Außenpolitik der Ampel - Mehr Kontinuität als Wandel

Die Ausführungen zur Außen- und Sicherheitspolitik der künftigen Ampel-Regierung lassen eine eindeutige Handschrift und pointierte Akzentsetzungen vermissen. Das muss jedoch kein Nachteil sein. Vielmehr steht das Festhalten an außenpolitischen Leitlinien der Vorgängerregierungen für Stabilität und Verlässlichkeit.

Kein Sparen an der Sicherheit: Die Bundeswehr soll finanziell besser ausgestattet werden / dpa
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Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

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Der mit großer Spannung erwartete Koalitionsvertrag ist in ersten Reaktionen der künftigen Opposition im Bundestag auf scharfe Kritik gestoßen. So sagte der Vorsitzende der CDU/CDU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, dass er den versprochenen Aufbruch nicht erkennen könne und er eine stringente Handschrift vermisse. Die Durchsicht des Kapitels zur Außen- und Sicherheitspolitik könnte eine solche Schlussfolgerung nahelegen. Aber ist dies zwangsläufig ein Makel?

Sicher werden viele, die konkretere Festlegungen, pointiertere Akzentsetzungen und klare Unterschiede zur Politik der bisherigen Bundesregierung erwartet hatten, enttäuscht sein. Aber dieser Teil des Koalitionsvertrages scheint weitgehend vom Geist der Kontinuität gekennzeichnet zu sein. Dies ist zunächst einmal im Interesse einer konsistenten, verlässlichen Außenpolitik nicht schlecht. Allerdings erschöpfen sich die Ausführungen in allgemein gehaltenen Positionsbestimmungen und Absichtsbekundungen. Viele Einzelfragen, die Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen in den vergangenen Wochen waren – wie beispielsweise die Zukunft von Nord Stream 2 –, bleiben unerwähnt oder offen. Inwieweit sich die neue Bundesregierung von der vorigen außenpolitisch unterscheidet, wird sich daher erst in der konkreten Gestaltung der Politik und der Reaktion auf die sich stellenden Herausforderungen erweisen.

Wertebasiert und europäisch

Der Tenor des Kapitels wird bereits im ersten Satz gesetzt, in dem sich die Ampelkoalition verpflichtet, dass die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik „wertebasiert und europäischer“ aufgestellt sein wird.

Die „Wertebasierung“, die durch längere Ausführungen unter anderem zu Menschenrechten, Multilateralismus und Entwicklungszusammenarbeit untermauert wird, gehörte schon zu den zentralen Bekenntnissen der bisherigen Bundesregierung wie auch derjenigen vor ihr. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss sie auf die konkrete Politik haben und ob sie in der Auseinandersetzung mit zunehmend autoritär oder gar diktatorisch regierten Staaten zu einer Verschärfung und erhöhten Konfrontation beitragen wird. Es könnten realpolitische Notwendigkeiten konterkariert werden, was im Interesse von Sicherheit und Stabilität problematisch wäre. Dies betrifft gerade auch die Entwicklung der Beziehungen zu dem zunehmend repressiv regierten Russland. Annalena Baerbock, die die künftige Außenministerin werden soll, hat hierzu einen scharfen Ton angeschlagen, eine „klare außenpolitische Haltung gegenüber dem russischen Regime“ und ein Ende von Nord Stream 2 gefordert, da es allein dem „System Putin“ nütze. Allerdings – dies unterstreicht wiederum die außenpolitische Kontinuität – wird in der Russlandpassage des Vertrags die Bedeutung von substantiellen und stabilen Beziehungen zu Russland und die deutsche Bereitschaft zu konstruktivem Dialog herausgestellt.

Auch die Betonung des „Europäischen“ ist nicht neu. Zu erinnern ist daran, dass die bisherige Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt einen Aufbruch für Europa gefordert und diesem Thema bewusst das ausführliche Anfangskapitel in ihrem Koalitionsvertrag 2018 gewidmet hatte. Allerdings wissen wir, dass auch hier ehrgeizige Ziele auf der Strecke blieben und der französische Präsident Macron zu seinen detaillierten Vorschlägen für die Stärkung Europas und die Schaffung einer „strategischen Autonomie“ der EU wenig deutsche Unterstützung erfuhr. Der jetzige Koalitionsvertrag spricht sich für eine „Erhöhung“ der „strategischen Souveränität Europas“ aus; unklar bleibt jedoch, was dies konkret bedeutet. Damit vielfach in Verbindung gebrachte ambitionierte Ziele wie beispielsweise die Schaffung integrierter Streitkräfte der EU werden zumindest nicht erwähnt.

Verteidigung und Bundeswehr

Trotz der Allgemeinheit und Interpretationsbedürftigkeit vieler Aussagen dürften einige in der Tradition der schon bisher verfolgten außenpolitischen Linie Deutschlands liegende Festlegungen auf Kritik derer stoßen, die sich „linkere“ Positionen durch den Regierungswechsel erhofft hatten. Hier sind vor allem Passagen zur Verteidigung und Bundeswehr zu nennen:

