CDU Nachwuchs - Das Netzwerk

In der CDU hat sich eine Gruppe von Nachwuchspolitikern eng zusammengetan, um für die Zeit nach Merkel gerüstet zu sein. Vor allem zwei Themen treibt sie dabei um: Migration und Europa

Erschienen in Ausgabe
Wer kommt, wenn Merkel geht? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Politische Netzwerke, inoffizielle zumal, haben keinen guten Ruf. Sie gelten als geheimbündlerische Hinterzimmerveranstaltungen zum Zwecke der Machtgewinnung und passen nicht ins Bild des demokratischen Wettbewerbs. Der berühmt-berüchtigte „Andenpakt“, angeblich 1979 von zunächst zwölf Mitgliedern der Jungen Union während einer Südamerikareise geschlossen, war noch dazu ein reines Männerbündnis – und konnte seine Existenz immerhin bis zum Jahr 2003 vor der Öffentlichkeit verbergen. Wer dazugehörte, auch darüber wurde viel spekuliert. Eine Traueranzeige in der FAZ vom Februar vergangenen Jahres für den Braunschweiger Anwalt und ehemaligen CDU-Kreisvorsitzenden Bernd Huck gilt seither als eine Art inoffizielles Mitgliederverzeichnis der Andenpaktler: 21 Personen bekunden darin, mit Huck „einen guten Freund verloren“ zu haben, darunter Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, dessen Amtsvorgänger Roland Koch, EU-Kommissar Günther Oettinger, der einstige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz sowie Bundespräsident a. D. Christian Wulff.

Der Legende zufolge hatten sich die „Andinos“ einst gegenseitige Unterstützung bei ihren politischen Karrieren versprochen und dass keiner von ihnen gegen einen der anderen je in Konkurrenz treten werde. Viele von ihnen haben es weit gebracht, ins Kanzleramt jedoch hat es für keinen gereicht. Dass der Andenpakt im Jahr 2002 daran mitgewirkt hat, Angela Merkel zugunsten von Edmund Stoiber als Kanzlerkandidatin zu verhindern, auch das gehört zu den schillernden Erzählungen über das Bündnis. Die Frau aus dem Osten sei der westdeutschen Männerriege schon immer suspekt gewesen – was umgekehrt übrigens genauso stimmen dürfte. Doch nach zwölf Jahren Kanzlerschaft Merkels hat der Andenpakt heute nur noch nostalgischen Wert: Die Mitglieder, so ist zu hören, träfen sich immer mal wieder und unternähmen sogar Auslandsreisen miteinander. Das war es dann aber auch.

Ihnen fehlt das bürgerlich-konservative Profil

Schon deshalb käme wohl keiner aus der Gruppe von zwischen zehn und 20 jüngeren CDU-Politikern auf die Idee, sich als eine Art Andenpakt 2.0 zu definieren – das würde zu sehr nach Klüngel der Vergangenheit klingen. Außerdem sind auch Ostdeutsche dabei, etwa der Sachse und stellvertretende Bundestagsfraktionschef Michael Kretschmer, 42, oder Thüringens CDU-Vorsitzender Mike Mohring, 45. Und mit Julia Klöckner, 44 Jahre alt und Oppositionsführerin in Rheinland-Pfalz, auch eine Frau. Nicht zuletzt will man den Eindruck vermeiden, hier formiere sich im Geheimen ein Widerstandslager gegen den als zu linksliberal empfundenen Kurs der Bundeskanzlerin. Tatsächlich aber eint Leute wie Jens Spahn (37, Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium), Carsten Linnemann (39, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung), Günter Krings (47, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium) oder Ralph Brinkhaus (49, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag) ein Gedanke: dass nämlich ihre Partei an bürgerlich-konservativem Profil verloren habe. Und dass das vor allem der AfD zugutegekommen sei.

