„Brücken-Lockdown“-Vorstoß - „Laschet wollte Sympathien bei der Kanzlerin gewinnen“

NRW-Ministerpräsident Laschet fordert einen „Brücken-Lockdown“. Doch wäre der überhaupt zielführend? Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Infektiologe Andrew Ullmann vermutet im Interview eher politische Motive hinter dem Vorstoß.

Armin Laschet präsentiert seine Idee zum „Brücken-Lockdown“ / dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Andrew Ullmann ist Professor für Infektiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, internistische Onkologie und Infektiologie. Seit 2017 vertritt er die FDP im Bundestag.

Herr Ullmann, Armin Laschet einen „Brücken-Lockdown“ vorgeschlagen. Das hieße, dass Deutschland erneut in einen harten Lockdown von zwei bis drei Wochen geht, bis eine hohe Zahl an Bürgern geimpft ist. Ist das eine zielführende Strategie?

So eine Strategie ist in Modellberechnungen zielführend, weil sie in Modellen gut funktionieren. Nur hat Herr Laschet hier eine Worthülse verwendet, denn wir hatten bereits eine Notbremse, härtere Lockdowns und sogar einen Wellenbrecher-Lockdown. Die Wortwahl hier zu verändern, ist nicht genug, man muss auch zeigen, was man eigentlich erreichen möchte. Es geht sogar vielmehr darum aufzuzeigen, wie man Ziele erreichen möchte und wie man die Bevölkerung dabei einbindet. 

Die Akzeptanz der Bürger gegenüber den politischen Maßnahmen schwindet. Ist dann auch nicht das private Zusammentreffen die größte Gefahr für die Ausbreitung des Virus? 

Das ist es tatsächlich, denn das RKI hat bei Veröffentlichung der Zahlen gezeigt, dass gut die Hälfte der Infektionen und der Infektionsketten im privaten und familiären Umfeld stattfinden. Hier bedarf es natürlich mehr Eigenverantwortung, denn man kann nicht davon ausgehen, dass die Polizei private Treffen regelmäßig kontrolliert. Doch gerade mit einem Lockdown sorgen wir dann sogar mehr dafür, dass sich die Menschen im Privaten treffen und das ist natürlich kontraproduktiv.

Deswegen muss man Dampf aus den Kesseln lassen und versuchen, mit vernünftigen Maßnahmen eine Lockerung herbeizuführen. Das aber nicht radikal, denn wenn die Inzidenzen hoch sind, können wir nicht alles öffnen. Aber wenn wir die Risiken einer Infektionskette reduzieren, neben der AHA-Regel auch regelmäßige Testungen durchführen, dann minimieren wir das Risiko einer Ansteckung und die Menschen haben das Gefühl, einen weiteren Schritt Richtung Normalität gehen zu können. 

Es wird bereits Kritik an Laschets Idee eines „Brücken-Lockdowns“ lauter. Glauben Sie, dass Laschet mit dem harten Kurs der Kanzlerin vielmehr nur „gefallen“ möchte? Es geht ja schließlich auch um die Kanzlerkandidatur für die nächste Bundestagswahl. 

Ich denke, Herr Laschet hat hier mit der Umbenennung des Lockdowns das Ziel verfolgt, Sympathien in der Union und bei der Kanzlerin zu gewinnen und natürlich auch zu zeigen, dass er hart durchgreifen kann. Denn das, was bei der Union zählt, ist hartes Durchgreifen, anstatt vernünftige Maßnahmen zu ergreifen. Hier muss man auch klar konstatieren, so kann Politik nicht funktionieren, wenn eine Person im Alleingang, insbesondere wenn es letztendlich um einen Posten geht, Entscheidungen trifft. In der Krise ist es wichtig, deutschlandweit, idealerweise auch europaweit, die gleichen Regeln zu haben, die dann regional angepasst und angewendet werden. 

Andrew Ullmann

Seit Beginn der Pandemie steht auch der Föderalismus im Zentrum politischer Debatten. Wie beurteilen Sie dahingehend die Öffnungsstrategien des Saarlands? 

Ich finde die Vorgehensweise des Ministerpräsidenten im Saarland scheinheilig. Denn zu bezeichnen, dass das Saarland ein Modellland wird, um dort Öffnungen zu gestatten, ist nicht der richtige Weg. Hier bedarf es erstmal einer wissenschaftlichen Begleitung mit adäquater Fragestellung und der regionalen Anpassung der Strategien, die angewendet werden müssen, und zwar in beide Richtungen. 

Auch in München öffnen die Museen wieder. Sollte nicht insgesamt eine einheitliche Strategie aus Testen und daraus resultierenden Freiheiten gefahren werden? 

Ja. Die Maßnahmen, die wir ergreifen, sollen das Risiko einer Ansteckung reduzieren. Das heißt, eine begrenzte Anzahl von Menschen in Geschäften, das Einhalten der AHA-Regeln, und mit einer Teststrategie, zum Beispiel eines Schnelltestes oder eines Selbsttestes, einen weiteren Baustein dazuzusetzen. Das wäre aus meiner Sicht ein moderner und richtiger Weg im Umgang mit der Pandemie. Da gibt es mit Sicherheit mehrere moderne Möglichkeiten, um für die Gesellschaft das Risiko zu minimieren. 