•    Es wird die bestmögliche personelle, materielle sowie finanzielle Ausstattung der Bundeswehr gefordert. Die NATO-Fähigkeitsziele sollen erfüllt und entsprechend investiert werden (allerdings fehlt ein expliziter Bezug auf den von der NATO eingeforderten Anteil der Verteidigungsausgaben von 2% am Bruttoinlandsprodukt).
•    Die neue Bundesregierung bekennt sich zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotentials und hält an dem Anspruch zur Einbeziehung in die Nuklearplanung des Bündnisses fest.
•    Die nukleare Teilhabe soll fortgesetzt werden und hierzu durch die Beschaffung eines Nachfolgesystems für das Kampfflugzeug Tornado zu Beginn dieser Legislaturperiode eine erforderliche Voraussetzung geschaffen werden.
•    Die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr soll in dieser Legislaturperiode ermöglicht werden (gleichzeitig werden jedoch extralegale Tötungen durch Drohnen abgelehnt).
•    Auslandseinsätze werden im Rahmen des internationalen Krisen- und Konfliktmanagements nicht ausgeschlossen (allerdings gibt es keine Aussagen zur Zukunft bestehender Einsätze wie beispielsweise dem in Mali).

Wie nicht anders zu erwarten, nimmt auch das Bekenntnis zu Abrüstung und Rüstungskontrolle einen breiten Raum ein. Dabei will sich die neue Bundesregierung auch für die vollständige Abrüstung von Nuklearwaffen mittlerer und kurzer Reichweite einsetzen. Dies soll offenbar die „Kehrseite“ zur erklärten Fortsetzung der nuklearen Teilhabe sein, da mit der vollständigen Abrüstung dieser Waffenkategorien auch die in Büchel gelagerten Nuklearbomben abgerüstet werden müssten. Ob ein solches Kalkül kurzfristig aufgeht, ist angesichts der frostig-gespannten Beziehungen zwischen NATO und Russland zweifelhaft. Zudem dürften die USA wie auch die übergroße Mehrzahl der Bündnispartner es nicht goutieren, dass Deutschland an der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags teilnehmen möchte. Dieser Vertrag wird vom Bündnis als unvereinbar mit der geltenden Bündnisstrategie erachtet. Eine deutsche Teilnahme (selbst nur als Beobachter und nicht Mitglied) dürfte den Einfluss Deutschlands in der NATO zu Nuklearfragen eher schwächen und damit auch das Ziel in Frage stellen, eine führende Rolle in der Rüstungskontrollpolitik zu spielen.

Transatlantische Partnerschaft

Auch bei den Ausführungen zur Entwicklungspolitik, die weiterhin Aufgabe eines gesonderten Ministeriums sein soll, sowie zu den bilateralen und regionalen Beziehungen bleibt der Koalitionsvertrag weitgehend der Kontinuität verhaftet. So wird die transatlantische Partnerschaft als „zentraler Pfeiler“ deutschen außenpolitischen Handelns gewürdigt. Die Sicherheit Israels wird als deutsche Staatsräson bezeichnet, gleichzeitig will man sich jedoch unverändert für die Zweistaatenlösung einsetzen. Zum Nahen und Mittleren Osten gibt es ein allgemeines Bekenntnis zur Zusammenarbeit sowie die Aufforderung an den Iran, zur Einhaltung der Bestimmungen des Nuklearabkommens (JCPoA) zurückzukehren (bezeichnenderweise fehlt eine entsprechende Aufforderung an die USA, die 2018 durch die einseitige Kündigung des Abkommens erst das heutige Problem heraufbeschworen hat). Auch die Passage zu den Beziehungen zu China bleiben zweischneidig-vage. Es wird sich erst in der Praxis erweisen müssen, wie die Beziehungen zu diesem Land „in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität“ gestaltbar sind oder ob nicht die konfrontative Fokussierung der USA auf das Land der von der Ampel-Koalition postulierten Zusammenarbeit Grenzen setzen wird.

Viele unserer Partner in NATO und EU werden das Kapitel Außenpolitik aufgrund der darin enthaltenen allgemeinen Bekenntnisse zunächst mit Erleichterung aufgenommen haben. Aber die neue Ampel-Regierung wird sich kritischen Nachfragen auch aus den eigenen Reihen gegenübersehen. Dabei dürften auch die sicherheitspolitischen Festlegungen einen Anlass bieten. Selbst Auslassungen können zu Debatten und Auseinandersetzungen im nationalen aber auch internationalen Rahmen führen. Beispielhaft sei nur darauf verwiesen, dass der Text des Koalitionsvertrages der Ukraine zwar Unterstützung bei der Wiederherstellung seiner territorialen Integrität zusagt, der sehnliche ukrainische Wunsch nach einem NATO Beitritt jedoch (m.E. richtigerweise) unerwähnt bleibt.

Der Koalitionsvertrag reiht sich im wesentlichen in die Kontinuität der deutschen Außenpolitik ein. Dies ist zu begrüßen. Aufgrund der allgemeinen und interpretationsfähigen Aussagen gibt er allerdings der künftigen Regierung und ihrer Außenministerin breiten Handlungsspielraum. Es wird sich erst in der praktischen Umsetzung zeigen, inwieweit er den Anspruch der neuen Regierung „Mehr Fortschritt wagen“ erfüllen wird. Zudem bleiben in Aussicht gestellte Konkretisierungen wie durch eine Nationale Sicherheitsstrategie, die innerhalb eines Jahres vorgelegt werden soll, abzuwarten. Vielleicht passt es – sollte es um eine zusammenfassende Bewertung der außenpolitischen Vorstellungen der neuen Bundesregierung gehen –, ein geläufiges englisches Sprichwort zu zitieren: „The proof of the pudding is in the eating.“

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