Allerdings stellt sich diese Riege politischer Nachwuchskräfte deutlich geschmeidiger an als etwa der polternde Horst Seehofer, wenn es darum geht, Kritik am Regierungskurs zu üben. Ab und zu werden gezielte Spitzen gesetzt, zum Beispiel als Jens Spahn Anfang März in der Zeit verkündet, er habe „manchmal den Eindruck, dass die gesellschaftliche Mitte mittlerweile rechts von der CDU liegt“. Danach herrscht dann aber erstmal wieder Ruhe, im jetzt beginnenden Wahlkampf ohnehin. So wird thematisch das Terrain abgesteckt, ohne sich dem Vorwurf notorischer Merkel-Kritik auszusetzen. Was allerdings nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass hier eine Generation jüngerer Unions-Leute so langsam ungeduldig und spätestens mit Beginn der nächsten Legislaturperiode Ansprüche stellen wird – inhaltlich wie personell. Denn ihnen fällt schon lange auf, dass die Kanzlerin und Parteivorsitzende am liebsten auf altbewährte Mitarbeiter setzt: Die meisten CDU-Minister in ihrem Kabinett sind schon seit vielen Jahren dabei. Einer aus dem Netzwerk der Jüngeren, er möchte ungenannt bleiben, erinnert denn auch daran, dass Helmut Kohl während seiner Kanzlerschaft deutlich experimentierfreudiger bei der Auswahl seines Personals war – etwa indem er 1991 die damals gerade 36 Jahre alte Angela Merkel zur Bundesministerin für Frauen und Jugend machte.

Die Jüngeren sind gut vernetzt

Carsten Linnemann, der 39-jährige Abgeordnete aus Paderborn, ist einer der Ambitioniertesten unter den Parlamentariern seiner Generation. „Die Riege an Jüngeren“, sagt er, „ist so gut vernetzt wie eigentlich selten zuvor.“ Das seien alles Leute, die angetreten sind, um sich „mit in die Schlacht um die besten Reformen zu werfen“. Asymmetrische Demobilisierung, also ein einschläfernder Wahlkampf möglichst ohne Kontroversen, sei nicht mehr das passende Konzept, lautet Linnemanns Überzeugung. Es gebe zwar einige in der Partei, die das nicht schätzen, weil sie glauben, dass Geschlossenheit das Wichtigste sei. In Wahrheit jedoch würden durch abweichende Meinungen etwa in der Eurorettungspolitik sogar mehr Leute an die CDU gebunden. Friede, Freude, Eierkuchen, so die Botschaft des Vorsitzenden der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, ist keine Antwort auf eine aus den Fugen geratene Welt.

Es sind vor allem zwei Themen, die ihn und seine Mitstreiter umtreiben: Migration und die Zukunft Europas. Vor allem aber, das wird im Gespräch mit fast allen Netzwerkern deutlich, pochen sie auf die Einhaltung klarer Regeln. Dass sich nämlich auch Spitzenpolitiker der Union in der Flüchtlingskrise und bei der Eurorettung großzügig über geltendes Recht hinweggesetzt haben, sehen viele als Sündenfall. Was die EU angeht, sagt Linnemann, sei er durchaus aufgeschlossen, den europäischen Institutionen mehr Kompetenzen zu übertragen. Allerdings müsse eindeutig festgelegt sein, was auf europäischer Ebene sinnvoller geregelt werden könne als im Nationalen – etwa Energiepolitik und Digitalisierung. „Unter dieser Bedingung sollte dann aber auch das Europäische Parlament von sich aus eine Gesetzesinitiative ergreifen können.“ Klare Verhältnisse will Linnemann auch beim Thema Migration: „Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das die Regeln im Aufenthaltsgesetz zusammenfasst und transparent macht. Und dann an alle deutschen Auslandsvertretungen schickt, damit klarer wird, wer legal nach Deutschland kommen und hier arbeiten kann.“

Konfliktthema Islam

Das klingt alles noch nicht so, als müssten allzu große Differenzen zum Kanzlerinnenlager überbrückt werden. Beim Thema Islam dagegen liegt echtes Konfliktpotenzial. Auch da hat Jens Spahn zusammen mit Julia Klöckner vor einigen Wochen schon einmal das Terrain sondiert, indem er ein „Islamgesetz“ vorschlug, um künftig etwa die Deutschkenntnisse von Imamen prüfen zu können. Auch aus ihrer eigenen Partei gab es daraufhin viel Kritik an den beiden, weil ein solches Gesetz verfassungswidrig sei. Carsten Linnemann hingegen verteidigt den Vorstoß: Natürlich garantiere das Grundgesetz in seinem Artikel 4 die Religionsfreiheit. „Ich bin aber sicher, dass sich dennoch eine gesetzeskonforme Regelung finden ließe. Das betrifft beispielsweise die Ausbildung von Imamen genauso wie die Finanzierung aus dem Ausland von Moscheen in Deutschland.“ Das Netzwerk hält zusammen.

