Corona, Krisen, Terror - „Es ist emotionaler Missbrauch, wenn Populisten Ängste schüren“

In Deutschland geht die Angst um: Vor dem Coronavirus, vor einer neuen Wirtschaftskrise, vor einer neuen Flüchtlingskrise. Stressforscher Mazda Adli erklärt, wie diese Ängste entstehen und welche Rolle Medien und Politik dabei spielen. Fehlt vielen auch das Vertrauen in den Staat?

Hysterie oder begründete Angst? Das Corona-Virus ist immer für eine Schlagzeile gut / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Mazda Adli gilt als Deutschlands bekanntester Stressforscher. Er ist Chefarzt der Fliedner-Klinik in Berlin, Stressforscher an der Charité und Autor des Buches „Stress and the City: Warum Städte uns krank machen. Und warum sie trotzdem gut für uns sind.“

Herr Adli, leere Regale in Discountern, Hamsterkäufe, Menschen, die mit Mundschutz vor die Tür gehen. Momentan hat man in Berlin das Gefühl, die Apokalypse stehe bevor. Ist das noch normal? 
Es beschreibt die Angst, die wir im Moment in weiten Teilen der Bevölkerung erleben. Als Psychiater weiß ich, dass viele Leute ganz unsicher sind, wie sie dieses Risiko für sich persönlich bewerten sollen. Und diese Unsicherheit macht Angst und führt zu solchen völlig irrationalen Verhaltensweisen.

Wovor haben die Menschen genau Angst?
Im Prinzip ist es eine Angst vor etwas ganz Abstraktem – vor einer Gefahr, die man nicht beziffern kann. Wir starren dann wie gebannt auf die Zähler, die die mit dem Corona-Virus Infizierten zählen und die stündlich hochgehen …

und mit jedem Infizierten bekommt man eine Push-Meldung aufs Handy …
So etwas ist total schädlich. Diese newstickerartige Präsentation von steigenden Infizierten-Zahlen oder Großveranstaltungen, die abgesagt wurden, gibt uns das Gefühl: Etwas Unheilvolles steht bevor. Ein Risiko, das man nicht einschätzen kann. Eine Gefahr, die man vermeintlich nicht beeinflussen kann und der man sich total ausgeliefert fühlt. Und wenn wir eine Gefahr als als schlecht kontrollierbar und unvorhersehbar empfinden, entsteht automatisch große Angst. Und wer da noch von Natur aus ängstlich ist, hat es dann besonders schwer.

Ist diese Angst begründet?
Nein, es sind irrationale Ängste, die stimuliert werden, weil wir das Gefühl haben, wir würden wahnsinnig bedroht. Sobald wir glauben, ein Risiko nicht abschätzen zu können, neigen wir zum Worst-Case-Szenario. Das ist ganz normal. Obendrein ist es auch noch eine Bedrohung, die ganz viele Menschen gleichzeitig betreffen kann. Darauf regieren wir evolutionär bedingt besonders empfindlich. So entsteht eine Angst, die ganz extrem werden kann.

Die Medien können diese Angst ja nicht ignorieren. Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie ihnen die Verantwortung für diese Hysterie zuschieben?
Nein, die Angst greifen Sie ja auch auf. Das ist hilfreich, wenn die Leser verstehen, dass in solchen Situationen schnell irrationale Ängste entstehen und diese aber einem nicht nachvollziehbaren Mechanismus folgen. Mich stört aber die Art und Weise, wie uns zumindest einige Medien mit dieser Gefahr konfrontieren.

Wie sollte die Berichterstattung denn aussehen?
Was wir brauchen, ist eine sachliche Berichterstattung. Der Einzelne muss eine nüchterne Einordnung des Risikos an die Hand bekommen. Er muss wissen: Wieviele Menschen sind tatsächlich infiziert? In welchem Prozentbereich bewegt sich das? Solche Zahlen können helfen, die Verhältnismäßigkeit einer Gefahr greifbar werden zu lassen.  

