Cicero Jugend-Serie „Contra Woke” - Das Leid junger Menschen während Corona: „Ich stand auf der Brücke und überlegte zu springen”

Die Corona-Pandemie gilt als überwunden. Junge Menschen litten in dieser Zeit besonders unter den Kontaktreduzierungen und Lockdowns. Wir haben mit vier Betroffenen über ihre Erfahrungen mit Einsamkeit, Ängsten und der Ausgrenzung von Ungeimpften gesprochen.

Ein Junge läuft auf einer Treppe / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Die Medien sind in den letzten Jahren daran gescheitert, ein Bild der jungen Generation zu zeichnen, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wir möchten die Debatte über die Generation Z daher nicht länger identitätspolitisch motivierten Redaktionen überlassen. Denn junge Menschen bewegt mehr als Fridays for Future, Body Shaming und Black Lives Matter.

Die Cicero Jugend-Serie „Contra Woke“ möchte all jenen jungen Menschen eine Stimme geben, die dem vorherrschenden woken Zeitgeist nicht entsprechen, aber gehört werden müssen, um die echte Lebensrealität und die wahren Sorgen der jungen Generation zu verstehen. Sie möchten selbst einen Artikel einreichen? Gerne, schreiben Sie uns hierfür eine Mail an: redaktion@cicero.de.

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Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

„Ungeimpfte Schüler wurden an meiner Schule ausgegrenzt und bloßgestellt“

Ich besuchte eine Schule in Dortmund und stand kurz vor dem Abitur. Alle ungeimpften Schüler hatten sich an meiner Schule immer zu Beginn eines Tages im Klassenverbund testen lassen müssen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Religionslehrer 20 Minuten lang auf meine Freundin verbal eindrosch. 

Da sie nicht geimpft war, stellte er sie vor der ganzen Klasse als unverantwortliche Egoistin bloß, die eine Gefahr für die Gesundheit aller an der Schule sei. Wie er uns erzählte, überstand der Lehrer gerade eine Krebserkrankung, weshalb er ihre Entscheidung sehr persönlich nahm. Er sagte sogar, dass er sie dafür verantwortlich machen werde, falls er wieder erkranken sollte. Meine Freundin rannte weinend mit einer Panikattacke aus dem Klassensaal.

Allen voran der Schulleiter war es, der diesen Geist beförderte. Zu beobachten war dies, wenn das Impfmobil mal wieder an unserer Schule vorbeikam. An diesen Tagen übte er in seinen durch die Lautsprecher der Klassensäle dröhnenden Reden vehementen Druck auf die ungeimpften Schüler aus. Es ging auch bei ihm so weit, dass er den ungeimpften Schülern in einer Rede die Schuld daran gab, falls er oder eines seiner Kinder im Krankenhaus landen würde. Jeder an der Schule wusste, welche Schüler damit gemeint waren. 

Ungeimpfte Schüler wurden an meiner Schule knallhart ausgegrenzt und bloßgestellt. Doch die meisten Lehrer und Schulkameraden haben einfach nur zugesehen. Irgendwann hielt ich dieses vergiftete Klima nicht mehr aus und wechselte die Schule.

Nesrin, Dortmund, 24 Jahre

 

Zuletzt in der Jugend-Serie „Contra Woke“ erschienen:

 

„Ich bekomme Tränen, wenn ich an meine Selbstmordgedanken zurückdenke“

Ich studierte zu dem damaligen Zeitpunkt katholische Theologie in Regensburg und fühlte mich furchtbar einsam. In meinem Studentenwohnheim war Besuch während des Lockdowns im Winter 2021 nur sehr ungern gesehen, und die Küche durften wir nur einzeln mit FFP2-Maske betreten. Im Eingangsbereich des Wohnheims stand die Tür der Verwaltung immer offen, weshalb man sich auf Schritt und Tritt beobachtet fühlte. Es fühlte sich für mich an wie in einem Gefängnis. Als ich mit der Verwaltung über die strikten Regeln sprechen wollte, hatten sie nur wenig Verständnis.

Der Prüfungsstress lähmte mich zusätzlich, denn die Situation an meiner Universität war furchtbar. Alles, was das Studieren besonders macht, wurde eingestellt: Es gab weder interessante Diskussionen in den Seminaren noch gesellige Begegnungen in der Mensa. Wir Studenten waren komplett auf uns allein gestellt. 

Ich hatte das Gefühl, dass es für junge Menschen in dieser bedrückenden Zeit kaum psychologische Anlaufstellen gab. Es war eine „Friss oder stirb“-Mentalität, die ich ohne die Hilfe meiner Schwester und meinen Glauben nicht überstanden hätte. 

