Bauern, Lokführer, Ampel - Die blockierte Republik

Landwirte und Lokführer streiken, jeder auf seine Weise, und auch das Hotel- und Gaststättengewerbe ist sauer – weshalb einzelne Mitglieder ihres Dachverbandes die Bauernproteste unterstützen. Die Wut auf die Ampel ist groß. Und das Land steht teilweise still.

Leere Bahnsteige in Stuttgart / dpa
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Wer in diesen Tagen mit dem Auto zur Arbeit oder einem privaten Termin fahren möchte, weiß nicht, ob an einer Autobahnauffahrt oder in einer Innenstadt protestierende Bauern alles zum Stehen bringen. Wer in der nächsten Woche per Bahn zu einem Treffen anreisen möchte, verabredet das mit seinem potentiellen Gesprächspartner besser nur unter Vorbehalt: „Sofern Herr Weselsky das zulässt“. 

Das Land steht teilweise still, weil die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) offiziell für bessere Arbeitsbedingungen kämpft. In Wirklichkeit geht es dieser Mini-Gewerkschaft jedoch darum, der ungleich größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Mitglieder abspenstig zu machen. Schließlich kommt die GDL nur auf 40.000 Mitglieder, die EVG dagegen auf 185.000.

Die Landwirte wiederum wollen, dass die Bundesregierung den beschlossenen Abbau der Dieselsubvention abbläst. Der Hinweis, dass die Bauern in anderen europäischen Ländern zum Teil unter deutlich besseren Rahmenbedingungen produzieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch rechtfertigt eben nicht jeder Zweck jedes Mittel.

Betroffenen sind also völlig Unbeteiligte

Die Parallelen zu den Aktionen der „Klimakleber“ sind unübersehbar. Sie versuchen, die Bevölkerung gegen die Regierenden in Stellung zu bringen. Das ist insofern grotesk, da ins Home-Office verbannt Arbeitnehmer weder mit den Lokführern einen Tarifvertrag abschließen noch den Landwirten die gewohnten Subventionen belassen können. Die von diesen Aktionen Betroffenen sind also völlig Unbeteiligte. 

Das Kalkül der Akteure liegt dennoch auf der Hand. Die Opfer ihrer Aktionen sollen so genervt werden, dass sie den Verantwortlichen in der Politik die Hölle heiß machen. Denn das letzte Wort beim Staatsunternehmen Bahn wie beim Thema Agrarsubventionen hat die Politik. Genervte Autofahrer und ohne Zugverkehr immobile Berufstätige sollen so zu Verbündeten werden. Diese Rechnung geht jedoch nicht auf. Das hat sich schon bei den häufig gesetzeswidrigen Aktionen der selbsternannten Klimaschützer gezeigt. Wer politische Ziele auf dem Rücken Unbeteiligter durchsetzen will, diskreditiert schnell sein eigenes Anliegen.

Die Lust des streikwütigen Gewerkschafters

Der neuerliche Ausstand bei der Bahn ist noch keine 24 Stunden alt, und schon hat GDL-Chef Claus Weselsky weitere Arbeitsniederlegungen angedroht. „Wenn nichts kommt bis Freitag, machen wir eine Pause und gehen in den nächsten Arbeitskampf", kündigte er am Mittwochvormittag an. Dass etwas „kommt“, was die Lust des streikwütigen Gewerkschafters dämpfen könnte, erscheint jedoch als unwahrscheinlich. Wer Gefallen daran findet, den starken Mann zu spielen, der ist nicht so schnell zu Kompromissen bereit.
 

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Die Landwirte können es in Punkto Rigorosität mit den Lokführern durchaus aufnehmen. Sie haben gleich eine ganze Protestwoche ausgerufen, damit möglichst viele Menschen in möglichst vielen Regionen im Stau stehen müssen. Auch der schnelle Verzicht der Regierung auf ihren Plan, die Befreiung der Landwirte von der Kfz-Steuer sofort zu beenden, hat diese nicht besänftigt.

Dass die Landwirte – wie jede andere Interessengruppe – an dem festhalten wollen, was die Politik ihnen einmal zugestanden hat, überrascht nicht. Die Wucht der Proteste und die (noch) vorhandenen, unübersehbaren Sympathien in der Bevölkerung für die Bauern deuten indes darauf hin, dass deren Proteste nicht zuletzt als Generalabrechnung mit der rot-grün-gelben Politik gesehen werden. Davon kann beim Bahnstreik freilich keine Rede sein.

Unmut über die „Fortschrittskoalition“

Wie weit verbreitet der Unmut über die „Fortschrittskoalition“ von SPD, Grünen und FDP ist, lässt sich nicht nur an deren ständig sinkenden Umfragewerten ablesen. Laut „Insa“ können sich aktuell 45 Prozent der Deutschen vorstellen, „selbst gegen die Politik der Ampel-Regierung zu demonstrieren“; 40 Prozent sind hingegen dazu nicht bereit.

In dieses Bild passt, dass sich am Mittwoch Mitglieder des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) beispielsweise in Vechta einer Demonstration der Landwirte angeschlossen haben. Ihr Motto: „Der Alltag wird durch die Bundesregierung unbezahlbar. Stoppt die Steuererhöhungen für Bürger & Betriebe“. Das zielt in erster Linie darauf ab, dass die Ampel die während der Corona-Pandemie von 19 auf 7 Prozent gesenkte Mehrwertsteuer auf Speisen im Restaurant jetzt wieder auf den alten Stand angehoben hat. 

Lieber konsequent blockieren als kompromissbereit regieren

Natürlich haben die Gastronomen nicht vergessen, was SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz vor der Bundestagswahl versprochen hatte: „Das schaffen wir nie wieder ab“. Deshalb hat die Dehoga ihre Mitglieder aufgerufen, am kommenden Montag sich der von den Landwirten geplanten Großdemonstration in Berlin anzuschließen. Es könnte die bisher größte Demonstration gegen die SPD/Grüne/FDP-Regierung werden. 

Die Blockaden und Proteste passen irgendwie zur politischen Lage. Denn die drei Ampel-Partner blockieren sich ständig selbst. Und falls sie sich auf einen Kompromiss geeinigt haben, rückt mindestes einer von den „Drei an der Zankstelle“ wieder davon ab. So gesehen könnte man sagen: Landwirte und Lokführer machen nach, was SPD, Grüne und FDP ihnen vormachen: Lieber konsequent blockieren als kompromissbereit regieren.

 

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