Volksentscheid über klimaneutrales Berlin - „Wir müssten Budgets dann dramatisch umplanen“

Rund 2,4 Millionen Berliner sollen darüber entscheiden, ob die Stadt bis 2030 emissionsfrei gemacht werden soll. Der Klima-Volksentscheid gefährde den sozialen Frieden und das Vorhaben sei unrealistisch, sagt der CDU-Politiker Danny Freymark im Interview.

Günstig wird die Klimaneutralität bestimmt nicht/ dpa
Anzeige

Autoreninfo

Felix Huber studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

So erreichen Sie Felix Huber:

Anzeige

Danny Freymark ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus und seit 2011 Mitglied des Parlaments. 

Herr Freymark, wenn ich Autofahrer bin und das in Berlin auch bleiben möchte, sollte ich dann für den Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ stimmen?

Wenn Sie ein gewisses Grundvertrauen in die Politik haben, ergibt es Sinn, gegen den Volksentscheid zu stimmen. Sonst sind die Handlungsspielräume der gewählten Politiker viel zu eng beschnitten und eine Zielsetzung bis 2030 würde eine erhebliche Einschränkung des Automobilverkehrs in der Stadt bedeuten. Wir schaffen die Energiewende im Bereich Elektro-Autos auch, aber die Ladeinfrastruktur ist noch nicht so weit. Für diese Ziele braucht man schlichtweg mehr Geduld.

Die Initiatoren des Klima-Volksentscheides erklären, dass dieser keine Auswirkungen auf den Einzelnen haben soll.

Natürlich gibt es Auswirkungen. Wenn man von den 37 Milliarden, die im Landeshaushalt jährlich zur Verfügung stehen, mehr Geld in Klimaschutz steckt, dann fehlt dieses Geld an anderer Stelle. Aktuell geben wir 2 Milliarden für Klima und Verkehr aus. Wenn sich dieser Betrag auf 10 bis 20 Milliarden erhöhen soll, dann müssen wir das Geld unter anderem aus sozialen Bereichen abziehen. Andernfalls muss das Land Berlin neue Schulden aufnehmen, dieses Geld steht dann aber natürlich zukünftig im Budget nicht mehr zur Verfügung.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Für wie wahrscheinlich halten sie eine Bestätigung des Volksentscheids? Dafür wären ja rund 600.000 Ja-Stimmen notwendig.

Ich befürchte, dass viele Berliner, die zur Abstimmung gehen, keinen genauen Überblick über die möglichen Folgen haben. Die Bereitschaft mit „Ja“ zu stimmen wird bei vielen recht hoch sein, weil sich die Menschen Sorgen wegen des Klimawandels machen. Es werden jedoch keine richtigen Maßnahmen in Berlin sichtbar gemacht. Da über 400.000 Leute die Briefwahl beantragt haben, gehe ich davon aus, dass das Quorum sehr wahrscheinlich erreicht wird.

Wenn der Volksentscheid bestätigt werden würde, wird ein CDU-geführter Senat die Forderungen dann sofort umsetzen?

Nein, die Forderungen, die dann im Gesetz stehen, können wir gar nicht unmittelbar umsetzen. Das Vorziehen der Klimaneutralität von 2045 auf 2030 ist eine so große Verschärfung, dass wir Budgets dramatisch umplanen müssten. Berlin wäre gezwungen, neue erhebliche Schulden aufzunehmen. Die bisherige die Senatsverwaltung geht von einem hohen zweistelligen Milliardenbetrag aus, um Berlin bis 2030 klimaneutral zu versorgen.

Danny Freymark/ dpa

Wie realistisch ist es denn überhaupt, mit solchen Milliardenausgaben Berlin emissionsfrei zu machen?

Realistisch betrachtet ist es eigentlich unmöglich, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen. Die Politik wäre trotzdem an dieses Votum gebunden und müsste alles versuchen, um möglichst nah an die Erreichung der Ziele vorzudringen. Die Initiative glaubt das übrigens selber nicht. Sie gehen auch nicht unbedingt von einer Erreichung bis 2030 aus und haben bereits angekündigt, dass ein Erfolg bis 2033 oder 2034 ebenfalls akzeptabel wäre.

