Illegale Migration und die Bundespolizei - Schleusern auf der Spur

Das Schleuserwesen ist ein lukratives Geschäft. In Deutschland ist es Aufgabe der Bundespolizei, dieses in der Praxis zu unterbinden. Grenzkontrollen sind dabei nur ein Aspekt des Kampfes gegen illegale Migration und kriminelle Banden.

Vor-Ort-Termin mit Bayerns Innenminister Herrmann (CSU): Bei der Fahndung nach illegalen Einreisen kommen an der östereichisch-bayerischen Grenze auch Wärmebildkameras zum Einsatz / dpa
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Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Navid Linnemann lebt seit acht Jahren am Bosporus und beobachtet und kommentiert das politische Geschehen im Land mit wissenschaftlichem, journalistischem und literarischem Interesse.

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Naturkatastrophen, politische Verfolgung, Kriege – die Gründe für die Migration nach Europa häufen sich je komplexer und bedrohlicher die Lebensrealitäten von Millionen Menschen auf der Welt werden. Von den zusätzlichen Gefahren, die unterwegs lauern, erfahren wir täglich aus den Medien: LKWs ohne Frischluft, illegale Push-Backs, kriminelle Schleuserbanden, die viel Geld für seeuntaugliche Nussschalen kassieren. 

Wer es dann schafft, lebend in Europa anzukommen, gehört nicht nur zu den körperlich Fitteren, die die Mühen einer schwierigen und teils lebensgefährlichen Flucht überstanden haben, sondern meist auch zu der Gruppe der monetär Bessergestellten, die sich die teuren Schlepperbanden leisten können.

Aus dem Geschäft mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist ein Milliardenbusiness geworden, das hierarchisch organisiert ist und in vielen europäischen Ländern gut vernetzt operiert. Um professionelle Schleuser zu fassen, arbeiten europäische Grenzpolizisten heute länderübergreifend zusammen. Ob der jüngst beschlossene europäische Flüchtlingsdeal der illegalen Einreisen einen Dämpfer verpassen wird, ist schwer vorherzusehen. 

Viele Wege führen nach Deutschland

Die Beamten der Bundespolizei sind es, die fast täglich mit der Fahndung nach kriminellen Schleuserbanden zu tun haben. Sie müssen die Grenzen schützen und politische Entscheidungen in die Praxis umsetzen. Das stellt die Beamten in ihrem Berufsalltag vor zahlreiche Herausforderungen. Denn bekanntlich führen viele Wege nach Rom, und auch für die Einreise in die Bundesrepublik gibt es diverse Möglichkeiten – legale und illegale.

Wer nicht Staatsangehöriger eines EU-Staats oder eines Drittstaats mit Visafreiheit (zum Beispiel Israel, Japan, Kanada) ist, der benötigt für die Einreise ein gültiges Visum oder einen Aufenthaltstitel. Visa werden unter anderem für touristische Zwecke, die Aufnahme eines Studiums oder für die Familienzusammenführung ausgestellt. Wer kein Visum hat und trotzdem einreist, der macht sich in der Regel eines illegalen Grenzübertritts schuldig.

Illegale Migration nimmt wieder zu

Diese zu unterbinden, ist Aufgabe der Bundespolizei. Sie überprüft, ob bei einem Grenzübertritt die Einreisevoraussetzungen erfüllt sind. Beispiel Bayern: Laut Bundespolizei wurde im Freistaat allein im ersten Halbjahr 2023 bereits rund 11.000 solcher illegalen Einreisen registriert; meist kamen die Menschen aus Syrien, der Türkei, Afghanistan, der Ukraine und Russland. Das ist derzeit die Top 5 der Herkuntsländer, etwas anders als im Vorjahr, als auch Indien und Tunesien darunter waren. Das waren etwa 500 mehr Menschen als im Vorjahreszeitraum.

Der leichte Zuwachs bestätigt einmal mehr, dass der Rückgang der Zahlen aufgrund der Corona-Pandemie überwunden ist, denn in den Jahren 2019, 2020 und 2021 wurden jeweils im ganzen Jahr „nur“ 14.500, 13.400 und 15.700 Fälle illegaler Migration nach Bayern festgestellt. „Häufig angegebene Gründe sind politische Verfolgung, Verfolgung wegen Ethnie oder Religion sowie Krieg im Heimatland“, sagt auf Cicero-Nachfrage Matthias Knott, Pressesprecher der Bundespolizeidirektion München. Aber auch, dass die Migranten angeben, „wegen der besseren Lebensumstände nach Deutschland einreisen zu wollen.“ 

Einmal legal in Deutschland

Die Bundespolizei in Bayern betreibt seit 2015 drei stationäre Grenzkontrollstellen auf der A3, A8 und A93. Grenzkontrollen finden aufgrund einer entsprechenden BMI-Anordnung an der Grenze zu Österreich statt. An der tschechischen Grenze handelt es sich um Binnengrenzfahndung, aber keine Grenzkontrollen im rechtlichen Sinne.

