Der Kampf gegen das Virus - „Ich dachte, ich sterbe“

In Deutschland sind bislang über 8.600 Menschen mit und an Corona gestorben. Bernd Hohmann hat überlebt. Im Interview erzählt er, wie er gegen die Krankheit gekämpft und versucht hat, andere zu warnen. Obwohl er offiziell genesen ist, leidet er unter den Spätfolgen.

„Husten Sie mal 24 Stunden – und versuchen Sie dabei zu atmen“: Bernd Hohmann / privat
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Bernd Hohmann, 63, ist selbstständiger Zahntechniker-Meister in Bochum. Er wäre im März beinahe an dem Virus Covid-19 gestorben und leidet heute noch unter den Folgen. Weil er an Diabetes leidet und schon einen Herzinfarkt hatte, gehört er zur Risikogruppe. 

Herr Hohmann, Sie haben sich im März mit Covid-19 infiziert und auf der Intensivstation tagelang gegen den Tod gekämpft. Wie fühlt es sich an, wenn man keine Luft mehr bekommt?
Es ist so, als ob Sie gerade einen Marathon gelaufen haben und hinter der Ziellinie einen Strohhalm bekommen, durch den Sie atmen sollen. So etwas geht eigentlich nicht. Ich hab 24 Stunden am Tag gehustet, gehustet, gehustet – und versucht, dabei zu atmen. 

Wie geht das?
Man hat keinen Rhythmus mehr. Man weiß nicht, wann man husten und wann man atmen soll. Man muss also Luft holen, während man hustet. Ich weiß immer noch nicht, wie ich das geschafft habe. Aber irgendwie ging es. Man weint dabei. Die Tränen sind überall. Aber man überlebt. 

Gab es Momente, wo Sie gezweifelt haben, ob Sie es schaffen? 
Doch, zwischendurch war ich gar nicht mehr richtig da. Ich hatte immer wieder denselben Traum. Ich stehe auf einem mittelalterlichen Marktplatz mit einen Raben, der größer als  ein Mensch war. Er versucht, mit seinem Schnabel ein Buch aus Metall zu öffnen, und ich war der einzige, der versucht hat, ihn daran zu hindern. 

Warum?
Wenn er es geschafft hätte, wäre das Virus in der ganzen Welt. Es war, als würde ich mir selber dabei zuschauen, wie ich die Welt rette.

Warum haben Sie sich nicht künstlich beatmen lassen?
Das war nicht nötig. Das hätte ich aber auch nicht gewollt. Ich hab nach dem Tod meiner Mutter eine Patientenverfügung unterschrieben: Wenn ich irgendwann im  Krankenhaus liege, will ich nicht künstlich beatmet werden. 

Ihr kritischer Zustand hielt drei Tage an. Muss man die Kondition eines Marathonläufers haben, um das durchzuhalten?
An die ersten drei, vier Tage kann ich mich nur ganz schlecht erinnern. Hinterher haben mir die Pfleger und Schwestern erzählt, dass ich die ersten Nächte herumgeschrieen hätte. Ich denke, das lag an diesem immer wiederkehrenden Traum. 

Grippeähnliche Symptome hatten Sie schon vorher. Warum haben Sie keinen Arzt aufgesucht?
Hatte ich ja. Acht Tage, bevor mich der Rettungswagen abholte, war ich beim Arzt. Der hat die Lunge abgehört und meinte: „Da ist nix.“ Ich hab gefragt, ob er nicht einen Abstrich auf Covid-19 machen will. Er hat gesagt, das ginge nicht. Dann müsste er seine Praxis dichtmachen – und seine Frau müsste ihre Praxis dichtmachen. Die Schule seines Sohnes müsste geschlossen werden.

Aber doch nur, falls Sie positiv getestet würden?
Das dachte ich auch. Aber er hat es mir so erklärt. Ich konnte nicht beurteilen, ob das stimmt. Ich hab mir Tabletten verschreiben lassen und hab mich zu Hause hingelegt. Aber es wurde nicht besser, sondern schlechter. Am Ende war ich nicht mehr ansprechbar. Die Sauerstoffsättigung lag nur noch bei 82 Prozent.

Wussten Sie da schon, dass Sie sich mit Covid-19 infiziert hatten?
Nein, dabei hatte ich mir über einen befreundeten Zahnarzt einen Test besorgt. Der war aber negativ ausgefallen. Einen Tag später wurde ich im Krankenhaus auf positiv getestet. 

Aus dem Krankenhaus haben Sie ein Handy-Video von sich gedreht. Man sieht Sie mit einer Sauerstoffmaske im Bett, und Sie appellieren an Jugendliche, keine Partys mehr zu feiern. Wie sind Sie in Ihrem Zustand auf die Idee gekommen, einen Appell nach draußen zu schicken?
Das war an Tag 5. Da war ich schon wieder auf dem Weg nach vorne. Ich hatte vorher in der Zeitung ein Foto gesehen, auf dem Jugendliche eine Corona-Party gefeiert haben. Ich wollte das Video meiner Frau schicken, um ihr zu sagen, wie beschissen ich das finde, dass die Kinder solche Sachen veranstalten. Ich wollte zeigen: Corona gibt es wirklich. Meine Frau hatte die Idee, das auf Facebook hochzuladen, damit die Jungs das auch sehen. Und dieses Video wurde zum Selbstläufer. Tausende haben das gesehen. 

Wie haben die Leute reagiert?
Die waren durch die Bank weg erschrocken. Von denen hatte wohl keiner daran gedacht, dass man so nah daran sein kann, an Corona zu sterben. Ich habe mich jetzt erst dazu überwinden können, das Video anzuschauen. 

