Bayerns Ministerpräsident als Krisenmanager - Der Ausnahmezustand ist bei Markus Söder der Normalmodus

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder geriert sich als Krisenmanager wie kein anderer, wie auch in der gestrigen Pressekonferenz mit Angela Merkel zu beobachten war. Als Shootingstar muss er in der Frage der Unions-Kanzlerkandidatur nur noch zugreifen.

Markus Söder soll in jeder Sekunde strategisch denken, aber will er überhaupt ins Kanzleramt? / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die Begegnung ist einige Jahre her, das erste Mal, dass wir uns trafen, nachdem ich vom Spiegel zu Cicero gewechselt war. Es war, wie es oft ist bei Markus Söder: Bevor man selbst Fragen stellen kann, stellt er schon welche. Also erkundigte er sich, wie es sei in der neuen Position. Das Spannende werde sein, sagte ich zu ihm, ob das Arbeiten schwieriger werden würde, weil man die dicke Bertha des Spiegel nicht mehr hinter sich habe, an der am Ende keiner vorbeikomme. 

Söder schüttelte entschieden den Kopf. Journalisten, sagte er, selbst ehemals Journalist, seien inzwischen ihre eigene Marke, die sich von dem Medium, für das sie jeweils tätig seien, immer mehr lösten. „Sie sind heute selbst die Marke“, erklärte er. 

Diese Begebenheit ist mir über fast zehn Jahre im Gedächtnis geblieben. Weil sie viel über Söder sagt: über seinen Riecher, aber auch über ihn selbst.  Ganz systematisch hat er die Marke Söder aufgebaut. Als Chef der Jungen Union, als Generalsekretär, als Finanzminister, als Heimatminister, als Ministerpräsident, als Parteichef. 

Die Marke Söder war entscheidend

Die CSU war dabei wichtig, klar. In Bayern gibt es nur eine Partei, mit der man es nach ganz oben schafft. Aber die Marke Söder, das Schaffen einer eigenen Marke, war entscheidend. CSU, das waren Streibl, Waigel, Huber, Beckstein und am Ende auch Horst Seehofer. Aber Marken, das waren Strauß, Stoiber und Söder. In dieser Reihe sieht er sich. Strauß, Stoiber und Söder, das sind die harten Sedimente der CSU-Geschichte, das dazwischen sind Sand und Löß, die jederzeit ausgewaschen werden können. Der Stein aber bleibt. 

Das Bildnis seines Urvaters Franz Josef Strauß hing länger in seinem Jugendzimmer als das seiner Freundin. Vor fast zwölf Jahren, zu Strauß’ 20. Todestag, durfte Söder ihm seine Reverenz erweisen. Als Europaminister gleichzeitig Hausherr der bayerischen Landesvertretung in Berlin, lud er als Laudator Edmund Stoiber ein, seinen eigenen Ziehvater. Zwei Eigenschaften, sagt Stoiber da, hätten Strauß von anderen Menschen unterschieden. Strauß habe „immer und zu jeder Sekunde strategisch gedacht“. Ähnlichkeiten mit lebenden und anwesenden Personen, fügt er hinzu und blickt zu Söder, der mit verschränkten Armen und zufriedener Miene am Rand des Saales steht, „sind natürlich rein zufällig“. Zur zweiten Eigenschaft etwas später.

„Keine Gemeinde war vor ihm sicher“

Die Eigenschaft, die Söder wiederum im Innersten definiert, ist die Ungeduld. Als er sich anschickte, Ministerpräsident von Bayern zu werden, kredenzte ihm die Süddeutsche Zeitung, Söder seit jeher in liebevoller Abneigung verbunden, ein ganz persönliches ABC. Unter F wie „Frühaufsteher“ beschrieben die Kollegen, wie das Kraftwerk Söder schon morgens um sechs seine Entourage mit SMS beglückt, die selten („Was war denn da wieder los?“) Anlass zur Freude böten. 