Zu Fuß kommen heute die wenigsten Migranten über die Balkanroute, beliebt sind vielmehr die Bahn und Reisebusse, aber auch Privat-Pkws. Hier kommt ein juristisches Konstrukt zum Tragen, das Geflüchtete aus der Ukraine betrifft. „Während im Jahr 2022 ein Großteil der festgestellten ukrainischen Staatsangehörigen als Kriegsflüchtlinge unter die Ukraine-Aufenthaltsübergangsverordnung fielen und damit erlaubt einreisen konnten“, so Knott, „werden im Jahr 2023 zunehmend ukrainische Staatsbürger festgestellt, die nicht mehr unter die Voraussetzungen der Verordnung fallen und damit unerlaubt einreisen.“ 

Denn wer nach Kriegsausbruch einmal legal in Deutschland eingereist war, musste sich vor Ort um einen nationalen Aufenthaltstitel in Deutschland bemühen. Wenn Ukrainer dies vergessen, was durchaus vorkommt, so sind sie nach ihrer 90-tägigen „Schonfrist“ plötzlich illegal in Deutschland. Hinzu kommen Fälle von Personen, die zwar über einen nationalen Aufenthaltstitel nach dem Schengen-Abkommen verfügen, aber eben nicht in Deutschland.

An den legalen Wegen vorbei

Feststellen lässt sich: Nicht alle Menschen haben das nötige Wissen und die Möglichkeiten, sich allein auf den Weg nach Deutschland zu machen – egal, ob erlaubt oder unerlaubt. Hier kommen dann mehr oder weniger gut organisierte Schleuser ins Spiel, die gegen Geld Einreisewilligen helfen, an den legalen Wegen vorbei nach Deutschland zu gelangen.
 

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Das Einschleusen von Ausländern ist nach §§ 96, 97 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) strafbar – den Tätern droht bis zu zehn Jahren Haft. Probleme machen vor allem die organisierten Banden, deren Tätigkeit immer mehr klassischen Reisebüros ähnelt. Auf Internetseiten werden Schleusungen angeboten und über Social Media regelrecht beworben. Die Preise richten sich je nach Strecke und Komfort: Um beispielsweise von Serbien nach Deutschland zu kommen, werden  schonmal 4.000 Euro fällig.

Zahlungen laufen dabei nicht über klassische Banken (das wäre für die Fahndung auch zu schön), sondern beispielsweise über das Hawala-System, bei dem Zahlungen in den jeweiligen Ländern auf Vertrauensbasis vorgenommen werden. Erleichtert wird das durch den Umstand, dass oft Landsleute der Geschleusten als Schleuser agieren. Für das Jahr 2022 sind laut Bundespolizei vor allem folgende festgestellte Nationalitäten unter den 1.464 gefassten Schleusern: syrisch, türkisch, afghanisch, deutsch und tunesisch.

Sämtliche Kontaktdaten und Chatverläufe

Doch ist die Bundespolizei überhaupt in der Lage und personell gut genug aufgestellt, um die deutschen Grenzen zu schützen und festzustellen, ob Menschen legal oder illegal ins Land kommen? Die Bundespolizeidirektion München etwa wird in Zusammenhang mit den Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze seit fast acht Jahren von externen Kräften, insbesondere der Bundesbereitschaftspolizei, unterstützt. 

Doch die Grenzkontrollen sind nur ein erster Baustein im Kampf gegen Schleuserkriminalität. Wird hier beispielsweise ein Schleuserfahrer gefasst, geht die Ermittlungsarbeit erst richtig los. Sämtliche Kontaktdaten und Chatverläufe auf seinem Mobiltelefon werden analysiert und als Datensatz international ausgewertet. EUROPOL ist hier eine ebenso große Hilfe, wie persönliche Kontakte der Beamten zu Ermittlern in anderen Ländern.

Durch diesen Datenabgleich können die Polizisten Stück für Stück ganze Netzwerke erkennen, die vom Fahrer über den Mittelsmann zum Passfälscher und Geldschiebern bis zu den Hintermännern führen. Sobald ein solches Netzwerk erkannt und die Strukturen hinreichend erkannt wurden, erfolgt der internationale Zugriff. 

Mit erhöhter Rücksichtslosigkeit

Doch Grenzkontrollen in Deutschland und internationale Ermittlungen sind gar nicht das größte Problem der Bundespolizei. Knott von der Bundespolizeidirektion München erklärt, warum: „Grundsätzlich sind Schleuser am eigenen Profit interessiert und nehmen dafür Gefahren für Leib und Leben der Geschleusten billigend in Kauf. In den vergangenen Monaten stellte die Bundespolizei vermehrt Schleusungsfahrten mit einer erhöhten Rücksichtslosigkeit beziehungsweise Gefährdung von Geschleusten fest.“

Anhaltesignale der Polizei werden dabei bewusst ignoriert. Ob aus Panik oder Kalkül – Schleuser in Pkws und Kleintransportern geben bei Kontakt mit der Polizei oft noch einmal richtig Gas, um der befürchteten Entdeckung zu entkommen. Während der Flucht kommt es deshalb immer wieder zu Unfällen, bei denen auch Menschen sterben. Zuletzt am 13. Juli 2023, als ein Schleuser mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist. Der Kleintransporter überschlug sich mehrfach, wodurch sieben Menschen im Laderaum schwer verletzt wurden. Eine Frau, die sich im Laderaum befand, starb noch am Unfallort. 


Heiko Teggatz im Gespräch mit Ben Krischke
„Stationäre Grenzkontrollen wären dringend angezeigt“

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