Berliner Verkehrspolitik - Der Verbrennungsmotor als Sündenbock

Ab 2030 sollen Berliner nur noch mit E-Autos und Autos mit Hybridmotor in der Innenstadt fahren dürfen. Mit dieser Forderung umgarnt die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther ihre Klientel. Ihr Vorstoß lenkt von den Versäumnissen ihrer eigenen Politik ab

Grüne Verkehrswende oder taktische Verbotspolitik? / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Dass Politiker mitunter mit – gelinde gesagt – skurrilen Vorschlägen vorpreschen, ist nicht ungewöhnlich. Manchmal handelt es sich schlicht um Profilierungsdrang. Doch bei Regine Günther kann man durchaus von einer kalkulierten Provokation ausgehen, als sie mit einer Vorlage in die Öffentlichkeit ging, laut der die gesamte Innenstadt innerhalb des S-Bahn-Rings ab 2030 zur Verbotszone für alle Autos mit Verbrennungsmotoren werden soll. 

Günthers Politik war von vornherein auf die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs besonders in der Innenstadt ausgerichtet. Im Dezember 2016 rotierte die politische Quereinsteigerin aus der Chefetage der Umweltorganisation WWF auf dem Ticket der Grünen in den neuen rot-rot-grünen Senat. Dort leitet sie das in der Hauptstadt besonders wichtige Ressort für Umwelt, Verkehr und die Klimaschutz, was sich für die Grünen zu einer Art identitätsstiftenden Bollwerk entwickelt hat. 

Die Parkplatzsuche wird zum Überlebenskampf

Für ein Umsteuern in der über Jahrzehnte auf das Auto fixierten Verkehrspolitik gibt es durchaus viele vernünftige Gründe. In der wachsenden, zunehmend verdichteten Stadt ist der ausufernde PKW- und Lieferverkehr längst kein Mobilitätsmotor mehr, sondern ein Hemmschuh für die ökologische und infrastrukturelle Entwicklung der Stadt.

Und dabei geht es nicht nur um Feinstaub und CO2, sondern auch um Kapazitätsgrenzen. Private PKW stehen im Schnitt 23 Stunden pro Tag auf öffentlichem Straßenland, die Parkplatzsuche wird zum ständigen Überlebenskampf, auf der einst als Meilenstein gepriesenen Stadtautobahn und auf vielen Hauptstraßen grüßt täglich das Stau-Murmeltier.Die Alternativen sind bekannt und in vielen europäischen Städten längst erfolgreich etabliert.

Verkehrsbetriebe kämpfen mit maroden Fuhrparks 

An erster Stelle wäre der massive, bedarfsgerechte Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu nennen, also U-Bahn, S-Bahn, Bus und Straßenbahn, ergänzt durch flexible Shuttle-Systeme und Car-Sharing-Angebote. Doch genau dabei hakt es in Berlin gewaltig. Die Verkehrsbetriebe kämpfen nach jahrelanger „Sparpolitik“ mit maroden Fuhrparks und fehlenden Kapazitäten, schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht. Ausbaupläne verschimmeln in endlosen Planungsschleifen, wenn sie denn überhaupt über das Blaupausen-Stadium hinauskommen. Nennenswerte Fortschritte hat die Senatorin in diesen Fragen auch drei Jahre nach ihrem Amtsantritt nicht vorzuweisen.

Und selbst beim eigentlichen grünen Steckenpferd, dem Ausbau der Fahrradinfrastruktur, geht es kaum voran. Zwar wächst der Anteil der Fahrradfahrer im alltäglichen Verkehr wie gewünscht kontinuierlich, aber deren massive Gefährdung durch Nutzungskonflikte etwa an Kreuzungen  nimmt ebenfalls zu, wobei die jeweilige „Schuldfrage“ eher nebensächlich ist. Es mangelt einfach an sicheren, möglichst kreuzungsfreien Trassen für den Fahrradverkehr.

Ist der Verbrennungsmotor die Wurzel allen Übels? 

Vor diesem Hintergrund des umfassenden Versagens in der Verkehrspolitik hat der Vorstoß der grünen Senatorin etwas recht Perfides an sich. Wohlfeil wird der böse Verbrennungsmotor zur Wurzel allen Übels erklärt, was angesichts der alles dominierenden Klima-Debatte diffuse Grundstimmungen der eigenen Klientel gefühlig bedient.

Als Bonbon wird der oftmals gut situierten Anhängerschaft auch noch das E-Auto als restriktionsbefreite Ausweichmöglichkeit offeriert, obwohl bei einem – nicht zu erwartenden – massenhaften Umstieg auf E-Autos die meisten Probleme des innerstädtischen Individualverkehrs fortgeschrieben würden und abgesehen von den Abgasen auch die ökologische Wertigkeit dieses PKW-Typs zumindest zweifelhaft ist. Von den eigentlichen Aufgaben einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik lenkt Günthers Verbrennungsmotor-Bashing jedenfalls trefflich ab.

Die CDU, die Partei des „Schweinenackensteaks“

Doch sie könnte damit sogar durchkommen. Zum einen ist die Opposition gegen den rot-rot-grünen Berliner Senat bemerkenswert schwach. Zu Günthers Attacke fallen CDU, FDP und AfD  wenig mehr als archaisch anmutende Beschwörungen der „individuellen Freiheit“ des Autofahrers ein. Ein Politikkonzept, dass selbst der frühere Hamburger CDU-Bürgermeister Ole von Beust, der die schwächelnden Berliner Parteifreunde jetzt für den nächsten Wahlkampf in Sachen urbaner Großstadtpolitik beraten soll, für wenig erfolgsträchtig hält.

Er bescheinigt der Hauptstadt-CDU „eine Programmatik, die in den 80er Jahren hängen geblieben ist“, was der Wirklichkeit der Stadt nicht mehr gerecht werde. Als „Partei des Verbrennungsmotors, des Schweinenackensteaks und des Arbeitens bis zum Umfallen“ könne man in den großstädtischen Milieus keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Die Suche der Berliner SPD nach ihrem Markenkern

Auch innerhalb der rot-rot-grünen Koalition sorgte Günthers Vorstoß für einigen Unmut, sowohl bei der SPD als auch bei der Linken. Denn die Koalitionspartner müssen wenigstens teilweise auch andere Klientele bedienen, als die postmodernen Grünen. Doch zum großen Krach wird es wegen der „Verbrennerfrage“ nicht kommen. Längst sind die drei Akteure damit beschäftigt, ihre Claims für die nächsten Wahlen im Herbst 2021 abzustecken.

Alle – auch die Opposition – gehen davon aus, dass es danach eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün geben, mit wahrscheinlich deutlich veränderten Kräfteverhältnissen. Die Grünen wollen mit Verkehr, Umwelt und Genderthemen punkten, die Linke auch ein bisschen, aber vor allem mit dem Mietendeckel, und die SPD ist noch auf der verzweifelten Suche nach einem Berliner „Markenkern“. Vor dem Hintergrund dieser parteipolitischen und machttaktischen Großwetterlage kann man wohl kaum eine ernsthafte, sachorientierte Auseinandersetzung über eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik und deren Umsetzung erwarten.  

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