Gleichzeitig wird auch die Forderung lauter, dass Geimpfte ihre Freiheiten zurückbekommen sollen. Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein? 

Der Staat ist immer in der Pflicht, zu begründen, warum die Freiheit der Menschen eingeschränkt wird. Hier müssen wir auch erst einmal klar wissen, inwieweit Geimpfte noch eine potentielle Gefahr für andere Menschen darstellen. Aber ich möchte nicht sagen, dass geimpfte Menschen ohne Maske oder Vorsichtsmaßnahmen die Welt bereisen können. Die bereits geimpft sind, brauchen keine Schnellteste mehr durchzuführen, aber sie müssen sich natürlich an die bestehenden AHA-Regeln und die begrenzte Anzahl an Besuchern in Museen oder Geschäften halten. 

Die jungen Menschen stehen ganz am Ende der Impfpriorisierung, dabei haben sie für die Risikogruppen ihre Freiheiten weit eingeschränkt. Entsteht dabei nicht eine Unverhältnismäßigkeit? 

Hier muss man eine Differenzierung vornehmen. Sollte es der Fall sein, dass von Geimpften keine potentielle Ansteckung ausgeht, dann können wir ihnen Grundrechte nicht vorenthalten. Doch bis jetzt wissen wir nur, dass Impfungen Krankheiten verhindern, eine Ansteckung weniger wahrscheinlich sein wird, aber doch weiterhin möglich sein kann. 

Für das Verhältnis zwischen Alt und Jung kann ich sagen: Für die Älteren, die bereits vollständig geimpft sind, soll die Impfung als Ersatz für einen negativen Schnelltest gelten, das heißt, die anderen Regeln, die bereits existieren, müssen weiter eingehalten werden.  

Wie vertrauenswürdig sind die Entscheidungen der Regierung überhaupt noch? Es scheint ja inzwischen jeder jedem in den Rücken zu fallen, die Ministerpräsidenten der Kanzlerin, der Bund den Ländern, die Länderchefs sich gegenseitig.

Das ist sicherlich eine noch ungelöste Herausforderung. Nochmal zurück zum Föderalismus. Der Föderalismus war in der Pandemiebekämpfung in Deutschland nicht immer hilfreich. Denn nach den Konferenzen haben verschiedene Ministerpräsidenten wiederholt versucht, sich mit Änderungen der abgesprochenen Maßnahmen in ihrem Land zu profilieren. Deshalb sollten wir darüber diskutieren, inwieweit einheitliche Regeln, die auch angewendet werden können, anders legitimiert werden.

Wenn die Länder sich nicht über einheitliche Regelwerke abstimmen können, und diese keine zwölf Stunden alt werden, bedarf es mehr einer bundesweit einheitlichen Struktur. Hierzu haben wir die Parlamente, und der Bundestag wäre da sicherlich handlungsfähig, bundeseinheitliche Regeln zu schaffen. Ich bin eigentlich ein starker Befürworter des Föderalismus, aber im Verlauf dieser Pandemie müsste man das sicherlich nochmal überdenken, ob da nicht bundesgesetzgeberische Möglichkeiten gegeben sind. Aber das heißt noch lange nicht, dass dann auch alles glattläuft, nur weil es vom Bund kommt. 

Wir erleben es momentan in Frankreich mit einer zentralistischen Regierung. Dort sind hohe Infektionszahlen und Überlastungen des Gesundheitssystems vorhanden, das heißt, es gibt auch genauso gut Gegenbeispiele. Nur wenn wir in Deutschland versuchen, föderal zu denken und zusammenzuarbeiten, wäre es ganz gut, wenn man sich auch länger als zwölf Stunden an die Abmachungen hält. Diese Regeln können dann regional, anhand des Infektionsgeschehen angepasst, angewendet werden. 

Insgesamt blicken Sie aber recht zuversichtlich auf den Sommer und das von Herrn Spahn gemachte Versprechen eines Impfangebotes für jeden? 

Bei aller Kritik, die ich gegenüber dem Bundesgesundheitsminister Spahn hege, gehe ich davon aus, dass er die Zahlen, die er veröffentlicht hat, bezüglich der Impfdosen, die erhältlich sein sollen für Deutschland, tatsächlich zum Sommer hin jedem ein Impfangebot gemacht werden kann. Wichtig dabei ist, dass dies nicht am deutschen Bürokratismus scheitert. Wir müssen zusehen, dass wir genügend Impfärzte haben, die gewillt sind, unsere Gesellschaft zu impfen. Hier bedarf es einer guten Koordination mit den niedergelassenen Ärzten und Betriebsmedizinern, wie wir diese Mammutaufgabe bewältigen können. 

Die Fragen stellte Sina Schiffer.

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