Die CDU nach der Bundestagswahl - Personalfragen statt Fehleranalyse

Die Führungsgremien der CDU haben beschlossen, die komplette Führung neu zu wählen. Die vom Wahlkampf wie vom Ergebnis geschockten 400.000 Mitglieder sollen mit einem personellen Neuanfang beruhigt werden. Nur: Auch ein noch so geschickt ausgewähltes Personaltableau wird nicht verdecken können, dass die CDU ein inhaltliches Problem hat.

Ein Schriftzug der CDU / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die CDU wird, so wie es aussieht, zum Regieren nicht gebraucht. Sie hat also jetzt viel Zeit – für sich selbst. Man sollte meinen, die am 26. September vom Wähler deutlich auf Platz zwei verwiesene Union nutze diese Zeit, um all‘ die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu analysieren – von der Sozialdemokratisierung und Vergrünung in der Ära Merkel bis zur Kanzlerkandidatur von Armin Laschet und den bis heute anhaltenden Störfeuern aus München. Da hätten alle Beteiligten viel zu tun.

Die Führungsgremien der CDU hatten aber am Montag, wie sie meinen, Besseres zu tun. Sie beschlossen, die komplette Führung – Vorsitzender, Präsidium, weitere Vorstandsmitglieder – neu zu wählen. Dabei sind die 40 Männer und Frauen erst im Januar gewählt worden, könnten also noch bis Januar 2023 amtieren. Doch die vom Wahlkampf wie vom Ergebnis schwer enttäuschten, geradezu geschockten 400.000 Mitglieder sollen mit einem personellen Neuanfang beruhigt werden. Frei nach dem Motto: Neue Köpfe braucht die Partei.

Personellen Kahlschlag wird es nicht geben

Die Operation Neuwahlen scheint einerseits unausweichlich; so wie bisher kann es nicht weitergehen. Und irgendetwas muss halt passieren. Andererseits ist nicht davon auszugehen, dass nach dem nächsten Parteitag 40 Männer und Frauen die oberen Etagen der Partei bevölkern werden, die frei von jeglicher Verantwortung für die inhaltliche Entkernung der CDU sind. Woher sollen auch diese neuen Politiker mit zukunftsweisenden Ideen und Konzepten kommen? Wenn es schon bisher strategische Genies in der zweiten Reihe der Bundes-CDU gegeben haben sollte, müssten die ihre Talente und Führungsfähigkeiten sorgfältig verborgen haben.

Nüchtern betrachtet, wird die neue Führungsriege jünger, weiblicher und östlicher werden. Wobei auch klar ist, dass die Partei ihr Schicksal nicht allein in die Hände einer paritätisch besetzten Jugendmannschaft legen kann. Erfahrung jedenfalls ist nicht per se schlecht. Nur: Auch ein noch so geschickt ausgewähltes Personaltableau wird nicht verdecken können, dass die CDU nicht zuletzt ein inhaltliches Problem hat.

Inhaltlich abgewirtschaftet

Anders als Angela Merkel kann die von ihr abgewirtschaftete Partei nicht mit der Botschaft „Sie kennen mich“ vor die Wähler treten. Denn die Partei tut sich schwer mit einer Erklärung, wofür sie noch steht, wenn man von allgemeinen Formulierungen wie dem christlichen Menschenbild oder der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie absieht. Darunter kann man vieles und auch Widersprüchliches verstehen. Ganz abgesehen davon, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung – im Osten sogar die große Mehrheit – keine Ahnung davon hat, was „christliches Menschenbild“ eigentlich bedeutet.

Eines scheint nach den Sanierungsbeschlüssen der CDU festzustehen: Zu der von Armin Laschet angestrebten Konsenslösung bei der Suche nach dem neuen Vorsitzenden – von Bewerberinnen ist nichts zu sehen – wird es nicht kommen. Die Egos der möglichen Laschet-Nachfolger – Jens Spahn, Friedrich Merz, Ralf Brinkhaus oder Norbert Röttgen – sind viel zu groß, als dass sie sich unter Moderation des „Versöhners Laschet“ auf neue Vorsitzende für Partei und Fraktion einigen könnten, noch weniger auf einen einzigen starken Mann, der zugleich ein potenzieller Kanzlerkandidat für 2025 wäre.

Die Kreisvorsitzenden sollen’s richten

Deshalb geht es bei der CDU jetzt vor allem um Verfahrensfragen. Nach dem Parteiengesetz kann nur ein Parteitag einen Vorsitzenden wählen. Allerdings dürften die Delegierten es kaum wagen, sich über das Ergebnis einer vorgeschalteten Mitgliederbefragung hinwegzusetzen. Deshalb soll am 30. Oktober eine Konferenz der 327 Kreisvorsitzenden darüber entscheiden, wie viel Beteiligung der Basis sein kann und soll. Wobei man trefflich darüber streiten kann, ob die Vorsitzenden von 327 Kreisverbänden repräsentativer sein sollen als die 1.001 von den Mitgliedern dieser 327 Kreisverbände gewählten Parteitagsdelegierten. Ganz abgesehen davon: Kreisvorsitzende sind in der Regel auch Parteitagsdelegierte.

Auf die Basis kommt es an

Auch wenn es schon oft gesagt und geschrieben worden ist: In den vergangenen drei Jahren haben sich Parteitag und Parteivorstand drei Mal über den Willen der Mitglieder hinweggesetzt – bei der Wahl der Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und Laschet anstelle von Friedrich Merz. Und in der K-Frage schenkte die CDU-Spitze sogar den Meinungsumfragen keine Beachtung, die CSU-Chef Markus Söder viel größere Chancen auf das Kanzleramt einräumten als dem CDU-Vorsitzenden Laschet. Irgendwie scheint der CDU das Gewinner-Gen abhandengekommen zu sein, jene pragmatische Haltung, mit dem Spitzenkandidaten in die Wahlschlacht zu ziehen, der die größte Beute verspricht.

Es spricht also vieles dafür, dass die CDU erst mal im Bund die Mitglieder befragt, wer die Partei führen soll. Das aber braucht eine entsprechende Vorbereitung und entsprechend viel Zeit. Deshalb kann der Parteitag wohl erst im Frühjahr 2022 stattfinden. Bei einer solchen zeitlichen Abfolge bliebe dann – darauf darf gewettet werden – eines auf der Strecke: die Aufarbeitung des grottenschlechten Bundestagswahlkampfs. Gut möglich, dass vielen von denen, die am Montag für „Vorsitzendenwahl first“ plädierten, das ganz recht ist.

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