Betrachtungen zum Berliner Laienspiel der Macht - Politik und Parodie

Das Auftreten der Ampel-Politiker gleicht mehr und mehr absurdem Theater. Doch die laienhafte Darbietung kommt schon fast einer Publikumsbeleidigung gleich. Die Akteure sind unfähig, die drängenden Probleme klar zu benennen und sie entsprechend zu lenken und zu gestalten.

Nur die Augsburger Puppenkiste sieht in unseren Politikern noch kreatives Potential / dpa
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Autoreninfo

Dr. phil. Dominik Pietzcker studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Von 1996 bis 2011 in leitender Funktion in der Kommunikationsbranche tätig, u.a. für die Europäische Kommission, Bundesministerien und das Bundespräsidialamt. Seit 2012 Professur für Kommunikation an der Macromedia University of Applied Sciences, Hamburg. Seit 2015 Lehraufträge an chinesischen Universitäten.

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Das Theater an der Spree ist eigentlich nur als Parodie zu verstehen und bloß als solche überhaupt noch zu ertragen. Jede andere Betrachtungsweise würde schon an Wahnsinn grenzen. Verfassungswidrige Staatsfinanzen, Verlust der Verteidigungsfähigkeit, Antidiplomatie als Außenpolitik, Ausgabenexplosion trotz fiskalischer Sparzwänge und – dies der jüngste Coup! – ein Totalversagen des Bildungssystems auf breiter föderaler Front. Selbst wenn man das Ganze als avantgardistisches Improvisationstheater ansieht, wünscht man sich doch eine schnelle und grundlegende Änderung des Spielplans im Berliner Regierungsviertel. Oder ist schon die Zeit für eine komplette Neubesetzung des Ensembles gekommen? Bauernaufstände, dies zeigt nicht zuletzt die deutsche Geschichte der frühen Neuzeit, waren stets ein gefährliches Zeichen für die Dämmerung der Macht.

Rollenspiele und Kostüme

„Acting? We all do!“, wusste bereits Richard Burton, und das gilt selbstverständlich auch für die hohe Politik. Politische Ämter sind zuallererst institutionelle Rollen, die es auszufüllen und zu kostümieren gilt. Der eine bevorzugt Manschettenknöpfe, schmale Krawatten und Maßanzüge, der andere zeigt sich lieber unrasiert im zerknautschten Sakko und mit passendem Gesichtsausdruck. Doch nicht Masken oder Stilfragen sind entscheidend, sondern ihre situative Angemessenheit. Wildlederpumps und Hermès-Gürtel im Wüstensand sind ein Rücktrittsgrund für Verteidigungsministerinnen; wer hingegen in gleicher Funktion robustes Schuhwerk und einen Parka beim Truppenbesuch im Schneegestöber trägt, wird hierzulande schon als Geostratege und potenzieller Kanzlerkandidat gehandelt.

Der Dresscode ist nicht alles, aber immerhin ein starker Indikator für die Bürde der Funktion. Wer nichts zu melden hat, aber eine überdimensionierte Intellektuellenbrille trägt, rund wie bei Jean-Paul Sartre oder Le Corbusier, kann nur Bildungsministerin sein. Wer sich bunt wie Papageno kleidet und entsprechende Töne von sich gibt, ist wohl für Fragen der Kreativität und Kultur, etwa für das wiederholte Documenta-Debakel, zuständig. Andere Regierungsmitglieder hingegen wirken am eindrucksvollsten, wenn sie gar nichts sagen, die Bundesbauministerin zum Beispiel, denn täten sie es, würde man gleich an ihrer Verstandeskraft zweifeln. Wer schweigt, sagt jedenfalls nichts Falsches. Oder doch?

Der Außenministerin ist dieses Kunststück erst neulich bei der Stimmenenthaltung zur Israel-Resolution der Vereinten Nationen gelungen. Für dieses Meisterstück wertegeleiteter Außenpolitik gab es keinen Beifall; nur Narren setzen sich selbstgerecht zwischen alle Stühle. Provokation und Befremden sind in der Tat überraschende und neuartige Rolleninterpretationen in der Diplomatie. Vielleicht gibt es tiefere Gründe, dass deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler international so selten reüssieren; und wenn, dann bloß als Exzentriker oder Bösewichte. Für die erste Garnitur reicht es jedenfalls nicht. Muss auch nicht sein! Bekennen wir uns ehrlich zu unserer neuen Bestimmung auf der Weltbühne, dem geistigen, politischen und wirtschaftlichen Mittelmaß. Dies aber bitte in merklich zurückhaltendem Ton. Das notorische Besserwissen und nicht -können verursacht auf Dauer bloß Migräne.

