Bundeskanzlerin Angela Merkel - Amtszeit des Abschieds

Angela Merkel ist zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt worden. Das ist zunächst einmal ein Erfolg nach der schwierigen Regierungsbildung. Doch es gibt viele Anzeichen dafür, dass die Ära Merkel nicht mehr lange dauern wird. In der Geschichte der CDU gibt es ein warnendes Beispiel

Als Bundeskanzlerin sitzt Angela Merkel wieder fest im Sattel. Aber wie lange? / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die vierte Kanzlerschaft von Angela Merkel hat begonnen. Routiniert vollzog sich am Mittwochmorgen im Bundestag die Kanzlerinnenwahl. 364 Abgeordnete stimmten für sie, 315 gegen sie. Die erforderliche absolute Mehrheit wurde bereits im ersten Wahlgang erreicht. Auch die Tatsache, dass ihr 35 Abgeordnete von CDU, CSU und SPD die Gefolgschaft verweigerten, ist keine Überraschung, Gegenstimmen aus den eigenen Reihen gehören bei der Kanzlerwahl dazu. 2005, bei der ersten Merkel-Wahl, stimmten sogar 51 Abgeordnete der schwarz-roten Koalition gegen die Kanzlerin. Allerdings war die Mehrheit der drei Parteien vor zwölf Jahren deutlich größer, dieses Mal bekam Merkel deshalb nur neun Stimmen mehr als im ersten Wahlgang erforderlich. Es kommt also auf den Standpunkt des Betrachters an, ob mit dem Abstimmungsergebnis eine Botschaft verknüpft ist, ein Signal der Erosion der merkelschen Macht. 

Historischer Erfolg nach großer Unruhe

Zunächst einmal ist es ein politischer Erfolg der Kanzlerin, dass es ihr trotz des komplizierten Ergebnisses der Bundestagswahl letztendlich gelungen ist, noch einmal ein Regierungsbündnis zu schmieden. In den vergangenen sechs Monaten sah es allerdings nicht immer danach aus. Zwischenzeitlich wirkte die Kanzlerin angeschlagen, in den Verhandlungen erst mit FDP und Grünen, dann mit der SPD nicht immer souverän.

Die Unruhe in der CDU war groß, die Debatte über einen politischen Kurswechsel in der CDU und die Merkel-Nachfolge ließ sich nicht mehr verhindern. Selbst ein Scheitern der Regierungsbildung und ein schnelles Ende der Ära Merkel schienen nicht ausgeschlossen. Inzwischen sitzt Merkel jedoch wieder fest im Sattel. Ein paar kluge Personalentscheidungen, insbesondere die Ernennungen von Jens Spahn als Gesundheitsminister und Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Generalsekretärin, haben gereicht, damit sich die CDU trotz Kritik am Koalitionsvertrag wieder geschlossen hinter Merkel formiert. Mit ihrer vierten Wahl zur Kanzlerin hat Angela Merkel Historisches erreicht, sie steht schon jetzt auf einer Stufe mit den CDU-Kanzlern Konrad Adenauer und Helmut Kohl.

Allen Parteien fehlt es an Orientierung

Doch die Spekulationen darüber, wie lange die Koalition zusammenhalten wird, wann die Ära Merkel zu Ende geht, verstummten am Mittwoch nur kurz. Viele politische Beobachter in Berlin gehen davon aus, dass diese Regierung keine vier Jahre halten wird. Einfach wird Merkels vierte Amtszeit jedenfalls nicht. 

Einerseits sind alle drei Koalitionspartner politisch angeschlagen, CDU, CSU und SPD haben die deutlichen Stimmenverluste bei der Bundestagswahl im September 2017 noch nicht verdaut. Alle drei haben ihre Krise noch nicht überwunden, in allen drei Parteien wird über einen Generationenwechsel und eine programmatische Neuausrichtung diskutiert. Auch der Koalitionsvertrag ist Ausdruck dieser Orientierungslosigkeit. Von ihm geht kein Signal des Aufbruchs aus, sondern des „Weiter so“. Sollbruchstellen gibt es in dem Vertrag zugleich manche. Zum Beispiel in der Europa-, der Finanz- oder der Familienpolitik. Vor allem aber haben die Koalitionsparteien eine Bestandsaufnahme ihrer Zusammenarbeit nach zwei Jahren vereinbart. Sie haben also sogar den Zeitpunkt fixiert, auf den alle Gegner der schwarz-roten Koalition hinarbeiten können.

Helmut Kohl als warnendes Beispiel

Andererseits hat die Erzählung vom Ende der Ära Merkel bereits eine Eigendynamik entwickelt, die sich nicht mehr stoppen und auch von der Kanzlerin und ihrer Partei nicht mehr kontrollieren lässt. Alles, was Merkel in der vierten Amtszeit anzupacken versucht, wird von den Medien und auch von den Wählern aus der Perspektive des nicht mehr beliebig lange aufschiebbaren Abgangs, des immer näher kommenden Machtverlustes betrachtet werden. Merkels vierte Amtszeit wird also eine Amtszeit des Abschieds werden und die Parole „Merkel muss weg“ immer populärer. Der Kanzlerinnenwahlverein CDU wird nicht vier Jahre warten können, dieser Dynamik personell und strategisch etwas entgegenzusetzen.

Als die CDU sich zuletzt mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sah, glaubte sie, diese aussitzen zu können. Merkels politischer Ziehvater Helmut Kohl hielt sich nach 16 Jahren an der Macht für unersetzlich und zwang seine Partei 1998 in einen Wahlkampf, den er nicht mehr gewinnen konnte. Die Parole „Kohl muss weg“ wurde für die rot-grüne Opposition am Ende zum entscheidenden Wahlkampfschlager. Eine interessante Frage wird in den kommenden zwei bis drei Jahren also sein, was die CDU und was die Parteivorsitzende Angela Merkel aus der Geschichte gelernt haben. 

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