Berliner Mietendeckel - Notwendige Regulierung oder sozialistische Zwangswirtschaft?

Ab heute müssen in Berlin Mieten abgesenkt werden, wenn sie die Grenzwerte des Mietendeckels um mehr als 20 Prozent überschreiten. Immobilienwirtschaft und Opposition laufen dagegen Sturm, das Bundesverfassungsgericht wird bis Juni 2021 endgültig entscheiden.

Der Berliner Mietendeckel geht in die zweite Phase: Ab heute müssen auch Bestandsmieten gesenkt werden / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Nein, am heutigen Montag beginnt keine neue Ära der sozialistischen Zwangswirtschaft in Berlin. Vielmehr ist lediglich die zweite Stufe eines im Februar 2020 vom Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der rot-rot-grünen Koalition verabschiedeten Gesetzes zur Begrenzung der Bestandsmieten in Kraft getreten.

In dem auf fünf Jahre befristeten „Mietendeckel-Gesetz“ wurden nach Baualter, Wohnlage und Ausstattung differenzierte Mietobergrenzen für Bestandswohnungen bis zum Baujahr 2014 festgelegt und Modernisierungsumlagen gekappt. In der ersten Stufe galt der Deckel für Neuvermietungen, Bestandsmieten wurden zunächst eingefroren. Ab heute müssen sie abgesenkt werden, wenn sie die gesetzlichen Deckelwerte um mehr als 20 Prozent übersteigen. Davon könnten bis zu 340.000 Mieterhaushalte in der Stadt profitieren.

Jahrelanges Versagen in der Wohnungspolitik

Dass dieses Gesetz auf vehemente Ablehnung seitens der Immobilienwirtschaft und wirtschaftsliberaler Politiker stößt, kann kaum verwundern. Es ist zweifellos ein Eingriff, aber nicht in das Eigentum als solches, sondern in die aus seiner Verwertung resultierenden Renditepotenziale. Und da ist nicht nur, aber besonders in Berlin einiges aus dem Ruder gelaufen.

Binnen zehn Jahres hatten sich die Angebotsmieten in der Berliner Innenstadt bis 2019 nahezu verdoppelt. Die Stadt entwickelte sich zum internationalen Hotspot der Immobilienspekulation, Mietshäuser und einzelne Wohnungen wurden zu aberwitzigen Preisen oftmals mehrfach ge- und verkauft, was natürlich stets mit der Erwartung auf weitere Wertsteigerungen und immer weiter steigende Mieten verbunden war.

Die Stadt begegnete dieser Entwicklung lange Zeit mit einer Mischung aus Ignoranz und Hilflosigkeit – und beförderte sie sogar, etwa durch den Verkauf von über 100.000 kommunalen Wohnungen an Finanzinvestoren im Jahr 2004. Der Bestand an Sozialwohnungen für einkommensschwächere Bevölkerungsteile schrumpfte rasant, der Neubau wurde sträflich vernachlässigt und die Angebotslücke bei bezahlbaren Wohnungen wuchs entsprechend, zumal die Stadt seit zehn Jahren einen starken Bevölkerungszuwachs verzeichnet.

Zwar ist seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts eine zarte Kehrtwende eingeleitet worden, etwa durch die Neuausrichtung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, allmählich verstärke Neubautätigkeit und forcierte Anwendung von Instrumenten wie dem bezirklichen Milieuschutz und dem damit verbundenen Vorkaufsrecht, doch die desaströse Entwicklung auf dem Mietmarkt konnte damit kaum gedämpft oder gar gestoppt werden.

Mietendeckel als „Notbremse“

Mit dem Mietendeckel wurde also auch als Eingeständnis des eigenen, jahrzehntelangen Versagens die Notbremse gezogen. Ob das in dieser Form zulässig ist, wird letztendlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ein Urteil wird bis zum Juni 2021 erwartet. Im Mittelpunkt der Entscheidung werden dabei nicht die Eingriffe in die Renditeerwartungen der Eigentümer stehen, denn diese hat das oberste Gericht bereits in anderen Entscheidungen als nachrangig eingestuft.

So heißt es in der Begründung eines Urteils zur Rechtmäßigkeit der „Mietpreisbremse“ im August 2019: „Es liegt im öffentlichen Interesse, der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Stadtteilen entgegenzuwirken“. In dem aktuellen Verfahren, das von CDU/CSU und FDP als Normenkontrollklage in Gang gebracht wurde, geht es vor allem um die Frage, ob das Land Berlin überhaupt berechtigt ist, ein derartiges Gesetz zu erlassen, da es möglicherweise mit dem im Bürgerlichen Gesetzbuch auf Bundesebene geregelten Mietrecht kollidiert.

Die Protagonisten des Berliner Mietendeckels berufen sich dagegen auf die Föderalismusreform im Jahr 2006, mit der die Kompetenz für das Wohnungswesen auf die Länder übertragen wurde. Einen entsprechenden Aufsatz hatte der Verwaltungsjurist Peter Weber im November 2018 in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht. Wenig später wurde diese Anregung zunächst von der SPD und später auch von Linken und Grünen aufgenommen und in einem zähen, koalitionsinternen Verhandlungsprozess schließlich in ein Gesetz gegossen.

„Der Markt“ wird es nicht alleine richten

Wie die Sache in Karlsruhe ausgeht, weiß natürlich kein Mensch, beide Seiten üben sich derzeit in demonstrativem Zweckoptimismus. Aber Schwung in die wohnungspolitische Debatte hat der Mietendeckel so oder so gebracht. Wohnungsmangel bis hin zur existentiellen Wohnungsnot ist längst zu einer der großen sozialen Fragen in Deutschland geworden, vor allem in Großstädten.

Der Staat hat die Pflicht, dort im Sinne seiner sozialen Gesamtverantwortung massiv einzugreifen, sei es durch forcierten Neubau dauerhaft bezahlbaren Wohnraums, durch Eindämmung der Spekulation und auch durch Regulierung der Mieten. Denn dass „der Markt“ es nicht von alleine richten wird, hat sich in der jüngeren Vergangenheit überdeutlich erwiesen.

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