Berliner Neutralitätsgesetz - Wenn Vielfalt zur Einfalt wird

Das Berliner Neutralitätsgesetz sieht vor, dass Lehrerinnen im Unterricht kein islamisches Kopftuch tragen sollen. Bettina Jarasch, Grünen-Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, will das ändern – angeblich im Namen einer „pluralen“ Gesellschaft. Welch ein Irrtum!

Zeynep Cetin (r.) vom Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit äußert sich im Mai 2018 vor Journalisten über das Urteil zur Klage einer Lehrerin, die mit Kopftuch unterrichten will / dpa
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Samuel Schirmbeck (Foto privat) ist ein deutscher Autor und Filmemacher. Er war Korrespondent der ARD in Algerien und ist seit 2001 als freier Mitarbeiter unter anderem beim ZDF tätig.

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In Afghanistan darf es kein einziges Frauenhaupt ohne Kopftuch mehr geben, seit die Taliban dort wieder die Herrschaft übernommen haben. Die islamistischen Frauenverhüller dieser Welt (das „Kopftuch“ verlangt ja die stoffliche Verdeckung des weiblichen Körpers vom Haar über den Nacken bis zu den Knöcheln hinab, selbst wenn Musliminnen in Berlin diesem Gebot auch in Jeans nachkommen dürfen) haben eine Fläche von der zweifachen Größe Deutschlands hinzugewonnen. 

Aber muss das Kopftuch deshalb auch in Berliner Klassenzimmern landen, auf dem Haupt muslimischer Lehrerinnen? Ja, bekräftigte die Spitzenkandidatin der Grünen für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, Bettina Jarasch, jüngst noch einmal ausdrücklich im ARD-Mittagsmagazin. Sie berief sich dabei auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, welches entschieden habe, so Jarasch, „dass das Berliner Neutralitätsgesetz nicht zu einem pauschalen Verbot von Kopftüchern bei Lehrerinnen führen darf. Das heißt, wir müssen das Gesetz nicht abschaffen, aber wir müssen es mindestens reformieren. Und da würde ich mal sagen: Das müssen wir machen, weil das Land Berlin mit verfassungskonformen Gesetzen umgehen muss.“ 

Nachfrage der Reporterin: „Müssen wir machen – aber stehen Sie auch dahinter und finden Sie das richtig?“ Jarasch: „Ich find’s auch richtig, ja. Die Gesellschaft ist plural. Ein bisschen Pluralität im Lehrerzimmer wird nichts schaden, ich erwarte allerdings von einer Lehrerin mit Kopftuch wie von einem Lehrer oder einer Lehrerin ohne Kopftuch, dass sie die Selbstbestimmung von allen Schülern und Schülerinnen unterstützt.“

Aussichtslose Erwartung

Die gesamte muslimische Aufklärung – ja, es gibt sie, Frau Jarasch! – , von den Marokkanerinnen Fatima Mernissi und Leila Slimani,  dem Tunesier Abdelwahab Meddeb über die Ägypterin Mona Eltahawy bis zu den Algerierinnen Wassyla Tamzali und Assia Djebar, um nur einige der von den Grünen meist komplett Ignorierten zu nennen, sowie sämtliche Frauenrechtsverbände der arabisch-islamischen Welt weisen nach, dass die Erwartung von Bettina Jarasch völlig aussichtslos ist. 

Denn hinter dem Kopftuch steckt eine militante Ideologie – und nicht die Religion, auf die sich die auch in Klassenzimmern eines nicht-muslimischen Landes unbedingt Kopftuch tragen wollenden Lehrkräfte stets berufen. „Mit dem Kopftuch sind wir nicht im Heiligen“, hat der marokkanisch-stämmige Imam von Bordeaux, Tareq Oubrou, erklärt, es habe lediglich die Bedeutung einer Benimmregel, die man befolgen könne oder auch nicht. 

Die gesamte muslimische Aufklärung belegt, dass es beim Kopftuch um rigide Geschlechtertrennung, um die Kontrolle der weiblichen Sexualität und um die Verneinung des „Habeas Corpus“ für muslimische Frauen geht. Dazu gehört vor allem, Mädchen von klein auf beizubringen, sich ihres weiblichen Körpers zu schämen, ihn als sündhaftes gesellschaftliches Übel zu verinnerlichen, das es zu verstecken gilt. 

Die marokkanische Soziologin Soumaya Naamane-Guessous hat mit ihrem Buch „Au-delà de toute pudeur“ („Jenseits aller Scham“) schon in den 90er-Jahren Marokkanerinnen Musliminnen!  derart aus dem Herzen gesprochen, dass es im wenig lesefreudigen Marokko zu einem Bestseller wurde. Dass Musliminnen „freiwillig“ Kopftuch tragen, macht die dahinterstehende Ideologie nicht besser.

Der Islam braucht kein Kopftuch

Die Frau von Mohamed VI., dem König von Marokko, trug bei öffentlichen Auftritten neben ihrem Mann, immerhin dem „Führer aller Gläubigen“, kein Kopftuch. Frau Erdogan dagegen trägt stets ein extra eng gebundenes Exemplar. Kurz: Der Islam braucht kein Kopftuch, der Islamismus schon. „Die Frau ohne Kopftuch ist wie eine Zwei-Euro-Münze, sie geht von einer Hand zur anderen“, so begründet Hani Ramadan, Direktor des Islamischen Zentrums Genf, die männliche Kontrolle der muslimischen Frau. Er ist, kein Zufall, Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft, Hassan-al-Banna.

Von all diesen frauenverachtenden Vorstellungen nicht behelligt zu werden – genau dazu dient das Berliner Neutralitätsgesetz, indem es muslimischen Schülerinnen ein Klassenzimmer ohne Kopftuch tragende Lehrerin garantiert. Bettina Jarasch beschwört permanent die „Vielfalt“ und die „offene Gesellschaft“. Dann möge sie doch bitte muslimischen Mädchen nicht die Chance dieser europäisch-aufgeklärten Vielfalt nehmen, indem sie sie auch noch außerhalb ihrer oft religiös konservativen, wenig weltoffenen und pluralistisch denkenden Familien in der Schule erneut mit dem Kopftuch einer Autoritätsperson konfrontiert. 

Zum Neutralitätsgesetz hat Jarasch erklärt: „Faktisch diskriminiert es muslimische Frauen.“ Möge sie doch bitte mal in Kabul nachfragen: Es gibt eine Menge muslimischer Frauen, die sich gerade durch das Kopftuch diskriminiert fühlen. Nicht wenige von ihnen hoffen auf eine Ausreise ins säkulare Europa. Da wäre es hilfreich „Vielfalt“ und „Offenheit“ nicht nur für die „Bullerbü“-Welt der Grünen, sondern auch für die muslimische Community in Berlin zu befördern. Sonst freuen sich am Ende noch die Taliban, sollte Bettina Jarasch tatsächlich Regierende Bürgermeisterin werden.

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