Bei der Corona-Krise hat die Bundesregierung tagelang tiefgestapelt. Erst als schon die ersten Toten aus Italien gemeldet wurden, sprach der Bundesgesundheitsminister vom Beginn einer Epidemie. Wie bewerten Sie die Informationspolitik der Regierung?
Die Bewertung der Epidemie hat sich verändert. Es sah erst danach aus, als könne man das Infektionsgeschehen durch die fallweise Nachverfolgung und Quarantäne unter Kontrolle bekommen. Dann wurde die Gefahr für Deutschland schrittweise hochgestuft, von „gering“ auf „mäßig“. Ich kann diese Bewertung nachvollziehen. Ich hätte es auch nicht richtig gefunden, wenn man gleich am Anfang die lautesten Alarmglocken geläutet hätte.

Aber wenn die Gefahr von Anfang an klar war, war es dann nicht fahrlässig, sie zu verschweigen?
Es wurde ja nicht verschwiegen. Es bot sich anfänglich ein anderes Bild, was Ausbreitungsmuster und Charakteristika der Infektion angeht. In der Gesundheitsaufklärung ist es wichtig, den Menschen verständlich zu machen, was wahrscheinlich passieren wird. Und dabei keine katastrophisierenden Angstgedanken zu provozieren. Das versetzt viele ungewollt in Panik. Und das ist etwas, was uns in dieser Situation überhaupt nicht hilft. 

Angst entsteht also dann, wenn man das Gefühl hat, man ist einer Gefahr hilflos ausgeliefert?
Genau. Angst entsteht unmittelbar aus der Bedrohung, die wir als unbeeinflussbar einschätzen. Wenn wir das Gefühl bekommen, da draußen lauert ein Virus, und ich kann mich nicht gegen ihn schützen, setzt sich so eine Angstspirale in Gang. Irgendwann gerät die außer Kontrolle.

Mazda Adli / privat 

Wie muss man sich das vorstellen?
Wenn man ängstlicher veranlagt ist, entstehen im Kopf schnell Katastrophengedanken. Man versucht dann, Kontrolle über die Situation zu gewinnen, indem man zum Beispiel ständig die Newsticker checkt. Das ist so ein Pseudo-Absicherungsverhalten …

... das es aber nur noch schlimmer macht, weil man desto mehr Angst bekommt, je mehr man erfährt?
Genau. Für ein paar Sekunden fühlt man sich dann tatsächlich auch etwas weniger angespannt. Aber das dreht wenig später die Angstspirale nur noch weiter an. Unsere  Wahrnehmung verengt sich dann. Wir nehmen nur noch Dinge wahr, die diese Angst bestätigen. Dann haben wir noch viel mehr das Gefühl, einer unkontrollierbaren Situation ausgeliefert zu sein. Und das Gefühl ist diese Spirale, die sich dann immer weiter hochschraubt.

Dabei ist Angst ja eigentlich erstmal was Positives.
Absolut. Aber man kann auch daran erkranken. Es kommt eben immer auf das Ausmaß an.

Die Angst vor dem Coronavirus ist nicht die einzige Angst, die viele gerade beschäftigt. Dazu kommt die Angst vor einer wirtschaftlichen Krise durch die Epidemie. Es gibt die Angst vor einer zweiten „Flüchtlingskrise“ – und die die Führungskrise der CDU und der Volksparteien allgemein. Was macht es mit Menschen, wenn sie pro Tag gefühlte 999 Mal mit dem Wort „Krise“ konfrontiert werden?
Eine gute Frage. Tatsächlich ist das etwas, was uns auch nicht gut tut. So etwas versetzt uns in einen Alarm-Modus. Und der ist nicht angebracht. Wir leben in einer digitalen Zeit, in der uns schlechte Nachrichten besonders schnell erreichen – und das rund um die Uhr. Das ist dieses Newsticker-Phänomen. Wir Menschen reagieren sensibler, wenn es um schlechte Nachrichten geht. Das ist evolutionär bedingt.

Zeigen das auch Ihre Erfahrungen mit Ihren Patienten?
Ja, in den vergangenen Jahren erlebe ich es immer häufiger, dass vor allem junge Patienten an einem unpredictible-future-Syndrom leiden.

