Stühlerücken in der Berliner SPD - Michael Müller auf Geisterfahrt

Ein Jahr vor der Wahl zeigt Berlins Senat Ermüdungserscheinungen. Am meisten Angst um seine politische Zukunft hat Michael Müller. Der Regierende Bürgermeister sucht Asyl im Bundestag. Das ist leichter gesagt als getan - denn auch Kevin Kühnert und Sawsan Chebli wollen ein Ticket.

Last exit Ministeramt? Michael Müller bangt um seine politische Zukunft, Sawsan Chebli macht sie ihm streitig / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Rund 13 Monate vor der nächsten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zeigt die amtierende rot-rot-grüne Landesregierung deutliche Auflösungserscheinungen. Die linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher stolperte über nicht gezahlte Abgaben und Steuern für ihre amtsbezogenen Aufsichtsratsmandate und reichte am 2. August ihren sofortigen Rücktritt ein.

Um die Nachfolge wird innerhalb der Linken hinter verschlossenen Türen heftig gerungen. Der Andrang hochkarätiger Bewerberinnen – es soll auf alle Fälle wieder eine Frau sein – dürfte sich allerdings in Grenzen halten, denn 13 Monate dürften kaum ausreichen, den Scherbenhaufen zusammenzukehren, den Lompscher vor allem in der Neubaupolitik hinterlassen hat. 

Abschied auf Raten

Nicht ganz so eilig hat es Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD). Ihr Amt will sie – Stand heute - trotz heftiger Kritik an ihrem Krisenmanagement in der Corona-Krise noch bis zum Ende der Legislaturperiode ausüben. Aber danach sei für sie definitiv Feierabend in der Berliner Landespolitik, verkündete Kalayci am 6. August, ohne Angabe von Gründen. Auch für das Abgeordnetenhaus wird sie nicht mehr kandidieren. Ihre Kolleginnen und Kollegen im Senat nahmen ihre Ankündigung eher schulterzuckend zur Kenntnis, was nicht gerade für übermäßige Wertschätzung ihrer Arbeit spricht. 

Das gilt wohl auch für ihre Parteifreundin Sandra Scheeres, die als Bildungssenatorin schon seit ihrem Amtsantritt von einer Panne zur nächsten taumelt. Zu ihrer „Erfolgsbilanz“ gehören die unverändert schlechten Leistungsdaten der Berliner Schüler, der bundesweit dramatischste Lehrermangel – besonders an solchen mit entsprechender Qualifikation, der Stillstand bei der groß angekündigten Breitbandanbindung der allgemeinbildenden öffentlichen Schulen. Doch sie will nicht zurücktreten, und entlassen wird sie wohl auch nicht.

Kevin Kühnert und Sawsan Chebli wollen auch

Dies müsste der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) tun, aber der ist selbst längst eine „Lame Duck“, also ein Amtsinhaber auf Abruf. Müller hat bereits vor Monaten seinen Abschied aus der Landesregierung nach der kommenden Wahl verkündet, als designierte Nachfolgerin für den Landesvorsitz der Partei und die Spitzenkandidatur bei den kommenden Wahlen steht die amtierenden Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in den Startlöchern.

Doch Müller zeigt – sehr zum Unmut einiger Parteifreunde – wenig Neigung, Giffey durch eine baldige Amtsübergabe noch die Chance zu geben, sich für die Wahlen profilieren zu können. Zumal auch Linke und Grüne von dieser Personalie nicht gerade begeistert sind. Müller zieht es in die Bundespolitik, am besten in Form eines Direktmandats im nächsten deutschen Bundestag. Doch das ist keineswegs ein Selbstläufer.

Der Shooting-Star hat Vorrang 

In seinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg signalisiertem ihm die Genossen, dass man dort eher auf den ebenfalls dort verwurzelten SPD-Shooting-Star Kevin Kühnert setzt. Müller vermied die Kampfkandidatur und will nun auf Charlottenburg-Wilmersdorf ausweichen, eine vermeintlich sichere Bank. Doch da grätscht ihm nun mit Sawsan Chebli ausgerechnet die Frau in die Parade, die Müller 2016 trotz heftiger parteiinterner Kritik als Staatssekretärin in seine Senatskanzlei geholt hatte.

Auch sie hat also offensichtlich keine Lust mehr, künftig im Berliner Senat zu arbeiten. Dort wird es wohl zur Kampfkandidatur kommen – mit derzeit besseren Aussichten für Müller. Ob er sich in dieser traditionellen CDU-Hochburg bei der Bundestagswahl durchsetzen könnte, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Müller könnte sich verzockt haben

Müller beansprucht auch wie selbstverständlich den 1. Platz auf der SPD-Landesliste für sich. Doch auch dafür hat Kühnert bereits die Hand gehoben. Insgesamt wird die Berliner SPD wohl nicht mehr als fünf Abgeordnetenmandate für den nächsten Bundestag erringen. Wer keinen Wahlkreis gewonnen hat, kann als Mann (Platz 2 ist für eine Frau reserviert) eigentlich nur auf dem 1. Platz der Landesliste in den Bundestag kommen.

Es könnte also durchaus sein, dass Müller alsbald ziemlich sang- und klanglos in der Versenkung verschwindet. Und seine am Wochenende via Bild am Sonntag verbreitete Ankündigung, in einer künftigen Regierung das Amt des Bundesbauministers übernehmen zu wollen, ist vermutlich ein Witz. Eigentlich könnte man dieses allgegenwärtige Gerangel und Geschiebe um Posten, das man ja auch von anderen Parteien zur Genüge kennt, auch als solchen abtun. Wenn die Beteiligten wenigstens ihren Job anständig erledigen würden.

Noch hat Rot-Rot-Grün nach Umfragen zwar die Mehrheit. Doch nach einer Umfrage von Insa liegt liegt die CDU mit 21 Prozent vorne, vor den Grünen (19 Prozent), den Linken (18 Prozent) und der SPD (16 Prozent). Süffisant twitterte die CDU zum Schulanfang: „Berlin braucht bessere Schulen. Kann ja nicht jeder Politiker werden.

Anzeige