Bundesjugendspiele ohne Sieger - Die Feinde des Wettkampfs sind keine Freunde der Schüler

Die Bundesjugendspiele finden ab dem nächsten Jahr nicht mehr als Wettkampf statt. Damit wird jahrelangen Kampagnen nachgegeben. Aber Sport ohne Sieger und Verlierer ist witzlos. Und auch die Erfahrung des Misserfolgs hilft beim Erwachsenwerden.

Weitsprung bei den Bundesjugendspielen an einer Frankfurter Grundschule / picture alliance
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Es geht mal wieder etwas zuende. Die Bundesjugendspiele finden in diesem Jahr zum letzten Mal als Wettkampf statt. Nach einer Entscheidung der Sportkommission der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2021 werden sie ab kommendem Schuljahr nur noch als „bewegungsorientierter Wettbewerb“ ausgetragen werden, nicht mehr als „leistungsorientierter Wettkampf“. „Endlich!“, jubelt die SPD-nahe Lehrergewerkschaft GEW. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ist das nicht genug, wie die Suggestiv-Überschrift „Wie zeitgemäß sind die Bundesjugendspiele noch?“ klarmacht – unterlegt mit einem geschwätzigen TikTok-Beitrag einer jungen Influencerin, die über pure Demütigung“ klagt.

Eine jahrelange Kampagne, zu der auch eine Petition und andere publizistische Initiativen gehörten, wird von Erfolg gekrönt. „Damit werden die Bundesjugendspiele an den Grundschulen endlich kind- und zeitgemäß. Das Beschämen nicht so sportlicher Schülerinnen und Schüler gehört dann hoffentlich endlich der Vergangenheit an“, so Heike Ackermann, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen.

Ich kann da persönlich werden, denn auf diesem Feld kenne ich mich aus. „Bundesjugendspiele“, das ist für mich ein anderes Wort für frühen Misserfolg. Als Klassenkameraden ihre Siegerurkunden erhielten, einige sogar eine Ehrenurkunde, ging ich leer aus. Kurzstreckenlauf, Weitsprung, Ballwurf – da war ich eine veritable Flasche und bleibe es heute noch. Ist das ein Argument gegen den Wettkampf? Soll er abgeschafft werden, weil Kinder, wie ich eines war, nicht siegen?

Wo es nichts zu gewinnen gibt, werden Fairness und Teamfähigkeit witzlos

Die Aussage der GEW-Funktionärin macht vor allem klar, dass es ums Grundsätzliche geht. Gewinner und Verlierer soll es nicht mehr geben, stattdessen einen „gemeinschaftlichen Wettbewerb“ – der natürlich ebenso wenig ein echter Wettbewerb ist, wie es der „sozialistische Wettbewerb“ in der Planwirtschaft der DDR war. So wird also künftig jedes Kind eine Urkunde erhalten. Alle sollen siegen oder keiner mehr.

„Denn bei den Bundesjugendspielen geht es insbesondere darum, sich zu bewegen, Freude zu haben und sein Bestes zu geben. Vor allem aber geht es auch um Fairness, Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen“, so heißt es nun auch auf der Website der Bundesjugendspiele selbst. Nun ja, aber wer jemals selbst Sport betrieben hat, weiß, dass man aller jahrtausendealten Erfahrung nach sein Bestes eben vor allem im Wettkampf mit anderen Guten gibt. Das gilt sogar für vermeintlich ganz auf die reine Bewegungsfreude ausgerichteten Sportarten wie Tanzen oder Rhythmische Sportgymnastik. Und wo es nichts zu gewinnen gibt, werden auch Fairness und Teamfähigkeit witzlos. Ganz abgesehen davon, dass auch kaum ein Zuschauer sich für einen Sport interessiert, bei dem nicht gewonnen und verloren wird.

Nein, man sollte Kinder selbstverständlich nicht bewusst quälen, indem man sie dauerhaft auf gerade jene Betätigungsfelder festlegt, in denen sie offenkundig besonders schwach sind. Die Bundesjugendspiele waren allerdings auch nie als Alljahresdauerveranstaltung gedacht. Aber wenn man nun schon den Unsportlichen das Beschämen ersparen will, warum dann nicht gleich auch denen, die in Mathematik oder Deutsch oder anderen Schulfächern schwach sind? Tja, das findet ja auch statt: Noteninflation nennt sich das verbreitete Phänomen, dass immer mehr Schüler immer bessere Noten erhalten.