Der zentrale Eintrag im Söder-Lexikon kommt aber unter U wie Ungeduld: „Kann Söder nicht verbergen. Null!“ steht da. Er sei mit 51 Jahren jüngster bayerischer Ministerpräsident aller Zeiten, mache aber keinen Hehl daraus, „dass er damit hätte leben können“, wenn es vorher passiert wäre. 

In Gesprächen zuckt und zappelt sein Fuß umso schneller, je mehr das Gegenüber seine Nerven durch Weitschweifigkeit strapaziert. Wer das erlebt, kann ermessen, welche Qualen ihm Horst Seehofer bereitet hat, der sich über Jahre Söders Trieb hin zur Macht genüsslich in den Weg stellte. 

Es half alles nichts. Söder hatte sich über Jahre so fest vernetzt und abgesichert in ganz Bayern, sein Geflecht als Heimatminister übers Land gelegt, dass er nicht mehr zu stoppen war. „Keine Gemeinde war vor ihm sicher“, sagt ein CSUler aus Oberbayern voller reserviertem Respekt. 300 Termine in 100 Tagen, 40 000 Kilometer im Dienstwagen, keine Alm konnte so entlegen sein, dass Söder dort nicht auftauchte. 

Starker politischer und medialer Gegenwind

So kam der protestantische Franke zwangsläufig am Ende dorthin, wo er hinwollte. Nur wer weiß, welche Vormacht die katholischen Altbayern im Freistaat haben, kann ermessen, was das für eine Leistung ist. 

Eine gemähte Wiese hatte Söder auch medial nicht vor sich. Wer sich durch das Archiv der Süddeutschen fräst, kann sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Beschrieben wird ein Mann in einer Dauerkrise, voller charakterlicher Schwächen und in aussichtsloser Situation. Chronischer Kronprinz, geduldet, kalter Machtmensch ohne Charme, ungeliebt und beladen mit einem Rucksack, der zu schwer ist für den stämmigen Hünen von 1,94 Metern: die CSU wieder in den Bereich der absoluten Mehrheit zu führen. Die Mission Impossible eines Unsympathen. Das ist der ewige Refrain der linksliberalen Münchner Tageszeitung über die Jahrzehnte, wenn sie über Söder schrieb. Aber da ist auch eine gewisse Faszination für das gefühlte Böse. 

Söder als Aktivposten in der Koalition

„In größere Schuhe passt man immer“ ist einer von Söders Lieblingssätzen. Das stimme nicht, behauptete die Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Schulze, kurz nach Söders Wahl zum Ministerpräsidenten. „Was im Finanzministerium funktioniert hat, funktioniert jetzt nicht mehr. Er ist nicht souverän. Ihm entgleitet das Ganze gerade.“

Ein Fehlurteil von selten großer Dimension. Söder und die CSU waren mit 37,2 Prozent gewählt worden. Eine dieser vielen Überschriften der SZ aus der Zeit vor der Wahl lautete: „Absturz einer Staatspartei – Regierungskrise in Berlin, Umfragetief in Bayern: Die Lage der CSU ist so schwierig wie seit Jahrzehnten nicht. Mit ihrer scharfen Flüchtlingsrhetorik hat sie die Wähler verprellt.“ 

In den jüngsten Umfragen steht die CSU nun bei knapp 50 Prozent. Und schon vor der Corona-Krise hatte sich Söder als Aktivposten in den Koalitionsrunden in Berlin gezeigt. Es redeten und entschieden am Ende zwei Leute, wie Teilnehmer dieser Runden berichten: Söder und Merkel. Er hatte sich gegenüber Merkel profiliert, nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage, als Einziger in der Union traute er sich das – und nahm den Vorwurf in Kauf, die AfD damit groß zu machen. 

Söder in seinem Element

Ein verknöcherter Konservativer? Söder ist viel mehr Chamäleon, als viele glauben. Ja, er fuhr einen knallharten Kontrakurs in der Flüchtlingspolitik. Ja, er verfügte per Erlass, Kruzifixe in öffentlichen Einrichtungen anzubringen. Als er sich selbst beim Aufhängen eines Kreuzes ablichten ließ, entstand ein Bild, auf dem er wegen eines ungünstigsten Spieles von Licht und Schatten wie der Leibhaftige aussieht. Aber dann umarmte Söder auch Bäume und rettete Naturschutzgebiete vor Skiliften, begann die Bienen zu lieben wie ein Imker. 

