Berliner Justizsenator Dirk Behrendt - Kreuzberger Justiz

Der grüne Berliner Justizsenator Dirk Behrendt stellt seine Koalitionspartner von SPD und Linke immer wieder auf eine harte Probe. Aber was haben diese erwartet?

Ein Grüner, der grüne Politik macht: Dirk Behrendt / dpa
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Wenn Dirk Behrendt seine Erfolge aufzählen soll, klingt es anders, als man es von Justizsenatoren kennt. Er habe bundesweit eine Debatte darüber angestoßen, ob Schwarzfahrer wirklich ins Gefängnis müssen, sagt er. Dass er mehr Gefangenen Zugang zum Internet verschafft habe. Und dass zwar viele immer noch zu lange im Gefängnis säßen, er sich aber dafür eingesetzt habe, dass sie früher rauskommen.

Schon hat der 49-Jährige alle Klischees über sich erfüllt. Denn erstens führt er die Justiz in Berlin, jene Stadt, die südlich der Elbe als weitgehend rechtsfreier Raum gilt. Zweitens gehört er den Grünen an, und Grüne und Justiz halten viele noch immer für einen Widerspruch in sich. Drittens gehört er der Kreuzberger Fraktion an: Behrendt ist politischer Ziehsohn von Wolfgang Wieland, Berliner Justizsenator 2001 bis 2002, und liiert mit Daniel Wesener, der im Berliner Parlament sitzt und enger Mitarbeiter von Hans-Christian Ströbele ist. Das Politiker-Paar gilt selbst im rot-rot-grünen Senat, der Berlin seit 2016 regiert, als linksaußen. Für die beginne der „Kampf gegen rechts“ schon bei Olaf Scholz, sagt ein Grünen-Realo. Seit Behrendt im Amt ist, wird ihm vorgeworfen, er kümmere sich mehr um die Verfolgten als um die Verfolger im Rechtsstaat.

Die Kritiker fühlten sich bestätigt, als zu Weihnachten 2017 mehrere Gefangene vormachten, wie leicht es war, aus dem Berliner Strafvollzug zu fliehen. Oder als Horst Seehofer im Sommer 2020 keine Bundespolizisten mehr nach Berlin schicken wollte – der Innenminister fürchtete wegen des von Behrendt auf den Weg gebrachten Antidiskriminierungsgesetzes eine Klagewelle gegen die Polizisten, da es die Beweislast zuungunsten der Beamten auslegt. 

Die Gelassenheit eines Szene-Gastronomen

Damals konnte sich Behrendt noch der Unterstützung des SPD-Innensenators Andreas Geisel sicher sein. Behrendts jüngste Aktionen haben den Koalitionspartner aber so verärgert, dass manche ihre Wut öffentlich machen. Im November warfen Spitzenvertreter der Biomedizin Behrendt vor, Genehmigungen bei Tierversuchen so zu verschleppen, dass Berlin als Wissenschaftsstandort gefährdet sei. „Die Wissenschaft ist keine Spielwiese für ideologisches Wunschdenken“, schimpfte Staatssekretär Steffen Krach (SPD).

Koalitionsgefährdend wurde es im September, als Referendarinnen in Berliner Gerichtssälen erlaubt wurde, Kopftuch zu tragen. Damit stelle sich Behrendt gegen das Berliner Neutralitätsgesetz, warf ihm SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier vor. Das Gesetz verbietet staatlich Beschäftigten bei der öffentlichen Amtsausübung das Tragen religiös konnotierter Kleidung und gilt in der SPD als heilige Kuh, um den Berliner Schmelztiegel nicht auseinanderfliegen zu lassen. 

Im Gespräch reagiert Behrendt auf die Anwürfe mit der Gelassenheit eines etablierten Szene-Gastronomen, als der er mit Dreitagebart und geöffnetem Hemdkragen durchgehen könnte. Behörden in Deutschland würden nun einmal politisch geführt, sagt er: „Da muss sich doch keiner wundern, dass ich versuche, grüne Politik durchzusetzen.“ Wenn man wolle, dass sich Gefangene wieder resozialisieren, müssten die sich auch mit dem Internet auskennen. Der Tierschutz gehöre eben zu seinen Aufgaben. Beamte, die sich angemessen verhalten, müssten das Antidiskriminierungsgesetz nicht fürchten. Und beim Neutralitätsgesetz „muss die SPD endlich einsehen, dass sie seit Jahren offen die Verfassung bricht“. Eine Referendarin mit Kopftuch sei keine Staatsanwältin oder Richterin, und ohnehin setze er nur die Empfehlung des Berliner Kammergerichts um. 

Was selbst seinen Gegnern Respekt abrang

Ganz so einfach ist es nicht. Bei der Entscheidung des Kammergerichts habe Behrendt durchaus seine vom Amt verliehenen Muskeln spielen lassen, klagt ein parteiinterner Gegner. Zugleich ist unklar, ob das Berliner Neutralitätsgesetz der Verfassung entspricht. 

Doch auch Kritiker geben zu, dass Behrendt für die Berliner Justiz einiges bewirkt hat: nach innen bei der Bekämpfung des chronischen Personalmangels, nach außen gegen die Clankriminalität. Auch der Vorwurf der Abgehobenheit verfängt nicht: Der Sohn eines Sozialarbeiters in einer Jugendhaftanstalt ist im Problemkiez Märkisches Viertel zur Schule gegangen und hat sechs Jahre als Amtsrichter gearbeitet. In der Opposition attackierte er über Jahre die Rechtspolitiker des Senats, seine Ausdauer rang auch ihnen Respekt ab. 

Als Senator sitzt er trotz der Kritik fest im Sattel. Und ohne die Grünen, die in Umfragen klar führen, ist wohl auch nach der Landtagswahl 2021 keine Regierung möglich. Ein Wechsel als Justizminister auf die Bundesebene ist aber schwer vorstellbar – zumindest in einer Koalition mit der CDU. So weit geht deren Liebe zu den Grünen dann doch nicht.

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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