Bundespräsidentenwahl - Spannend wird nur, wie viele Stimmen Steinmeier fehlen

Am Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt - und es wird der alte sein. Frank-Walter Steinmeier ist die Wiederwahl sicher. Doch da die erneute Kandidatur des Sozialdemokraten außerhalb der SPD vielerorts für Unmut sorgte, werden ihm wohl zahlreiche der 1223 Wahlmänner und -frauen die Stimme verweigern.

Hat sich massiv um seine Wiederwahl bemüht: Frank-Walter Steinmeier / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Eine aufregende Angelegenheit wird das nicht, wenn die Bundesversammlung am Sonntag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Amt bestätigt. CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP, die alle die Wiederwahl des SPD-Politikers unterstützen, bringen es auf 1223 der 1472 Sitze. Da kann man getrost davon ausgehen, dass die für die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang benötigten 737 Stimmen zusammenkommen.

Spannend wird allenfalls sein, wie viele der 1223 Wahlmänner und Wahlfrauen aus den Reihen von Schwarz-Rot-Grün-Gelb Steinmeier ihre Stimme verweigern werden. Mancher verübelt ihm, dass er – als erster amtierender Präsident – sich bereits im vergangenen Jahr selbst für die Wiederwahl vorgeschlagen hat. Damit setzte Steinmeier die Sozialdemokraten unter Druck, ihn abermals vorzuschlagen. Zugleich versperrte er die Möglichkeit, zum ersten Mal eine Frau in das höchste Staatsamt zu wählen. Das hätten vor allem die Grünen gern gesehen, auch sehr viele Frauen in der SPD.

Steinmeier wird sicherlich nicht alle Stimmen aus den Reihen von CDU und CSU bekommen, die mit 445 Wahlmännern und Wahlfrauen die größte Fraktion stellen. In ihren Reihen gibt es ein gewisses Unbehagen, dass Armin Laschet, Friedrich Merz und Markus Söder darauf verzichtet haben, bei dieser Wahl wenigstens Flagge zu zeigen. Allerdings hätte ein von der Union nominierter Mann oder eine ins Rennen geschickte Frau gegen die Mehrheit der Ampelparteien keine Chance gehabt. Die SPD jedenfalls hat bei allen Präsidentschaftswahlen seit 1994 immer einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt, selbst wenn die Erfolgschancen minimal waren.

2017 sorgte die parteipolitische Instrumentalisierung für Unmut

Vor fünf Jahren hatte die Union ebenfalls auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, nachdem sich Angela Merkel bei einigen potentiellen Bewerbern Absagen eingehandelt hatte. Eher widerwillig rang sich die Union zu einer Unterstützung des SPD-Kandidaten durch. CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP brachten es 2017 zusammen auf 1107 Stimmen, Steinmeier erhielt jedoch nur 931. Damals hatte es in der Union großen Unmut gegeben, als am Vorabend der Wahl die Berliner SPD zu einem Foto vom Schloss Bellevue twitterte: „Wir freuen uns auf den neuen sozialdemokratischen Schlossherrn.“ Diese parteipolitische Instrumentalisierung schlug sich in vielen Enthaltungen nieder.

Mit allen 1223 Stimmen kann also Steinmeier kaum rechnen, zumal AfD, Linke und Freie Wähler mit eigenen, wenn auch völlig chancenlosen Bewerbern antreten. Mit einem Ergebnis von mehr als 1000 Stimmen könnten Steinmeier und die SPD sicherlich gut leben. Fiele die Zustimmung nur dreistellig aus, wäre das ein Schönheitsfehler, aber keiner von Gewicht. Gewählt ist gewählt, und das genaue Ergebnis interessiert außerhalb des Berliner Regierungsviertels schon am Tag danach niemanden mehr.

Die Bundesversammlung, die am Sonntag zusammentritt, ist das wohl eigentümlichste politische Organ. Sie setzt sich zusammen aus den 736 Mitgliedern des Bundestags und einer gleichen Zahl von den Länderparlamenten gewählter Vertreter. Ihre Aufgabe endet, sobald der Präsident gewählt ist. Gleichwohl spiegelt dieses Gremium ziemlich genau die politischen Machtverhältnisse im Land wider, jedenfalls genauer als Meinungsumfragen oder sonstige Analysen. In ihrer Zusammensetzung schlagen sich nämlich alle fünf Jahre das Ergebnis der letzten Bundestagswahl sowie die Ergebnisse der vorangegangenen 16 Landtagswahlen nieder.

Die Volksparteien repräsentieren nur noch 57 Prozent der Wähler

In der am Sonntag tagenden Bundesversammlung – der siebzehnten seit Gründung der Bundesrepublik – stellen die einst dominierenden Volksparteien CDU/CSU und SPD 30 beziehungsweise 27 Prozent der Mitglieder. 2004, bei der Wahl von Horst Köhler zum Staatsoberhaupt, hatten es die Union und die Sozialdemokraten noch auf 45 und 38 Prozent gebracht. Die beiden Volksparteien repräsentieren zusammen also nur noch 57 Prozent der Wähler gegenüber 83 Prozent vor 18 Jahren. Ein dramatischer Rückgang.

Im Gegenzug ist das Gewicht der kleineren Parteien deutlich gewachsen. Die Grünen stellen am Sonntag 16 (2004: 7) Prozent der Wahlmänner, die FDP hat von 7 auf 10 Prozent zugelegt und Die Linke von 3 auf 5 Prozent. Die erst seit 2014 in Parlamenten vertretene AfD stellt 10 Prozent der Bundesversammlungsmitglieder.

Steinmeier ist der zwölfte Bundespräsident seit 1949, der dritte aus den Reihen der SPD nach Gustav Heinemann und Johannes Rau. Die CDU hatte bisher sechsmal das Staatsoberhaupt gestellt, die FDP zweimal. Die Grünen kamen noch nie zum Zug. Ihr Vorhaben, endlich einmal eine Frau aus ihren Reihen an die Spitze des Staates zu stellen, hat Steinmeier durchkreuzt. Jedenfalls hat sich noch kein anderer Präsident so robust um seine Wiederwahl bemüht wie der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende und gescheiterte Kanzlerkandidat von 2009.

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