Boris Rhein - Frankfurter Bub

Boris Rhein tritt die Nachfolge Volker Bouffiers als hessischer Ministerpräsident an – es ist der bisherige Höhepunkt einer politischen Karriere, die schon gescheitert schien.

Boris Rhein bei der Vorstellung seiner „Hessen-Agenda“ / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Am Ende war das Ergebnis, blickt man einzig auf die Zahlen, knapp – und doch wieder deutlich, gemessen an den Umständen. Im Mai ist der CDU-Politiker Boris Rhein als Nachfolger von Volker Bouffier, der das Amt zwölf Jahre innehatte, zum hessischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Die Abgeordneten stimmten im Landtag in Wiesbaden mit 74 zu 62 Stimmen für Rhein, womit er mehr Stimmen erhielt, als mithilfe der 69  Abgeordneten der schwarz-grünen Regierungskoalition als nötige Mehrheit eingeplant waren. Rhein sprach von einem „überwältigenden Ergebnis“ – und war sichtlich erleichtert wie gerührt. Denn der Vater zweier Söhne, der gerne damit kokettiert, dass er ein echter „Frankfurter Bub“ sei, kennt sich aus mit bösen Überraschungen. 

Wir schreiben das Jahr 2012. Rhein, damals hessischer Innenminister, tritt zur Wahl für das Amt des Oberbürgermeisters in Frankfurt am Main an – und scheitert als sicher geglaubter Sieger an dem noch weitgehend unbekannten Peter Feldmann (SPD). Der wiederum sah sich in Frankfurt am Main zuletzt massivem Gegenwind auch aus der eigenen Partei infolge der sogenannten „AWO-Affäre“ und einem als sexistisch kritisierten Spruch gegenüber – während Rhein, dessen Karriere schon gescheitert schien, nun antritt, um „in Zeiten voller Umbrüche, voller Krisen“, wie er sagt, die Rolle des hessischen Landesvaters einzunehmen. Rhein sagt, es brauche dafür „Führung und eine Zukunftserzählung“ für sein Bundesland. Das Motto: „Freiheit in Sicherheit gewähren.“ 

Rheins Agenda

Am 7. Juni präsentierte Rhein im Rahmen einer ersten Regierungserklärung seine „Hessen-Agenda“, wie er es nennt. Er kündigt ein hessisches Klimagesetz an. Frankfurt am Main soll zum „führenden Standort Kontinentaleuropas für die Regulierung des Finanzsektors und für ,green and sustainable Finance‘“ ausgebaut werden. Und es gibt noch einen flockigen Begriff: Hessen will Rhein zum „Start-up State“ mit Fokus auf grüne Technologien entwickeln. Dafür will Rhein etwa die Internationale Automobilausstellung (IAA) in die Main-Metropole zurückholen. Sein wohlklingender Marker dabei: nachhaltige Mobilität

Wie von den Grünen klang manches in dieser ersten Regierungserklärung, als hätten diese die zentralen Punkte dem Schwarzen direkt ins Manuskript diktiert. „Sie glauben doch wohl nicht, dass irgendwas, das ich hier vortrage, nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt ist“, reagierte Rhein auf entsprechende Zwischenrufe der Opposition lachend. Das ist auf der einen Seite der spezielle „rheinische“ Humor des Hessen, auf der anderen Seite markiert es eben noch ziemlich nüchtern den klaren Kurs des neuen Regierungschefs. Rhein will die schwarz-grüne Koalition fortsetzen, die dereinst spektakulär war für die als konservativer Kampfverband bekannte Hessen-CDU. Vorgänger Bouffier führte die Kanther-CDU und die CDU eines Roland Koch in die neue Zeit. Und Rhein wird die Uhren nicht zurückdrehen. 

Vom Hardliner zum Brückenbauer

Schwarz-Grün ist inzwischen auch in Hessen so sehr zur neuen Normalität geworden, dass kritische Stimmen, wonach die Union ihre Seele an die grüne Ideologie verkaufe, kaum mehr hörbar sind. Es fehlt schlicht eine andere Machtperspektive für die Landtagswahl in gut einem Jahr. Und es ist noch lange nicht gesagt, ob Rhein in Wiesbaden die Zweierkoalition wird verteidigen können. 

Der 50-Jährige, ein ambitionierter Hobbyläufer, war bis zu seiner Wahl hessischer Landtagspräsident. Eine Rolle, die Rhein überaus gut gestanden haben soll, was ihm selbst Oppositionspolitiker öffentlich bescheinigen. Obgleich er bisweilen auch etwas „jovial“ aufgetreten sei, heißt es. Der stellvertretende Ministerpräsident Tarek Al-Wazir von den Grünen sagte jüngst sogar: „Wo Boris Rhein ist, da ist meistens gute Laune.“ Das wiederum war nicht immer so – aus grüner bis linker Perspektive jedenfalls.
Als hessischer Innenminister galt Rhein von 2010 bis 2012 noch als das, was man früher einen „Hardliner“ nannte, bevor er nach seiner Wahlniederlage in Frankfurt ins Wissenschaftsressort abgeschoben wurde. Heute sagt der CDU-Politiker Sätze wie „Ich bin der festen Überzeugung, dass uns weitaus mehr verbindet, als uns trennt“, gerichtet an alle Parteien im hessischen Landtag. Wenn dem so ist, hat Rhein mit seiner „Hessen-Agenda“ wohl die maximale Koalitionsoffenheit bereitgestellt. 

Nimmt er die zurückliegenden Landtagswahlen als Blaupause, dann geht es stark um eine Persönlichkeitswahl. An die Grünen­Nähe haben die bürgerlichen Wähler sich schon etwas gewöhnt. Spannend wird sein, ob es dem Neuen in dem ihm verbleibenden Jahr gelingen wird, die Mischung aus eigenem Profil und Anschlussfähigkeit hinzubekommen.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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