Dabei hätte es auch ganz anders kommen können: Noch heute bekomme ich Tränen, wenn ich an meine Selbstmordgedanken und Panikattacken zurückdenke. Einmal stand ich sogar auf einer Brücke in Regensburg und überlegte zu springen. Ich hielt mich ganz fest an das Geländer, um mich vor mir selbst und meinen Gedanken zu schützen. In meinen dunkelsten Stunden schien, der einzige Ausweg zu sein, mein Leben zu beenden.

Franziska, Regensburg, 26 Jahre

 

„Wo war eigentlich die Solidarität mit uns Schülern?“

Während des ersten Lockdowns war ich Schüler an einem Gymnasium in Berlin. Auch unsere Schule war heillos überfordert damit, und die allermeisten unserer Lehrer beschränkten sich darauf, uns mehrmals in der Woche große Arbeitsaufträge zuzuschicken. Das war alles. So sah die triste Realität monatelang für uns Schüler während des Corona-Lockdowns aus. Für uns alle war Fernunterricht eine komplett neue Situation. Doch um ehrlich zu sein, machten es sich viele Lehrer in dieser Zeit ziemlich einfach. Und wir Schüler mussten es dann ausbaden. Individualförderung wurde an meiner Schule fast komplett aufgegeben.

Ich hatte es vergleichsweise gut, da ich aus einer bürgerlichen Akademikerfamilie komme. Meine Eltern gaben mir während der Pandemie eine Struktur im Alltag und konnten mich bei den Arbeitsaufträgen immer unterstützen. Ganz anders sah es jedoch bei Klassenkameraden aus, deren Eltern entweder viel arbeiten mussten oder schlicht einen anderen Bildungshintergrund haben. 

Viele meiner sozial weniger privilegierten Schulkameraden sind in dieser Zeit völlig untergegangen und haben dann später auch das Abitur nicht bestanden. Ich kenne von einem Fall, der sich immer häufiger mit Drogen zugedröhnt hat und auf die schiefe Bahn geraten ist. An meiner Schule herrschte das Prinzip „survival of the fittest“.

Während der Corona-Pandemie war „Solidarität“ wohl das beliebteste Wort unter den Politikern. Damit das Virus gestoppt werden und wir vulnerable Gruppen schützen konnten, sollten wir junge Menschen unsere sozialen Kontakte beschränken. Doch wo war eigentlich die Solidarität mit uns Schülern? Wo war die Solidarität mit den sozial Schwächeren an den Schulen, die komplett auf sich allein gestellt waren und von der Politik völlig im Stich gelassen wurden?

Philipp, Berlin, 19 Jahre

„Ich fühlte mich wie ein Ausgestoßener, auf den mit Verachtung heruntergeblickt wird“

Als ungeimpfte Person habe ich während der Pandemie gelitten. Ich erinnere mich noch genau an diese eine WhatsApp-Nachricht, die mich traurig machte. Ein damals guter Freund lud mich von seiner Geburtstagsfeier aus und schrieb mir, dass es ihm schwer gefallen sei, ich seine Entscheidung aber als Denkanstoß sehen sollte. 

In meinem Beruf führte ich ein Doppelleben. Da ich aufgrund möglicher Konsequenzen meinen Impfstatus nicht preisgeben wollte und dies eine Vorgabe war, meldete ich mich über einen Zeitraum von einem Jahr immer wieder als gesundheitlich angeschlagen, sodass ich nicht ins Büro musste. Ich fühlte mich wie ein Aussätziger – nun wusste ich, wie sich Diskriminierung anfühlt.

Ich begann mich immer mehr für die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu interessieren und entschied mich, an einer teilzunehmen. Entgegen vieler verzerrter Darstellungen in den Medien traf ich dort vor allem Familien aus bürgerlichen Verhältnissen an. Wir liefen als Demonstrationszug friedlich auf einer Straße, als plötzlich vermummte und in schwarz gekleidete junge Erwachsene auftauchten und uns aggressiv niederschrien. Auch mich brüllte eine vermummte Person mit den immergleichen Worten „Wir impfen euch alle!“ an. Sein Kopf war 20 Zentimeter von meinem entfernt, und ich konnte seine Spucke sehen. Vor Kindern mit ihren Eltern machten sie ebenfalls keinen Halt und warfen auch auf sie mit Rauchbomben. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine lokale Antifa-Gruppe handelte.

Die Ausgrenzungen, die ich als ungeimpfte Person erfuhr, zerstörten meinen Glauben in die Politik, die Gesellschaft und die Medien. Ich spürte, dass ich meine Standpunkte lieber für mich behielt, da ich nicht in eine Ecke gestellt werden wollte. Die Pandemie hat mir gezeigt, Menschen können grausam werden, wenn der Herdentrieb erst einmal einsetzt. Halt fand ich in Gesprächen mit Menschen, die mich tolerierten und meine kritische Haltung teilten. Meine Erfahrungen während der Pandemie veränderten mein Menschenbild nachhaltig. 

Lukas, Hamburg, 34 Jahre

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