Bundesverfassungsgericht zu Hartz IV-Sanktionen - Gibt es ein Recht auf Faulheit?

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Rechtmäßigkeit der Hartz IV-Sanktionen. Es geht um die Frage, ob sie die Eingliederung ins Arbeitsleben fördern. Wolfgang Bok fürchtet, dass ihre Abschaffung den Weg für ein bedingungsloses Grundeinkommen freimachen würde

Wegweiser zurück ins Arbeitsleben oder ins soziale Aus? Die Sanktionen für Hartz IV-Empfänger kommen auf den Prüfstand / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Heute werden bei gerade mal drei Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger die Hilfen gekürzt. Das belegt nicht, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Im Gegenteil: Die geringe Sanktionsquote heißt vielmehr, dass sich gut 97 Prozent der Bezieher dieser Geldleistungen an die Regeln halten. Daraus kann man schließen: Erst die Androhung von Leistungskürzungen sorgt dafür, dass das System von „Fordern und Fördern“ funktioniert. Konsequent zu Ende gedacht, heißt das: Der bürokratische Kontrollaufwand ist jeden Cent wert und auch denen zuzumuten, die Geld vom Steuerzahler beziehen. Der wird schließlich auch nicht gefragt, ob er sich einer inquisitorischen Steuerbehörde unterwerfen und dieser in zig Formularen jeden Euro belegen will.

Sollte das Bundesverfassungsgericht das System der abgestuften Sanktionen in Frage stellen oder gar ganz verwerfen, so kann man Hartz IV gleich ganz abschaffen. Und damit im nächsten Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen übergehen. Dass mit dem Recht auf Faulheit bislang noch in keinem Land gute Erfahrungen gemacht wurden, ficht Grüne, Linke und zunehmend auch die SPD nicht an. Hoffentlich aber die höchsten Richter, die nicht nur den Einzelfall betrachten dürfen, sondern als Hüter der Verfassung das gesamte Gemeinwesen im Blick haben müssen. 

Wie sozial ist der Sozialstaat? 

Und das heißt: Der Sozialstaat muss bezahlbar bleiben und von denen, die ihn finanzieren, akzeptiert werden. Den Karlsruher Robenträgern sei daher in Erinnerung gerufen, dass das Wort „sozial“ in unserem Grundgesetz nur zwei Mal (Artikel 20 und 28) vorkommt – und dann auch nur als Adjektiv. Wohl aber ist in Artikel 14, Absatz 2, der Schutz des Eigentums explizit verankert. Doch wie steht es damit bei einer Abgabenquote von über 50 Prozent, die schon dem alleinstehenden Facharbeiter aufgebürdet wird? Oder wenn Vorsorgeleistungen wie Betriebsrenten doppelt belastet werden? Hier wartet man vergeblich auf das Veto aus Karlsruhe.

Überhaupt: Dort sollten nicht Parteipolitiker mit Posten versorgt werden, sondern Ökonomen wie Hans-Werner Sinn Sitz und Stimme erhalten. Der langjährige Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung könnte die Chef-Advokaten mit der Erkenntnis vertraut machen, dass auch der Sozialstaat nicht durch immer mehr Anspruchsberechtigte überdehnt werden darf. Konkret: Von den 6,1 Hartz-IV-Beziehern haben zwei Millionen einen Migrationshintergrund. Etwa eine Million kam allein seit 2015 dazu. Ohne Merkels Grenzöffnung wären also Armutsquoten und Hartz-IV-Ausgaben (2018: knapp 28 Milliarden Euro) deutlich niedriger. Es ist leicht auszumalen, welche Sogwirkung von Deutschland ausginge, wenn auch noch die Pflicht entfiele, sich durch eigene Arbeit selbst zu finanzieren

Verlockung zum Missbrauch

Dass Asylbewerber nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland gleich behandelt werden mit Einheimischen, die Jahrzehnte lang Beiträge und Steuern bezahlt haben und dann im Alter wegrationalisiert werden, ist der eigentliche Skandal. Letztere müssen auch noch alles zu Geld machen, was die Grenzen des „Schonvermögens“ übersteigt. Vorsorge wird also bestraft. Belohnt wird hingegen, wer keine Solidarbeiträge entrichtet hat oder sich besonders trickreich anstellt. Nur ein Prozent Missbrauch summiert sich bereits auf 280 Millionen Euro. Die Verlockung dazu ist auch deshalb groß, da es sich für schlecht Qualifizierte schon heute kaum lohnt, Arbeit gegen Hartz IV einzutauschen. Schließlich gibt es nicht nur den Grundbetrag von 424 Euro pro Person. Das Sozialamt zahlt auch noch Wohnung, Heizung und sogar „Duschgeld“. Hartz-IV-Bezieher sind von Rundfunkgebühren befreit, dürfen kostenlos den ÖPNV nutzen und bekommen auch eine gute medizinische Versorgung für lau. Das alles summiert sich bei einem Paar mit zwei Kindern auf knapp 2000 Euro, was einem Bruttogehalt von 2500 Euro oder 16 Euro Stundenlohn entspricht. Also fast das Doppelte des Mindestlohnes. 

Diejenigen, die diese Leistungen gewähren, sind aber nur Treuhänder der Steuerzahler. Schon deshalb sind Kontrollen Pflicht – und Sanktionen unverzichtbar. Der Sozialstaat, den sich Deutschland mittlerweile einer Billion Euro oder fast einem Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung kosten lässt, baut auch auf dem Vertrauen seiner Bürger auf. Schließlich gibt es schon genug Meldungen darüber, wie leicht sich die Fürsorgesysteme anzapfen lassen. 

Dieser Text ist Teil eines Pro und Contras. Helena Steinhaus vom Verein „Sanktionsfrei“ fordert hingegen, dass Arbeitslose nicht bestraft, sondern unterstützt werden müssen.

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