Söder: Bäumeumarmender Kruzifist

Das ist das Geheimnis, wie aus Markus Söder die Marke Söder wurde: komplementär sein Image auszubauen, die politische Basis zu verbreitern. So sehr unterscheidet er sich am Ende gar nicht von der Kanzlerin, die er einige Zeit so erbittert bekämpfte. 

Der Ausnahmezustand ist bei Söder der Normalmodus. Deshalb blüht er in der Corona-Krise auf. Ob er aus Profilierungssucht oder Verantwortungsgefühl heraus handelt? Das klinge jetzt etwas komisch, sagt einer, der ihn hautnah erlebt in diesen Tagen und obendrein lange kennt. Macht es ihm Spaß? Nein, sagt der Zeitzeuge, „er ist in seinem Element“, das treffe es besser. 

Vom Buhmann zum Shootingstar

Manche Kollegen aus der Ministerpräsidentenkonferenz können sich beeindruckend darüber echauffieren, dass sich Söder in der Anfangsphase der Corona-Epidemie in Deutschland über Vereinbarungen des abgestimmten Vorgehens hinweggesetzt habe und immer einen Tag vorher mit Entscheidungen und Maßnahmen an die Öffentlichkeit ging. Fakt ist aber auch, dass er auf diese Art und Weise manchen Zauderern heimgeleuchtet hat. Auch die Kanzlerin hat erst relativ spät erkannt, dass ihre Präsenz und ihre Stimme wichtig sind, um die Bevölkerung zum Mitmachen zu bewegen.Profilierung, das könne schon deswegen nur bedingt das Motiv sein, sagt der Kronzeuge, weil man gar nicht genau wisse, wie die Maßnahmen ankommen. Man muss nicht zwangsläufig populär werden, wenn man die Freiheiten der Bürger einschränkt. Vor allem, wenn das noch lange geht und nur sehr allmählich Wirkung zeitigt. 

Gleichwohl ist Söder in der Gunst der Bevölkerung der Shootingstar. Viele Menschen außerhalb Bayerns sagen diesen einen Satz so oder so ähnlich dieser Tage: „Ich hatte nie viel übrig für diesen Söder, aber ich muss schon sagen …“ Dann kommt nur Gutes. 

Was zwangsläufig in der Frage mündet, die die Union beantworten muss, bevor im Herbst 2021 Bundestagswahlen sind. Legt man die eine Eigenschaft zugrunde, die Stoiber bei Söder wie Strauß sieht, in jeder Sekunde strategisch zu denken, dann muss Söder klar sein, dass die Kanzlerkandidatur nach diesen Wochen und Monaten auf ihn zulaufen könnte. 

Will Söder Kanzler werden?

Er habe das nie angestrebt und wolle unbedingt wiedergewählt werden als Ministerpräsident, sagen Leute wie sein Ziehvater Edmund Stoiber. Aber passiert einem das aus Versehen, sich so in Szene zu setzen und damit für Höheres zu empfehlen, wie in Corona-Zeiten Markus Söder? Kanzlerkandidat aus Versehen, im Affekt gewissermaßen? Bei einem, der immer und alles strategisch denkt? 

Die zweite definierende Eigenschaft von FJS, so hatte Stoiber, nach Strauß der zweite gescheiterte Kanzlerkandidat aus der CSU, seinerzeit in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin gesagt: Strauß habe immer Grundüberzeugungen gehabt, „und vielleicht hat ihn das daran gehindert, das höchste operative Amt Deutschlands zu erreichen“.

Gut möglich, dass der bäumeumarmende Kruzifist Söder bei seinem Vorbild Strauß auch gelernt hat, was man besser machen kann als der Ahnherr. Zwischen ihm und dem nächstplatzierten Friedrich Merz liegen in der Frage, wer Kanzlerkandidat der Union werden soll, inzwischen Welten.

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe von Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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