Ramelow zeigt der AfD den Mittelfinger - Das Instrumentalisierungs-Paradoxon

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow zeigt im Landtag einem AfD-Abgeordneten den Mittelfinger und nennt ihn einen „widerlichen Drecksack“. Eine nicht gerade schlaue Reaktion auf den Versuch einer Vereinnahmung.

Bodo Ramelow kann auch den Zeigefinger erheben / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Ob ihn der Mittelfinger damals das Amt gekostet hat? Im Bundestagswahlkampf 2013 posierte Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat mit der phallischen Beleidigungsgeste vor der Kamera der Kollegen des SZ Magazins. Gerichtet war der Finger an alle, die sich schöne Spitznamen wie „Pannen-Peer“ oder „Problem-Peer“ für ihn erdacht hatten. Denn Steinbrück stolperte eher durch den Wahlkampf, als dass er ihn souverän bestritt. Dennoch hatte er bis zuletzt Chancen aufs Kanzleramt.

Wenn eben nicht der Mittelfinger gewesen wäre. Die einen fanden es zwar lässig, dass Steinbrück aufs Diplomatische pfiff, die anderen aber fanden so ein Verhalten eines möglichen Kanzlers unwürdig. Und die waren in der Mehrzahl.

„Widerlicher Drecksack“

Die Geschichte der Mittelfinger-Politiker wird nun fortgeschrieben. Einer, der sich offensichtlich ebenfalls nicht so richtig unter Kontrolle hat, ist Bodo Ramelow. Der Linken-Ministerpräsident von Thüringen hat am Freitag einem AfD-Abgeordneten den Mittelfinger gezeigt und ihn dazu einen „widerlichen Drecksack" genannt. Im Landesparlament. Was war geschehen?

Stefan Möller, Mitglied der AfD-Fraktion im Erfurter Landtag, hatte eine Rede über den Verfassungsschutz, der die Thüringer AfD als Verdachtsfall beobachtet, gehalten und dann gesagt: „Wer da schon alles Tolles beobachtet wurde, nicht wahr, Herr Ramelow?“ 

Schlau war das nicht

Ramelow selbst war jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet worden (was laut Bundesverfassungsgericht unzulässig gewesen war). Möller nahm das zum Anlass, sich auf leicht perfide Art mit Ramelow zu verbrüdern, nach dem Motto: Bei Ihnen lag der Verfassungsschutz ja auch schon falsch, bei uns natürlich auch. Die Vereinnahmung durch den AfD-Abgeordneten wollte Ramelow nicht auf sich sitzen lassen und reagierte unflätig. Dass ein solches Verhalten eines demokratisch gewählten Regierungschefs unwürdig ist, darüber sollte eigentlich Konsens bestehen. Aber hier soll es nicht um Moral gehen. Sondern um Reflex und Reflexion.

Denn schlau war das von Ramelow nicht. Es zeigt einmal mehr, dass die Politik beim Umgang mit der AfD immer noch ratlos ist, affektgesteuert und taktisch unklug. Ramelows Gepolter erinnert an die Strategie des SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, der auf Zwischenrufe der Rechtspopulisten gerne mit einem brüllenden „Ich rede nicht mit Nazis!“ reagierte. Kahrs ist inzwischen nicht mehr im Parlament, die AfD schon. Gut möglich, dass es auch Ramelow nach der nächsten Landtagswahl so ergehen wird. 

Ein einziger großer Mittelfinger

Die thüringische AfD-Fraktion scheint für ihn ein einziger großer Mittelfinger zu sein, eine Provokation sondergleichen. Darauf aber selbst mit einer provokanten und ziemlich unterirdischen Geste zu reagieren, korrumpiert den „Aufstand der Anständigen“. Wer anderen die Missachtung von gesellschaftlichen Regeln und antidemokratisches Verhalten vorwirft, darf sich nicht ebenfalls auf dieses Niveau begeben, sonst diskreditiert er sich selbst. 

Das mag die besondere Herausforderung im Wettstreit mit Populisten sein, weil die sich so prinzipiell immer mehr erlauben können und den Wähler mehr beim Gefühl als beim Verstand packen können. Aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach wird.

Problem-Peer lässt grüßen

Was Ramelow mit seinem Mittelfinger angerichtet hat, ist jedenfalls das Gegenteil von dem, was er wollte: Er fühlte sich durch Möller instrumentalisiert und reagierte mit einer Beleidigung, die die AfD nun wieder instrumentalisieren kann. Erst einmal ließ sie die Sitzung unterbrechen und den Ältestenrat einberufen. Fraktionschef Björn Höcke kann Ramelow nun als „amtsunwürdig“ bezeichnen und es dürfte auch für die Gegner des Mannes, den man als „Faschisten“ bezeichnen darf, schwierig werden, ihm zu widersprechen. 

Die prollige Geste dürfte sich so als Eigentor erweisen. Und auch die Unterstützung, die Ramelow nun auf Twitter und anderswo erhält, wird wenig helfen. Die AfD in Thüringen steht -zum dritten Mal in diesem Jahr – als Sieger da. Erst die Wahlposse um Kemmerich, dann die erfolgreiche Klage gegen das Paritätsgesetz und nun Ramelows Mittelfinger. 

Angesichts dieser Siegesserie muss man sich schon fragen, ob es jenseits der AfD-Fraktion überhaupt Politiker im Erfurter Parlament gibt, die zu taktischem Denken fähig sind. Oder ob sie sich lediglich von Reflexen leiten lassen oder auf taktische Finten hereinfallen. Erfolg hat man so jedenfalls nicht – Problem-Peer lässt grüßen. 

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