Amokfahrt von Bottrop und Gewalt in Amberg - Kein zweierlei Maß mehr

Eine mutmaßlich gegen Ausländer gerichtete Amokfahrt in Bottrop. Prügelnde Asylbewerber in Amberg - Wo medial bislang unterschiedlich gewichtet wurde, hat sich in der Berichterstattung Anfang 2019 offenbar etwas verändert: Gewalttaten werden thematisiert, egal von wem sie ausgehen

Vorfälle in Bottrop und Amberg: 2019 wird berichtet / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Ja, man kann sich die Frage stellen, ob die Amokfahrt von Bottrop wirklich zwingend das Aufmacherthema der Tagesschau war. Man kann sich auch daran erinnern, dass beispielsweise die Gruppenvergewaltigung von Freiburg oder die Vergewaltigung mit Todesfolge am selben Ort der Tagesschau nicht den Aufmacher wert war. Und man kann sich mit einigem Recht fragen, ob der Hinweis auf eine etwaige psychische Störung (wie beim Bottroper Amokfahrer) bei einem umgekehrt gelagerten Fall (Asylbewerber fährt in Menschenmenge) auch im Beitrag mit dem Kommentarschwanz versehen worden wäre, es sei offen, ob diese psychische Störung etwas mit der Irrsinnsfahrt zu tun hat.

Das kann man sich alles fragen. Und kann dennoch zu Beginn des Jahres 2019 feststellen: Es hat sich etwas zum Besseren verändert im Umgang mit Taten von Migranten und jenen von Einheimischen gegen Migranten. Die politische-mediale Behandlung ist nicht mehr so absurd schief und unverhältnismäßig wie noch vor zwei Jahren, als es drei Tage brauchte, bis die massenhaften sexuellen Übergriffe von der Domplatte in Köln in der Silvesternacht überhaupt an die Öffentlichkeit kamen.

Das Gastrecht wird buchstäblich mit Füßen getreten

Beinahe zeitgleich mit dem Amokfahrer von Bottrop, der mit seinem Wagen offenbar mehrfach gezielt in feiernde Menschenansammlungen hielt, in denen vor allem Ausländer zu sehen waren und dabei fünf Menschen verletzte, prügelte sich in Amberg eine Gruppe von jugendlichen Asylbewerbern wahllos durch Passanten. Zwölf Menschen wurden dabei verletzt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) drängt daraufhin erneut auf eine schnellere Abschiebung kriminell gewordener Migranten, zu Recht. Denn es kann nicht sein, dass solche Leute weiter das Gastrecht und die Hilfsbereitschaft eines Landes und weiter Teile seiner Bevölkerung buchstäblich mit Füßen treten und das keine Konsequenzen hat. Dass die Abschiebung in der Praxis dann immer noch daran scheitern kann, dass die Herkunft dieser Leute unklar ist, weil man sie trotz fehlender, oft weggeworfener Ausweispapiere nicht los wird, ist eine Folge der Planlosigkeit, mit der in der ersten Phase auf die Migrationswelle reagiert wurde.

Mit ebensolchem Recht verweist Seehofers Landeskollege Herbert Reul (CDU) darauf, dass Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass nicht geduldet wird. Mit einem Auto auf eine Gruppe unschuldiger Feiernder zu halten ist ebenso viehisch, wie ein junges Mädchen in einer Disco mit Ko-Tropfen willenlos zu machen und es dann mehrfach zu vergewaltigen.

Chemnitz, der Vorläufer von Bottrop und Amberg

Bottrop und Amberg sind beides Folgen einer neuen Situation, vor die die Gesellschaft, die Politik und die Medien im Zuge der Migration gestellt sind. Sich mit beiden Folgen gleichermaßen offen und ehrlich auseinanderzusetzen, ist eine Fähigkeit, die ganz offensichtlich erst entwickelt werden musste. Viel zu lange sah man auf dem einen Auge messerscharf, und auf dem anderen kaum etwas.

Bottrop und Amberg haben einen Vorläufer. Er heißt Chemnitz. Dort sind beide Ereignisse an einem Ort geschehen. Ein Mord an einem Deutschen, mutmaßlich durch messerstechende Asylbewerber. Und hinterher ausländerfeindliche Ausschreitungen am gleichen Ort. Im Falle von Chemnitz geriet das Primärereignis alsbald in den Hintergrund. Alles drehte sich fast nur noch um das Sekundärereignis, nicht mehr um den Toten. Ein großes Popkonzert wurde dafür anberaumt, an dem nur noch der Fremdenhass, aber nicht mehr der Messermord Thema war. Erst viele Wochen später machte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel an den Ort des Geschehens auf.

Bottrop und Amberg sind beides hässliche Ereignisse. Der unverstellte öffentliche Umgang mit ihnen gibt aber im Unterschied zu Köln vor zwei Jahren und Chemnitz vor einem halben gibt Anlass zur Hoffnung auf eine neue Debattenkultur 2019. Es ist höchste Zeit und dringend nötig. Denn es ist da viel Vertrauen kaputt gegangen in den vergangenen drei Jahren.

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