Initiative Volksentscheid Berlin autofrei - Dokument des Irrsinns

Die Berliner „Initiative Volksentscheid Berlin autofrei“ hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Autofahren in der Hauptstadt nur noch an 12 Tagen im Jahr zulassen will. Freiheit scheint für viele kein Grundrecht mehr zu sein, sondern ein Luxusgut.

Die Forderung, Berlin autofrei zu gestalten, wird lauter. Ein Teil der Friedrichstraße ist es bereits / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Wir leben in kurzweiligen Zeiten. Quasi im Stakkato werden immer absurdere Ideen vorgetragen, wie man unsere Gesellschaft endlich besser, gerechter und nachhaltiger machen kann. Was gestern noch maßloses Befremden oder schallendes Gelächter ausgelöst hätte, wird schon heute wochenlang ernsthaft diskutiert. Und kaum denkt man, nun sei der Irrsinn nichtmehr zu überbieten, wird man umgehend eines Besseren belehrt.

„Initiative Volksentscheid Berlin autofrei“ 

Etwa in der Verkehrspolitik. Klar, sie ist das gottgegebene Spielfeld für Profilneurotiker und Querulanten aller Art. Wer eine unstillbare Freude daran hat, seine Mitmenschen zu drangsalieren, ihnen Vorschriften zu machen oder sie einfach nur zu belehren – hier kommt er auf seine Kosten. Jüngstes Beispiel: die „Initiative Volksentscheid Berlin autofrei“. Die hat in der vergangenen Woche einen Gesetzentwurf bei der Senatsverwaltung für Inneres und Kostensenkung eingereicht. Titel: „Berliner Gesetz für gemeinwohlorientierte Straßennutzung“ (GemStrG Bln).

Das Kernanliegen des Gesetzesvorschlages ist einfach. Es will Autofahrten innerhalb des S-Bahn-Rings untersagen. Lediglich an 12 Tagen im Jahr (später sogar an 6) soll jeder Bürger das Recht haben, sein Auto in den inneren Stadtbezirken zu benutzen – unter Vorbehalt. Denn Fahrten nur so zum Spaß sind Tabu. Es müssen triftige Gründe vorliegen und die hat man gegenüber der Behörde „unter Angabe des Erlaubnisgrundes elektronisch über ein Verwaltungsportal“ anzuzeigen.

Es bedarf einer behördlichen Erlaubnis 

Ein solcher Grund ist etwa der Transport sperriger Güter oder Urlaubs- und Erholungsfahren, sofern die anberaumte Fahrt „mit Verkehrsmitteln des Umweltverbundes nicht durchführbar ist.“ Das Vorliegen des jeweiligen Erlaubnisgrundes muss man bei den Behörden gegebenenfalls nachweisen.

Jede über die theoretisch erlaubten 12 Tage hinausgehende Nutzung der Straßen Berlins bedarf ohnehin einer behördlichen Erlaubnis, die restriktiv auch nur für bestimmte Zeiten und Bereiche ausgesprochen werden kann. Davon ausgenommen sind leidlich Taxen, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Straßenreinigung, Postdienstleister und Diplomatenfahrzeuge.

Pech gehabt

Wer jetzt denkt, sein Weg zur Arbeit sollte ein solcher Erlaubnisgrund sein, irrt gewaltig. Fahrten zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Besuch von Veranstaltungen und Freunden sind untersagt. Eine Sondererlaubnis ist laut GemStrG Bln nur im Fall einer unbilligen Härte zu erteilen und die liegt „lediglich dann vor, wenn ein unverzichtbares Mobilitätsinteresse besteht und dieses nicht durch Nutzung eines Verkehrsmittels des Gemeingebrauchs erfüllt werden kann.“

Das ist etwa dann der Fall, „wenn ohne die Nutzung eines Kraftfahrzeugs den spezifischen Schutz- und Sicherheitsbedürfnissen insbesondere zu Nachtzeiten einer von Diskriminierung betroffenen Person im öffentlichen Raum nicht entsprochen werden kann.“ Sie sind ein weißer CIS-Mann? Pech gehabt.

Der neue Tesla bringt auch nichts 

Sollten Sie jetzt den Hintergedanken haben, sich noch schnell einen Tesla anzuschaffen oder zumindest Ihre alte Vespa zu reaktivieren, muss ich Sie enttäuschen. Für den öffentlichen Straßenverkehr sind neben Fußgängern nur Fahrräder, Elektrofahrräder, Elektrokleinstfahrzeuge oder Kutschen erlaubt. Man wird in Berlin vermutlich bald wieder zur Arbeit reiten. Auch ganz romantisch.

Um den Verwaltungsaufwand der anfallenden Genehmigungsverfahren zu bewältigen, werden nach Schätzung der Initiatoren „75 Sachbearbeiter:innen in der Laufbahngruppe des gehobenen Dienstes benötigt. Hinzu kommen acht leitende Funktionen im höheren Dienst“. Das Ganze soll nicht mehr kosten als 5 Millionen Euro im Jahr. Orwell zum Nulltarif – was ein Angebot.

Vom Erziehen und Disziplinieren 

Keine Frage: Das GemStrG Bln ist auf der Höhe der Zeit. Nicht die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten ist begründungsbedürftig, sondern deren Wahrnehmung. Was hier gefordert wird, ist letztlich die Totalerfassung des Privatlebens jedes Einzelnen, Genehmigungsverfahren inklusive. Mal eben spontan mit dem PKW Freunde besuchen? Leider Fehlanzeige.

Es ist ohne Frage sinnvoll, den PKW-Verkehr in Großstädten zu reduzieren. Weltweit arbeiten Metropolen an einschlägigen Konzepten. Was an dem vorliegenden GemStrG Bln abstößt, ist jedoch die unverhohlene Lust am Gängeln und Überwachen, am Erziehen und Disziplinieren, an Unterwerfung und Gehorsam. In jedem Halbsatz spürt man die Lust an einer neuen kollektivistischen Gesellschaft, die mit dem ÖPNV solidarisch in die behördlich genehmigte Zukunft zuckelt.

Wovon morgen keiner mehr redet? 

Wer jetzt darauf hofft, dass der eingebrachte Entwurf eine dieser vielen Initiativen ist, von denen morgen keiner mehr redet, sollte sich klarmachen: Das ganze spielt in Berlin. Und da ist vieles möglich. Zunächst brauchen die Initiatoren nur 20.000 Unterschriften, für ein erfolgreiches Volksbegehren 170.000, für einen Volksentscheid 613.000 Stimmen.

Und am Ende des Tages gibt es im politischen Betrieb genug Parteien und Mandatsträger, die den Vorschlag als Anregung nutzen, um Einschränkung in unsere Mobilität vorzunehmen, die vielleicht moderater sind als das GemStrG Bln. Die aber alles überschreiten, was wir uns heute vorstellen können. Doch dann wird sich keiner mehr wehren. Hätte ja schlimmer kommen können.

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