Was meinen Sie damit?
Die Unsicherheiten haben subjektiv zugenommen. Gerade die ständige Präsenz von Katastrophenmeldungen gibt uns fälschlich das Gefühl in einer total unsicheren Welt zu leben – die aber eben überhaupt nicht unsicherer geworden ist. Diese Angst vor dem Corona-Virus erinnert mich ein bisschen an die Angst vor dem Terror, wie sie nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz kursierte. Es ist die Angst, dass man nur vor die Tür gehen müsste, um Opfer eines Terroraktes zu werden. Das ist natürlich völlig absurd. Die Gefahr, in Europa einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, ist heute geringer als in den siebziger Jahren. Trotz der schrecklichen Ereignisse von Hanau. Wir verlernen gerade, das Risiko einzuschätzen. Und das hat eben auch etwas mit der Informationsverarbeitung zu tun – und damit, dass mit der Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung auch die emotionale Ansteckung groß wird. Und die geht ratz-fatz.  

Das heißt, man schaltet den Verstand aus und folgt nur noch dem Gefühl?
Genau. Wir reagieren zum Beispiel auf Bilder sehr schnell und emotional. Erst durch die journalistische Aufarbeitung relativieren wir die Ereignisse. Wenn diese Aufarbeitung aber fehlt …

... und auf Twitter einfach nur Bilder oder Behauptungen rausgehauen werden …
... dann lassen wir uns von Emotionen anstecken, und das funktioniert leider besonders gut bei Angst.

An der türkisch-griechischen Grenze bahnt sich eine neue Flüchtlingskrise an. Warum ist die Angst davor nicht zu unterschätzen, auch wenn die Situation dort leichter zu überschauen ist, als eine mögliche Corona-Pandemie oder eine neue weltweite Wirtschaftskrise?
Eine realistische Bewertung dieser Situation fällt uns zwar leichter. Das Thema wird aber schnell von populistischen Akteuren missbraucht, die die Situation nutzen, um die Angst zu schüren, dass uns eine diffuse Gefahr droht.

Warum „diffuse“ Gefahr? Nach den Erfahrungen mit 2015 muss man doch damit rechnen, dass unter diesen Flüchtlingen auch einige sind, die zur Gefahr für die Bevölkerung werden können? 
Aber dieses Risiko ist doch in keiner Weise größer oder kleiner als unter den Menschen in Deutschland auch. Ich glaube vielmehr, dass einige Ängste, die der Umgang mit dem Thema triggert, so etwas wie „territoriale Urängste“ sind, die in uns stecken. Es ist emotionaler Missbrauch, wenn Populisten an diesen Hebeln ziehen.   

Der AfD-Bundestagsabgeordete Gottfried Curio schreibt auf Twitter: „Deutschland droht ein zweites 2015, diesmal mit Hardcore-Islamisten.“ Wie groß ist der Einfluss der Populisten auf die Ängste in Bevölkerung? 
Sehr groß. Wenn Emotionen aktiviert werden, haben Populisten ein leichtes Spiel. Und das wissen sie. Menschen werden dann emotional missbrauchbar. Sie neigen dann dazu, einem vermeintlichen Heilsbringer zu folgen.

Aber gibt es diesen emotionalen Missbrauch nicht auch auf der anderen Seite, wenn Grüne oder Linke auf Twitter unter dem Hashtag #WirhabenPlatz die bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen fordern?
Appelle an die Hilfsbereitschaft finden auf einer anderen Ebene statt als Appelle an den Hass. Sie lassen den Menschen genug Platz, um selbst zu entscheiden, ob sie helfen wollen. Da wird ein etwas komplexeres, philantropisches Verhalten beworben, keine rohen Emotionen.

Krankheit, Terror, Flüchtlingskrise. Ist die Angst vor diesen drei Phänomenen auch der Ausdruck mangelnden Vertrauens in den Rechtsstaat und in die Politik?
Nein, das ist es nicht. Sie ist das Ergebnis einer erwartbaren, psychologischen Reaktion. Der Politik kommt in diesen Zeiten viel mehr noch eine wichtige moderierende – ja manchmal sogar: therapeutische – Aufgabe zu. Sie sollte den Menschen helfen, die Emotionen in gemäßigten Bahnen zu halten. 

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