Und was haben Sie gedacht?
Es war nötig. Ich würde es wieder so machen.  

Kannten Sie damals schon die Fotos von den Lastwagen, die die Särge aus Bergamo in die Krematorien gebracht haben?
Ja. Als ich die gesehen hab, habe ich gedacht: Hoffentlich komm ich hier heile raus. Hätte ich damals schon gewusst, was da noch alles auf mich zukommen würde, hätte ich noch mehr Angst gehabt. Diese Infektion zu überstehen, ist eine Sache, aber mit den Folgen zu leben, ist das andere. 

Jetzt werden Stimmen von Menschen lauter, die hinter der Infektion eine Verschwörung wittern. Was würden Sie denen sagen?
Ich weiß nicht, wie dieses Virus in die Welt gekommen ist. Aber ich glaube nicht, dass die Chinesen daran Schuld sind. Es war eine Mutation. Und Menschen wie ich, die ein geschwächtes Immunsystem haben, sind dafür empfänglich. 

Können Sie nachvollziehen, dass Menschen daran glauben, dahinter stecke der Plan von Bill Gates & Co, die Weltherrschaft zu übernehmen?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe einen Freund, der auch so ein wirres Zeug redet. Der versucht immer, mich auf irgendwelche Demos mitzuschleppen. Der lebt rational in einer ganz anderen Welt. Man kann mit ihm nicht darüber reden. 

Hat er Ihr Video nicht gesehen?
Doch, aber er tut die Krankheit „als kleine Lungenentzündung“ ab. Dabei halten er und die anderen Corona-Leugner immer sechs, sieben, acht Meter Abstand zu mir. Man will ja keine Lungenentzündung kriegen. Merkwürdig, oder?

Die Demos richten sich gegen die Einschränkung der Freiheitsrechte in der Corona-Krise. Haben Sie Verständnis für den Unmut der Leute?
Nee, nee. Also mir fehlt sonst nichts. Diese Pandemie ist für alle neu, wir haben diesen Zustand erst seit vier Monaten. Und dafür, finde ich, haben es Bund und Länder gut gemacht. Ich bin selbständiger Zahntechnikermeister mit zwei Angestellten. Ich  hab finanzielle Hilfe beantragt, nach einem Tag war das Geld da, ratz-fatz. 

Eine Maske zu tragen, stört Sie auch nicht?
Wenn ich damit die Omma schützen kann, die mir gegenüber steht, mach ich das gerne. 

Dabei kriegen Sie immer noch schwer Luft. 
Das ist leider so. Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen bin, habe ich die erste Woche nur im Bett gelegen. In der zweiten Woche habe ich versucht, zu laufen, was aber auch nicht geklappt hat. Der Husten war auch wieder da. Vom Gefühl her war das ein Rückschritt. In der dritten Woche war ich einmal im Baumarkt, weil ich nicht glauben wollte, dass die Menschen dort wieder anstehen. Und dann bekam ich einen Herzinfarkt. 

Auf der Isolierstation bekamen Sie Malaria-Tabletten, obwohl noch nicht erwiesen war, ob die gegen Covid-19 helfen. Heute weiß man, dass diese Tabletten Herz-Rhythmus-Störungen verursachen. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Nein, dieser Herzinfarkt kam aus heiterem Himmel. Vor sechs Jahren hatte ich schon mal einen. Die Ärzte wissen nicht, ob dieser Herzinfarkt  auf das Virus zurückgeht. 

Beunruhigt Sie das?
Nein, die Jungs machen ihren Job. Die wissen auch noch nicht, wie das Virus wirkt. Das entwickelt sich erst in der Medizin. Ich hab drei Stents bekommen. Es war relativ unspektakulär. 

Es war kein Schock?
Nein, für mich war das nicht so dramatisch. Die Tage mit Covid-19, die waren schlimm. Ich dachte, ich sterbe. Auch jetzt habe ich Angst. 

Wovor?
Dass ich eine Demenz entwickele. Ich vergesse jetzt sehr viel. Mir fällt plötzlich nicht mehr der Name meines Gegenübers ein. Ich weiß nicht mehr, wo die Teller stehen oder wo ich wohne. 

Sie suchen jetzt andere Betroffene. Um eine Selbsthilfegruppe zu gründen?
Nein, die gibt es ja schon, aber da trifft man kaum Menschen, die wie ich auf der Intensivstation gelegen haben. Ich habe jetzt eine Frau kennengelernt, die vier Wochen im Koma lag. Mit der tausche ich mich aus. 

Was wünschen Sie sich von der Politik, damit Ihnen besser geholfen werden kann?
Eigentlich nichts, ich wünsch mir eher was von meinen Mitmenschen. 

Nämlich was?
Eine gewisse Akzeptanz. Als jemand, der an Corona erkrankt war, werden Sie ja behandelt, als wenn Sie die Pest hätten. Sobald Sie erzählen, dass Sie mit Covid-19 im Krankenhaus gelegen haben, denken die anderen, Sie wären immer noch ansteckend. 

Woran merken Sie das?
Freunde finden plötzlich tausend Ausflüchte, warum sie nicht mehr zu Besuch kommen. Sie sind völlig isoliert. Man muss aufpassen, dass man da keine Paranoia entwickelt. 

Der Gesundheitsminister denkt laut über einen Immunitätsnachweis für Menschen nach, die sich schon mit Covid-19 infiziert haben. Würde der Ihnen helfen?
Ich fände das gut, aber ich bin da unsicher. Ich glaube, die Leute hätten trotzdem Angst vor mir. Diese Angst kann man nicht greifen, weil keiner sagen kann, was es wirklich ist. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.  

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