine Frauenärztin, die Schwangere impft. Gemeinsam mit einer Freundin, ungefähr in der gleichen Schwangerschaftswoche wie Julia L., fuhr sie eine Autostunde von zu Hause zur Impfung. Von der Aufklärung hätte sie sich aber leider mehr erhofft, sagt sie. Im Prinzip hätte sie nur die Spritze bekommen und sei wieder verabschiedet worden.

Nadja Schultheiss, niedergelassene Gynäkologin aus Ulm, hat ihren Patientinnen schon früh zur Impfung geraten und diesen auf Wunsch auch bescheinigt, dass sie ein erhöhtes Risiko im Fall einer Corona-Infektion zu fürchten hätten, sagt sie gegenüber Cicero. Damit wollte Schultheiss ihren Patientinnen Diskussionen und Odysseen durch Praxen und Impfzentren, wie sie Julia L. erlebt hat, ersparen. „Ich habe in meiner Umgebung auch die Hausärzte gefragt, ob ich meine Schwangeren zu ihnen schicken kann“, berichtet Schultheiss.

Sie sei zwar schon von Anfang an überzeugt gewesen, dass Schwangere ein erhöhtes Risiko hätten und deshalb geimpft werden sollten. Als eine ihrer Patientinnen während einer Corona-Infektion ihr Kind sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin verlor, habe sich ihre Einschätzung verfestigt. „Die Frau kam nach der Quarantäne zu mir in die Praxis und es gab einfach keine Herztöne mehr. Es hatte sich herausgestellt, dass ihre Infektion persistiert hatte, vier Wochen lang war sie infektiös gewesen“, das passiere bei Schwangeren. Ein Corona-Schnelltest habe ergeben, dass die Patientin wieder negativ sei, erst ein anschließender PCR-Test habe die verstetigte Infektion nachweisen können. Während der Zeit in der Quarantäne dürfte das Kind unbemerkt gestorben sein, erzählt die Ärztin.

Nadja Schultheiss' Kollegen verwiesen häufig auf die fehlende Stiko-Empfehlung: „Viele der Kollegen haben auch einfach nicht die Zeit, sich noch zusätzlich zu ihrer Arbeit in den Forschungsstand einzulesen, und dann tendieren sie eher dazu, von der Impfung abzuraten.“

Große Verunsicherung bei Ärzten über Haftungsfrage

Es herrsche große Verunsicherung unter niedergelassenen Ärzten, was die Haftung angehe, wenn eine Schwangere infolge einer Impfung Nebenwirkungen erleiden sollte, sagt Schultheiss. Dabei ist diese Frage klar geregelt. Zwar hat die Europäische Arzneimittelbehörde (Ema) weder Biontech noch Moderna, die zwei Impfstoffe, die Schwangeren bisher in Deutschland verabreicht werden, für diese Personengruppe zugelassen, doch haften Ärzte nicht. Vielmehr wird, laut Robert-Koch-Institut (RKI), eine staatliche Entschädigung geleistet für gesundheitliche Folgen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung, auch dann, wenn diese nicht von einer Landesbehörde, gleichfalls, wenn die Impfung nicht von der Stiko empfohlen wird.

Eine staatliche Behörde, die den Schritt der Empfehlung bereits gegangen ist, ist die Sächsische Impfkommission (Siko). Thomas Grünewald, Leiter der Klinik für Infektionen und Tropenmedizin am Klinikum Chemnitz, ist Vorsitzender der Siko. Seit Mai gilt in Sachsen die Empfehlung, dass Schwangere sich gegen das Corona-Virus impfen lassen. „Denn Schwangere haben tatsächlich ein bis zu 20-mal höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben; hinzu kommen Komplikationen in der Schwangerschaft wie Frühgeburten oder Sauerstoffmangel bei Neugeborenen“, sagt Grünewald gegenüber Cicero. Das höhere Corona-Risiko betreffe nicht nur Schwangere mit Risikofaktoren wie Zuckerkrankheit oder Übergewicht, betont der Mediziner.

Impf-Reisen nach Sachsen

Seit es die Siko-Impfempfehlung gibt, würden sich auch deutlich mehr Schwangere aus anderen Bundesländern in Sachsen impfen lassen, berichtet Grünewald. Auf die Frage, wie Siko und Stiko zu unterschiedlichen Empfehlungen kommen könnten, obwohl doch beiden Behörden dieselben Daten zur Verfügung stünden, sagt der Siko-Vorsitzende: „So unterschiedlich ist das ja gar nicht.“ Das habe sich schon bei den Zwölf- bis 17-Jährigen gezeigt. Auch für diese Bevölkerungsgruppe hatte die Siko schon vor der Stiko eine Impfempfehlung abgegeben. Grünewald erläutert, alle Kinder dieser Altersgruppe hätten sich aufgrund entsprechender Ema-Empfehlung auch ohne Siko- oder Stiko-Empfehlung schon impfen lassen können.

In Baden-Württemberg etwa sei ein Sechstel dieser Altersgruppe nach RKI-Daten schon vollständig geimpft, sagt Grünewald, obwohl es seitens der Stiko erst diese Woche eine allgemeine Impfempfehlung für Kinder ab zwölf Jahren gegeben habe. Ähnlich verhalte es sich laut dem Siko-Vorsitzenden auch mit Schwangeren. Wer sich impfen lassen wollte, hat seine Schwangerschaft entweder teilweise verschwiegen oder ist nach Sachsen zum Impfen gefahren. Wie viele schwangere Frauen in Sachsen bereits geimpft sind, darüber habe er allerdings keine genauen Informationen.

Kommt bald doch noch die Stiko-Empfehlung?

Grünewald geht davon aus, dass die Stiko Ende August, wenn sie sich noch einmal zum Thema Schwangeren-Impfung äußern wird, wie schon bei den Jugendlichen „sicherlich eine Empfehlung geben wird“. Warum? Es gebe keinerlei dokumentierte Schäden bei den Babys, und auch die Mütter würden die Impfung sehr gut vertragen, das gehe aus den Daten, die unter anderem in den USA gesammelt worden sind, hervor. Darüber hinaus sei die Delta-Variante viel ansteckender als noch die Alpha-Variante, sagt Grünewald. Das Ansteckungsrisiko habe sich damit auch für die Schwangeren stark erhöht, sodass sich die Zahl schwerer Krankheitsverläufe erhöhen dürfte, wie es beispielsweise schon in Großbritannien geschehen ist. Zusätzlich fielen im Vergleich zur Anfangszeit der Pandemie immer mehr Einschränkungen, was die Ansteckungswahrscheinlichkeit weiter erhöhe.

Julia L. ist erleichtert, ihre erste Impfung gut vertragen zu haben. Dass sie sich alle Informationen selbst zusammensuchen und erst lange einen Arzt suchen musste, hinterließe ein mulmiges Gefühl, sagt sie. Immerhin habe sie nicht lügen müssen, um am Ende an eine Impfung zu kommen.

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