Dit is Berlin - Schöner „runterkommen“ mit einem Tütchen der BVG

Zu Weihnachten beglücken die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihre Kunden mit einem Hanf-Ticket. Eine großartige Idee, findet unsere Autorin. Ein Fahrschein, den man in der Pfeife rauchen kann? Wie vieles andere in der Hauptstadt ist leider aber auch dieses Patent noch nicht ganz ausgereift.

Kann man in der Pfeife rauchen: das Tütchen der BVG / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es gibt zwei Sachen, die man als zugezogener Berliner beherrschen muss, um irgendwann mal sagen zu können: „Ich bin ein Berliner“: meckern und schwarzfahren. Das erste ist gar nicht so schwer. Im Gegenteil, es ergibt sich von allein, wenn man in einer Stadt lebt, in der die Chance auf einen Lottogewinn höher ist als die Chance, einen Parkplatz in Wohnungsnähe zu finden. Mal ganz zu schweigen von einem Termin im Bürgeramt, um einen neuen Personalausweis zu beantragen.

Das Schwarzfahren stellt da schon höhere Ansprüche, vor allem für Nutzer der BVG-App. Die fahren manchmal schwarz, obwohl sie es gar nicht wollen. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Es gibt nämlich Stadtteile, wo das Mobilfunknetz löchriger ist als in der mongolischen Tundra. Hinzu kommt, dass der Server der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) regelmäßig abschmiert. Versuchen Sie dann mal einem Kontrolleur zu erklären, warum Sie keinen Code auf dem Handy haben.

Schwarzfahren wider Willen

Kleiner Spoiler: Er wird Ihnen dann nicht das Handy aus der Hand nehmen und sagen: „Ach, Mäuschen, lass mich das mal machen.“ Ich habe wegen eines Server-Ausfalls neulich mal ein Kundencenter am Ostkreuz aufgesucht. Eine rustikal-charmante Dame bellte, darum könne sie sich nicht auch noch kümmern. Ich solle eine Service-Nummer anrufen. Dort würde man mir helfen. Ich hab es dann vorgezogen, einen Ticket-Automaten aufzusuchen. Was gar nicht so leicht war. Auf meinem Bahnsteig waren alle defekt.

Aber genug gemeckert. Weihnachten steht vor der Tür, und da hat sich die BVG überlegt, wie sie stressgeplagte Berliner nicht nur heim-, sondern vielleicht auch runterbringen kann. Die Lösung steckt in einem kleinen durchsichtigen Tütchen: „Dit Hanfticket“. Es kostet 8,80 Euro und ist 24 Stunden gültig. 

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„Gebt das Hanf frei!“

„Was haben die denn geraucht?“, werden Sie jetzt sagen. Und sich kopfschüttelnd fragen, ob der rot-rot-grüne Senat keine anderen Sorgen hat, als die von der Ampel beschlossene Cannabis-Freigabe flächendeckend umzusetzen. Raus aus dem Görlitzer Park, rein in die S-Bahn, in Busse und Trams.

Nun, das wäre tatsächlich mal ein schönes Weihnachtgeschenk. Ein Coup, der CDU-Wähler und die Fangirls und Fanboys des Berliner Ur-Grünen Christian Ströbele miteinander versöhnen würde. Der rappte schon 2002: „Gebt das Hanf frei!“ Die BVG hätte damit nicht nur den Sumpf des illegalen Drogenhandels trocken gelegt. Sie hätte auch Millionen Fahrgäste mit nur einem Tütchen beglückt/berauscht/beruhigt. Mit einem Wort: Die Teilung der Stadt wäre Vergangenheit. Es könnte endlich zusammenwachsen, was zusammengehört. BVG, wir lieben dir!    

 

Hauptstadt der Bekloppten

Aber so weit reicht die Phantasie der kreativen Köpfe aus der PR-Abteilung eben doch nicht. „Dit Hanfticket“ kann man nicht zerkrümeln und in der Bong rauchen. Es ist ein als Fahrkarte verkleideter Placebo aus Esspapier, der angeblich mit einigen Tropfen Hanföl beträufelt wurde. „Richtig gutes Zeug“, schwärmt ein Berliner Busfahrer, Typ: Reinickendorfer Rambo, in dem dazugehörigen Werbespot. Für ihre anarchischen Kurzfilme („Is‘ mir egal“) ist die BVG auch im Rest der Republik bekannt. Augenzwinkernd kultivieren sie Berlins Image als Hauptstadt der Bekloppten. In dem  neuesten Film fährt ein Busfahrer mit seinem „Cannabus“ aufs Land und stapft auf einer Hanf-Farm durch einen Dschungel aus Cannabispflanzen, um den besten Stoff persönlich auszulesen.

Nein, es ist nicht das, was Sie denken. Das Öl für das Hanfticket wird nicht aus den Blättern oder Blüten der Cannabispflanze gewonnen, sondern aus den Samen. Es enthält also weder THC noch CBD. Seine Wirkung ist ungefähr so berauschend wie die Neujahrsansprachen des resignierenden Ex-Bürgermeisters Michael Müller. Nur unser BVG-Busfahrer ist total geflasht. Aber wer weiß, ob der nicht vorher den richtigen Stoff geraucht hat. Es sei „völlig legal“ und „gesundheitlich völlig unbedenklich“, schwärmt er.

„Schluck deinen Ärger runter!“

Kiffer lockt so etwas natürlich nicht hinter ihrer Bong hervor. Die beiden Hoodie-Träger, die in dem Video eine Tramhaltestelle mit dem Rauch ihrer Joints in dichten Nebel gehüllt haben, müssen sich ihr Dope weiterhin im Görlitzer Park besorgen: „Eure Tüten sind bei uns nach wie vor tabu, ihr Flitzpiepen“, brüllt der Busfahrer.

Neue Fahrgäste wird die BVG mit diesem Tütchen also nicht gewinnen. Aber Stammkunden wie mich vermag „Dit Hanfticket“ vielleicht tatsächlich zu versöhnen – mit Berlin, mit dem öffentlichen Nahverkehr und, wer weiß, vielleicht sogar mit dem löchrigen Mobilfunknetz und kaputten Fahrkartenautomaten. Es ist nicht umsonst aus Esspapier. Nach Gebrauch kann ich es mir in den Mund stopfen. 

Auf der Packung steht: „Schluck deinen Ärger einfach runter!“      

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