CDU-Politiker Jens Spahn bewertet Habeck-Akten - „Was hier sichtbar wird, habe ich noch nie erlebt“

Nach der Cicero-Veröffentlichung der Habeck-Akten wirft Unions-Fraktionsvize Jens Spahn dem Grünen-Minister ideologisierte Politik vor. Es sei ein „ungeheuerlicher Vorgang“, wenn im Ministerium Sachinformationen verfälscht worden sein sollten und die Öffentlichkeit getäuscht wurde.

Robert Habeck /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Jens Spahn ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er war zuvor Bundesgesundheitsminister und parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.  

Herr Spahn, die Habeck-Akten, die Cicero jetzt veröffentlicht hat, geben einen Einblick in das Innenleben der Ampel-Regierung. Wie bewerten Sie die nun bekannt gewordenen Vorgänge?

Wir sehen einmal mehr eine chaotische Regierungsarbeit der Grünen in ihren Ministerien. Das Heizungsgesetz, der Graichen-Skandal, wir kennen die Methoden schon aus früheren Vorgängen. Wir sehen hier konkret das unsachliche Verändern von Vermerken der Fachebene durch politische Beamte, das Zurechtbiegen von Argumenten an die eigene Parteilogik, im Nachgang das bewusste Täuschen der Öffentlichkeit. Die Frage ist, ob hier ein System Habeck sichtbar wird. Offenbar wird systematisch Ideologie und Parteipolitik über das sachlich Notwendige gestellt und über das, was gut für unser Land wäre.

Sie haben selbst Regierungserfahrung. Sind das ungewöhnliche Vorgänge oder ist das Alltag in einem Ministerium?

Was hier sichtbar wird, habe ich noch nie erlebt. Hier haben politische Beamte, Staatssekretäre und Abteilungsleiter im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium, offenbar eigenständig Vermerke der Fachebene völlig um-, ja im Grunde mit entgegengesetztem Inhalt neu geschrieben. Nach parteipolitischem Gusto. Sollte der Minister vorsätzlich von seinen Spitzenbeamten falsch informiert und getäuscht worden sein, ist das ein ungeheuerlicher Vorgang. Und das würde ein Organisationsversagen zeigen.

Welche Konsequenzen müssen nun gezogen werden?

Wir fordern nun eine rasche und umfassende Aufklärung durch Minister Habeck, das kann so nicht im Raum stehen bleiben. Die CDU/CSU-Fraktion will eine umfassende Akteneinsicht durchsetzen, es muss jetzt schnell eine Sondersitzung des Energie- und des Umweltausschusses anberaumt werden. Habeck muss dringend dem Parlament gegenüber Rede und Antwort stehen in einer für das Land so wichtigen Frage. Das gilt übrigens gleichermaßen für Ministerin Lemke und die parallelen Vorgänge in ihrem Umweltministerium.

Welche Fragen müssen konkret beantwortet werden?

Beim Atomausstieg wurde offenbar getäuscht und getrickst. Wir wollen wissen, ob Minister Habeck das wusste oder ob er sein Haus nicht im Griff hat. Spätestens seit der Anfrage von Cicero vor einiger Zeit hätte Habeck wissen können, dass seine eigenen politischen Beamten ihn seinerzeit nicht ausreichend informiert hatten. Hat er, als er erstmalig davon erfuhr, reagiert und umgesteuert? Welche Maßnahmen hat er ergriffen – oder hat er alles weiterlaufen lassen? Das muss geklärt werden. Denn das wirft auch ein Licht darauf, wie generell im Hause Habeck gearbeitet wird und ob solche Trickserei System hat.

Die Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss und einem Rücktritt stehen schon im Raum, schließen Sie sich dem an?

Wichtig ist, dass wir jetzt einen ernsthaften Aufklärungswillen von Herrn Habeck und auch von Umweltministerin Steffi Lemke sehen. Wenn das nicht passiert, müssen weitere Konsequenzen folgen.

Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) / dpa

Der Atomausstieg wurde möglicherweise auf Kosten von Klimaschutz und Energiepreisen durchgesetzt. Was müssen die sachpolitischen Konsequenzen sein?

Die Akten bestätigen nun das, was wir immer gesagt haben. Das Weiterlaufen der Kernkraftwerke hätte die Versorgungssicherheit erhöht und die Strompreise gesenkt. Genau diese Erkenntnis gab es offenbar auch auf der Arbeitsebene des Ministeriums, nur wurde sie unterdrückt. Wir sehen jetzt, dass die falschen Entscheidungen im Wirtschaftsministerium uns allen Wohlstand gekostet haben.

Wie ist Ihre Perspektive, wenn die Union wieder regiert? Wollen Sie dann wieder auf Kernenergie setzen?

Wir wollen, wenn wir regieren, auf die Option Kernenergie nicht verzichten. Deswegen brauchen wir jetzt dringend ein Moratorium für den Rückbau der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke. Die Ampel ist praktisch und moralisch in der Pflicht, einer nächsten Bundesregierung die Möglichkeit zu lassen, diese Kernkraftwerke wieder hochzufahren.

Nach diesem Vorgang sieht man dann, dass es noch schwieriger wird, nach einer nächsten Bundestagswahl möglicherweise mit den Grünen zu regieren, oder?

Tatsächlich müssen die Grünen jetzt zeigen, ob sie parteipolitische Interessen über die des Landes stellen. Bei den Grünen hat in den letzten zwei Jahren eine Re-Ideologisierung stattgefunden – und dies offenbar nicht nur parteipolitisch, sondern auch in der praktischen Regierungsarbeit. Von der politischen Führung wird sachorientiertes Arbeiten offenbar zurückgedrängt. Die Bundesgrünen müssen sich dringend besinnen und zurück zum Pfad pragmatischer Politik finden, um überhaupt wieder koalitionsfähig werden zu können.

Das Gespräch führte Volker Resing.

 

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