Es geht hier um den großen Wurf in Richtung Klimaziele, der kostet natürlich Geld. Selbst 50, 70 oder 90 Milliarden würden nicht dazu führen, dass wir bis 2030 automatisch klimaneutral werden. Es braucht die Anträge, die Maßnahmen, Planfeststellungen, Handwerker, die ÖPNV-Linien und die nötigen Mitarbeiter. Hier müssen so viele Folgeprozesse angestoßen werden, dass 2030 nicht zu erreichen ist.

Wie lässt sich Berlin überhaupt klimaneutral versorgen?

Allein geht es gar nicht. Wir werden Brandenburg dafür brauchen. Dort sind die Flächen etwa für Windkraft und andere Energieerzeugung, die Berlin als Metropole dann nutzen müsste. Die CO2-Neutralität ist im Hier und Jetzt nur mit Energie von außen möglich.

Ist Brandenburg denn bereit, Berlin dabei zu unterstützen?

Ich glaube schon, dass Brandenburg großes Interesse an einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Berlin hat. Allerdings ist bei mir über die letzten Jahre der Eindruck entstanden, dass Berlin und Brandenburg zu wenig miteinander sprechen. Es gibt bis auf einen einzigen Ausschuss keine offiziellen Verflechtungen, allerdings kann es durchaus im Sinne der Brandenburger sein, ihre Windkraft an Berlin zu verkaufen. Denn niemand will im Grunewald Windkrafträder, und Solarpanels überall in Berlin sind ebenfalls unrealistisch.

Und es gibt mit Brandenburg trotzdem keine feste Absprache?

Nein. Und das kritisiere ich auch seit längerem. Die CDU war die letzten sechs Jahre in Berlin eben nur in der Opposition, und wenn wir hoffentlich bald wieder Regierungsentscheidungen treffen dürfen, steht das oben auf der Liste. Wir müssen unsere Quote an erneuerbaren Energien erhöhen.

Aktuell reichen erneuerbare Energien aber doch nicht für die Versorgung von Berlin aus.

Genau, deswegen ist die Zielsetzung von 2030 absolut übermotiviert. Wir müssten uns unter extremem finanziellen Aufwand die Klimabilanz schönrechnen und würden dabei andere wichtige Themen vernachlässigen. Deswegen gibt es von uns ein „wertschätzendes Nein“ für den Volksentscheid. Wenn die Ziele der Initiative real möglich wären, dann würde ich das sofort unterschreiben, denn natürlich klingt das wünschenswert.

Welche Themen würden wir in Berlin denn vernachlässigen, wenn wir unseren gesamten Fokus auf die Erreichung der Klimaneutralität legen würden?

Wir legen in Berlin großen Wert auf soziale Themen. Das Jugendamt in meinem Wahlkreis Lichtenberg kostet jährlich fast 300 Millionen Euro, für Straßen und Radwege geben wir 4 Millionen aus. Wenn man jetzt also nicht im sozialen Bereich sparen möchte, was keiner befürworten kann, dann müsste man sehr genau prüfen, wo man Geld einsparen wird. Wir brauchen für den sozialen Frieden immer auch einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen. Wenn man das Thema Klimaschutz über alle anderen so maßgeblich priorisiert, dann ist der soziale Frieden gefährdet.

Und was passiert mit dem sozialen Frieden, wenn man in Berlin keine Autos mehr fahren lässt?

Die letzten Wahlergebnisse haben gezeigt, dass der Kurs der Grünen, das Auto aus ideologischen Gründen pauschal zu bekämpfen, aber den ÖPNV nicht maßgeblich zu verbessern, von der Bevölkerung nicht geteilt wird. In meinem Wahlkreis hat die Tierschutzpartei die Grünen überholt.

Wie stark dominiert das Thema die Koalitionsverhandlungen mit der SPD?

Das Thema Klimaschutz spielt eine große Rolle. CDU und SPD haben sich ja jetzt schon auf ein Sondervermögen von mindestens 5 Milliarden geeinigt, die wahrscheinlich auch nicht reichen werden. Man muss sich hier aber klar machen, dass das Schulden sein werden, kein echtes „Vermögen“. In der Verhandlungsrunde für Klimaschutz und Verkehr herrscht eine große Einigkeit darüber, dass wir uns um das Klima kümmern wollen, doch es muss vernünftig und nicht ideologisch begründet sein.

Das Gespräch führte Felix Huber.

Anzeige