Die Frage ist nur, wann dessen Mitglieder sich auch in Regierungsämtern werden beweisen können. Fast alle gehen davon aus, dass Merkel, sollte sie im September wiedergewählt werden, weitere vier Jahre Kanzlerin bleiben wird. Ob sie in dieser Zeit einen Generationenwechsel einleitet? „Man kann solche Sachen nicht planen“, sagt einer der Netzwerker. Denn „es geht nicht nur um Inhalte und um Personen, sondern auch um den Zeitpunkt“. Jedenfalls seien viele aus der Gruppe „gut positioniert“ und säßen an strategischen Stellen – ob als stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Landesgruppenchefs oder Generalsekretäre in ihrem Bundesland. Mit Daniel Günther, dem 43-jährigen Überraschungssieger aus Schleswig-Holstein, gehört demnächst sogar ein Ministerpräsident zu ihnen. „Jetzt muss man sehen, wie sich das entwickelt. Und wenn die Leute zusammenhalten, kann das schon funktionieren.“

Unterscheidung zur SPD gewünscht

Wenn es funktioniert, dann wird das auch die CDU verändern. Nicht, dass das Netzwerk der Jüngeren den Zeiten hinterhertrauern würde, als die Union noch klar als konservative Partei verortet werden konnte und jemand wie Jens Spahn als bekennender Schwuler und Befürworter der Homoehe kaum ins Präsidium seiner Partei gewählt worden wäre. Aber eine klare Unterscheidbarkeit von der SPD und den Grünen wünschen sich alle Netzwerker.

Michael Kretschmer, der Bundestagsabgeordnete und Generalsekretär in seinem Heimatland Sachsen, findet, seine Partei müsse sich „künftig wieder mehr grundsätzlich positionieren“, weil sie in der Koalition mit der SPD „ihr Profil ein Stück weit verloren“ habe: „Mindestlohn, EEG-Reform – es mussten Dinge mitgemacht werden, die viele nicht wollten.“ Natürlich könne man den Wählern erklären, dass es ohne Kompromisse eben nicht geht. Aber das funktioniere nur, wenn nicht von Anfang an fröhliche Beliebigkeit das Bild beherrscht. Aus diesem Grund will auch Carsten Linnemann auf keinen Fall eine Fortsetzung der Großen Koalition: „Die Menschen haben den Eindruck gewonnen, egal was ich wähle, es ist doch ein Einheitsbrei. Und damit muss Schluss sein.“

Also doch ein konservativeres Profil für eine verjüngte CDU? „Ja, ich halte einen Schritt in diese Richtung für notwendig“, sagt Kretschmer – allerdings sei der Begriff konservativ „verbrannt“. Was nicht bedeutet, dass die Wähler keine konservative Politik wollten – sie soll offenbar nur nicht so heißen. Jens Spahn, der schwule Staatssekretär aus der münsterländischen Provinz, ist jedenfalls überzeugt: „Die Mehrheit der Gesellschaft ist bürgerlicher denn je und damit viel näher am Mainstream der klassischen CDU. Wenn wir das noch besser abschöpfen, liegt unser Potenzial bei über 40 Prozent.“

An Selbstbewusstsein mangelt es Spahn und den anderen aus dieser Garde nicht. Bald wird sich zeigen, ob ihr Netzwerk auch stark genug ist, um das merkelsche Machtgefüge zu verändern.

 

Die Juliausgabe des Cicero erhalten Sie unserem Online-Shop.

 

 

 

 

 

 

Anzeige