 

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Aber wer Misserfolg und Verlieren (und in letzter Konsequenz auch Erfolg und Gewinnen) für Kinder abzuschaffen versucht, tut diesen keinen Gefallen. Im Gegenteil. Beides gehört zur Conditio Humana, zur Voraussetzung der Existenz des Menschen als soziales Wesen. Dagegen anzukämpfen, also die ungleichen Ausgangsbedingungen, jene schicksalhafte, große Ungerechtigkeit der Biologie (zu der auch die Intelligenzverteilung gehört, soweit sie genetisch bestimmt ist) nachträglich ausbügeln zu wollen, ist genauso vergeblich und auch gefährlich, weil freiheitsgefährdend, wie das Streben nach einer herrschaftsfreien Gesellschaft. So wie Heinrich Popitz feststellte, dass es keine „machtsterilen Verhältnisse“ geben kann (allerdings solche, in denen die Macht verschleiert auftritt, und damit umso erbarmungsloser und uneingeschränkter wirksam wird), ist auch das Prinzip des Gewinnens und Verlierens nicht wirklich aus der Welt zu schaffen. Die Nachricht von der Veränderung der Bundesjugendspiele offenbart selbst eine entsprechende Ironie: Die schon seit Jahren stattfindende Kampagne gegen den Wettbewerb (im Schulsport) hat im politischen Wettkampf mit den Anhängern des (sportlichen) Wettbewerbs- und Leistungsprinzips schließlich einen Sieg errungen. Einen großen Sieg für die Feinde der Siegreichen!

Wenn der Wettstreit offiziell abgeschafft wird, dann ist er nicht aus der Welt, sondern er verzieht sich eben in die Hinterhöfe, wo er in der Regel umso härter und erbarmungsloser ausgetragen wird. Die Alternative zum friedlichen, regelbasierten Wettbewerb zwischen Konkurrenten ist nicht eine Gesellschaft ohne Verlierer, sondern eine Welt des unfriedlichen, regellosen Kampfes zwischen Feinden.

Wer Kinder vor dem Verlieren bewahrt, bereitet sie schlecht aufs Leben vor

Das agonale Prinzip ist nicht aus der Menschenwelt zu schaffen. Man kann sich nur als einzelner oder als Gruppe und Gesellschaft von der Teilnahme am Wettbewerb verabschieden, dann hat man eben von Anfang an verloren. Dieses Schicksal scheinen nicht unerhebliche Teile der politik- und meinungsmachenden Klasse dieses Landes dessen Bürgern beziehungsweise deren Kindern nahelegen zu wollen.

Wer seinen Kindern einredet, dass das Streben nach Sieg und Erfolg böse ist, und sie vor den frühen Erfahrungen des Misserfolgs bewahrt (ihnen damit gleichzeitig aber auch die Chance des Erfolgserlebnisses nimmt), schafft nicht Erfolg und Misserfolg, Sieg und Niederlage als Prinzip aus der Welt, sondern bereitet seine Kinder denkbar schlecht auf das Erwachsenenleben vor. Denjenigen Menschen, die keine Genies sind, also so gut wie allen, bereitet das Leben neben Erfolgen auch eine ganze Reihe von Misserfolgen. Darauf kann die Schule durchaus vorbereiten. Früh zu erfahren, was man nicht (besonders gut) kann, ist besser, als es erst spät und dann unter umso schmerzhafteren Bedingungen festzustellen.

Um aufs Persönliche zurückzukommen: Wer als Grundschüler ohne Urkunde die Bundesjugendspiele beendete, kann nach kurzer, verkraftbarer Enttäuschung doppelt schlauer werden, denn er weiß, dass (sportliche und andere) Erfolge auch jenseits der Leichtathletik zu suchen sind, zum Beispiel beim Tischtennis, und lernt hoffentlich grundsätzlich, dass Misserfolge kein Weltuntergang sind – bevor sich dann später sehr viel üblere Misserfolge, zum Beispiel erfolglose Bewerbungen, aber hoffentlich auch einige Erfolge, einstellen.

Statt den Wettbewerb aus dem Schulsport zu tilgen, was letztlich die Schüler nicht glücklicher macht und ihnen wohl kaum mehr Bewegungsfreude verschafft, sondern nur ihren Leistungswillen mindern wird, sollte man lieber die unmittelbare Relevanz der Sportnoten für Bildungszertifikate abschaffen. Denn über die Bildungsqualifikation eines jungen Menschen sagen dessen sportliche Leistungen tatsächlich nichts aus.

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