Bamf-Affäre - Desaster mit System

Der Skandal um die Bremer Außenstelle des Bamf ist kein Einzelfall. Sondern die Folge eines Kontrollverlustes, der letztlich politisch gewollt war. Das Vertrauen in den Rechtsstaat und die staatlichen Institutionen wird abermals beschädigt – und die Verantwortlichen sitzen nicht in Bremen, sondern in Berlin

Zu Unrecht am Pranger? Bamf-Chefin Jutta Cordt auf dem Weg zum Krisengespräch / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Was in Bremen jetzt ans Licht kommt, ist kein Einzelfall. Sondern lediglich Symptom eines umfangreichen politischen Versagens, das dieses Land noch lange, sehr lange beschäftigen wird. Wie viele tausende falsche Asylentscheidungen die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) am Ende getroffen hat, spielt da schon fast keine Rolle mehr. Denn es geht um die Systematik, nach der die Behördenleiterin Ulrike B. ihre private Migrationspolitik durchsetzen konnte und – aus ihrer eigenen Perspektive – sogar durchsetzen musste. Der staatliche Kontrollverlust an den Außengrenzen der Bundesrepublik frisst sich inzwischen mitten hinein in die Institutionen dieses Landes, unterminiert den Rechtsstaat und führt der Bevölkerung eindringlich vor Augen, wie leichtfertig die Bundesregierung im August 2015 den gesellschaftlichen Frieden aufs Spiel gesetzt hat und dies auch weiterhin tut.

Fließbandabfertigung für den schönen Schein

In der heutigen Ausgabe der Bild-Zeitung kommt Ulrike B. selbst zu Wort. Es gebe viele, sagt sie, die vom Systemversagen wüssten und gewusst hätten; viele hätten tatenlos zugeschaut. „Und alle, die nicht hätten tatenlos zuschauen wollen, hätten das Amt mehr oder minder freiwillig verlassen wie der Vorgänger von Frank-Jürgen Weise, Manfred Schmidt.“ Weise war es gewesen, der auf Wunsch der Bundeskanzlerin nach ihrer folgenreichen Grenzöffnung die Leitung des Bamf übernommen hatte, weil die Behörde infolge des Ansturms hunderttausender Flüchtlinge und anderer Migranten nicht nur überfordert schien, sondern auch überfordert sein musste. Aber weil der schöne Schein in der deutschen Politik allemal mehr zählt als Tatsachen und schnöde Fakten, wurde dann eben CDU-Mann Weise dazu verpflichtet, den Laden auf Hochtouren bringen wie eine Maschine. Immerhin ging es um die Wiederwahl einer Regierungschefin, die mit ihrer apodiktischen Behauptung „Wir schaffen das!“ Geschichte geschrieben hatte. Eine Geschichte, die nicht widerlegt werden durfte, an der zu zweifeln geradezu als defätistisch galt.

Deswegen wurde unter Weise die Taktzahl erhöht, wurde die Zahl der Asylentscheide binnen kurzem versiebenfacht – als ob es sich bei diesem Amt, das über menschliche Schicksale genauso befindet wie es letztlich die demographische Zusammensetzung der Bundesrepublik beeinflusst, um eine Maschine zur Herstellung von Plastikbechern handele: Regler nach oben, Output hoch, alle zufrieden. Wir schaffen das! Und wer könnte diese Aufgabe besser erfüllen als ein Gesellschaftsingenieur vom Schlage des einstigen Chefs der deutschen Arbeitslosenverwaltung. Die Folgen sind verheerend, weil Asylentscheide eben keine Plastikbecher sind, sondern künftige Lebensentwürfe im einzelnen und Gesellschaftsentwürfe in ihrer Summe. Nein, hier geht es ganz gewiss nicht um ein paar bedauerliche Einzelfälle, die jetzt eben nochmal an die Abteilung Kundenservice und Nachkontrolle verwiesen werden müssen. Es geht um eine Politik, die für dieses Desaster überhaupt erst das Umfeld geschaffen und hinterher den Missbrauch durch Wegschauen nicht nur legitimiert, sondern ihn implizit auch verordnet hat.

Ein Wahngebäude namens Willkommenskultur 

Dass in dieser Sache immer noch darum gerungen werden muss, überhaupt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen, zeigt die selbstverschuldete Hilflosigkeit fast aller Parteien, die sich im Wahngebäude namens Willkommenskultur eingerichtet haben und aus diesem Luftschloss keinen Ausweg mehr finden. Da hilft dann nur noch die schale Ausrede, man dürfe „keine gemeinsame Sache“ mit der AfD machen. Dass man sich auf diese Weise ex negativo genauso in die Abhängigkeit dieser Partei begibt, scheint keinem so recht aufzufallen. Insofern ist die AfD jedenfalls ein unschöner, aber eben durchaus nützlicher Garant für Merkels Machtausübung. Womöglich war das nicht von Anfang an so geplant. Aber im Kanzleramt dürfte man dieser Tage auch nicht unglücklich darüber sein.

Die suspendierte Bremer Bamf-Leiterin Ulrike B. sagt in der heutigen Bild-Zeitung voraus, dass nun alles ans Licht kommen werde – und dass dann „auch jene Probleme“ bekämen, die „jetzt mit dem Finger“ auf sie zeigten. So wird es am Ende wohl sein, ob mit oder ohne Untersuchungsausschuss. Fakt ist: Der Schaden ist angerichtet. Und die Verantwortung dafür trägt keine ehemalige Behördenleiterin aus Bremen. Sondern eine amtierende Regierungschefin in Berlin.

Mehr zu der Bamf-Affäre können Sie in diesem Video sehen. Alexander Marguier war zu Gast in der Phoenix Runde mit dem Thema: „Die Bamf-Affäre – ist der Staat überfordert?“

Anzeige