Schauspiel der Grautöne

Doch welche Wirkung, welche Strahlkraft entfaltet eigentlich der wahre Held und Hauptdarsteller dieser politischen Farce? Auftritt des Bundeskanzlers: grauer Anzug, graue Miene, graue Stimmung. Womöglich einer der grauen Herren, entsprungen aus Deutschlands Lieblingskinder- und -erwachsenenbuch „Momo“? Charisma und Habitus erinnern bestenfalls an den Amtsleiter im Bezirksrathaus von Berlin-Schöneberg. Hier begannen einstmals die Karrieren von Willy Brandt und Richard von Weizäcker, wurden Reden gehalten, die auf historischer Erfahrung und persönlichem Format, nicht auf prätentiöser und billiger Schlagwortrhetorik („Doppelwumms“ und „Zeitenwende“) beruhten.

Heute blickt man entgeistert auf die Mitte der politischen Bühne, doch diese ist, auch bei voller Besetzung, eigentümlich leer. Nichts passiert, während ringsum der Handlungsdruck steigt. Ist es ein Zeichen von Souveränität, sämtliche Alarmsignale zu ignorieren? Das bislang auffallendste Requisit war die – zugegeben! – verwegene Augenklappe des Kanzlers. Ein assoziationsstarkes und maskulines Accessoire, wenn auch ohne tiefere machtpolitische Symbolik. Über dem Auge des Kanzlers erinnerte sie weniger an Moshe Dayan oder John Wayne, sondern eher an eine amerikanische Hemdenwerbung aus den 1950er Jahren: „The Man in the Hathaway shirt“. Bürohemden für die Mittelklasse – kleine Angestellte und Beamte.

Die Sphinx der Macht hat kein Geheimnis

„Das Leben bildet eine Oberfläche, die so tut, als ob sie so sein müsste, wie sie ist, aber unter der Haut treiben und drängen die Dinge“, schrieb Robert Musil in seinem Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Gewiss betrachten auch heute noch die Berliner Koalitionäre ihre Politik als richtig, zukunftsweisend und notwendig. Doch erweisen sich die Akteure als zunehmend unfähig, die drängenden Dinge klar zu benennen und sie entsprechend zu lenken und zu gestalten. Auffallend ist vor allem eine bizarre politisch-administrative Lähmungserscheinung, die sich darin äußert, dass als änderungswürdig erkannte Zustände durch politische Entscheidungen nicht etwa abgestellt oder zumindest gelindert, sondern umgekehrt noch geradewegs verschlimmert werden.

Damit Bürokratiemonster schrumpfen können, müssen erst neue Monster und Behörden erschaffen werden. Damit Sozialmittel besser verteilt werden können, benötigt es zunächst mehrere tausend neue Sachbearbeiter. Um Emissionen zu reduzieren, werden bis auf absehbare Zeit die hiesigen Kohlekraftwerke tüchtig ausgelastet (und emissionsfreie Atomkraftwerke abgeschaltet). Und schließlich: Damit alle Kinder mehr wissen und mehr lernen, werden Sprachniveau und Schulanforderungen flächendeckend abgesenkt. So wird die neue Generation der Unterkomplexität herangebildet.

Das Publikum – der Souverän – schaut dem Spektakel zunehmend ungläubig zu. Es ist absurd wie bei Ionescu oder Beckett. Niemand glaubt an Nashörner, bis man selbst von einem überrannt wird. Man lebt in einer Mülltonne, aber wähnt sich in einem Palast. Politische Prokrastination wird als Weitblick dargestellt, Inkompetenz als Schlagfertigkeit. Ein Staat ohne Staatskunst, ein Chor ohne Helden, ein Theaterstück ohne Autor noch Regisseur. Glaubt man wirklich, damit auch nur im Ansatz zu überzeugen?

Die laienhafte Darbietung kommt schon fast einer Publikumsbeleidigung gleich. So handlungsarm und öde, zugleich so selbstgewiss und überheblich war politisches Theater in diesem Lande noch nie. Mediokrität und Ideenarmut herrschen; die Sphinx der Macht ist hohl und ohne Geheimnis.

Höchste Zeit also, dass der Vorhang fällt. Doch gleichgültig, wie lange die Qual noch dauern mag, eines ist schon jetzt gewiss, es wird keinen Schlussapplaus geben.

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