Aufarbeitung der Corona-Politik - Das Drosten-Denkmal bröckelt

Eine von Parlament und Regierung eingesetzte Expertenkommission sollte die deutsche Pandemiepolitik kritisch bewerten. Nun kam es zum Streit. Der Virologe Christian Drosten hat sich aus der Kommission zurückgezogen. Der Eklat zeigt: Eine unabhängige Aufarbeitung der Lockdown-Exzesse ist dringend notwendig. Drosten ist dafür der falsche Mann.

Traumpaar oder Duo infernale? Virologe Christian Drosten und Gesundheitsminister Karl Lauterbach / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Christian Drosten sollen einen guten Draht zueinander haben. Der Virologe und der Politiker – für ihre Anhänger, die es trotz abklingenden Interesses an der Corona-Seuche nach wie vor gibt, ist es ein Traumpaar. Für Kritiker der Corona-Politik sind die beiden hingegen ein Duo infernale.

Unabhängig vom eigenen Standpunkt lässt sich jedenfalls feststellen: Sowohl der SPD-Minister als auch der Virenforscher sind in der Pandemie zu sehr bekannten Persönlichkeiten geworden. Lauterbach verdankt seinen dauermahnenden Talkshowauftritten den Kabinettsposten. Und Drosten war zwar innerhalb seiner Zunft schon vor dem Corona-Ausbruch bekannt und international vernetzt. Doch das ist ein ziemlich kleiner Kreis an hochspezialisierten Forschern, die in gut abgeschotteten Laboren vor sich hin werkeln und selten vor Fernsehkameras stehen. Zum gefeierten Starvirologen wurde Drosten erst Dank und durch das neuartige Virus aus Wuhan.

Das neu geschaffene Amt des Starvirologen

Ein solches Amt, das des deutschen Starvirologen, gab es vor 2020 nicht einmal. Es wurde im Zuge der Corona-Krise geschaffen. Vor allem von Journalisten, die den weißbekittelten Wuschelkopf mit der sanften Stimme zum Helden erklärten. Die Medienfigur Drosten wurde zu einem modernen Professor Brinkmann, der statt mit dem Audi 200 zur Schwarzwaldklinik mit dem Fahrrad zur Berliner Charité fährt. Und selbstverständlich ist bis heute kein Zweifel daran erlaubt, dass es ganz Deutschland einzig und allein ihm zu verdanken hat, dass „wir so gut durch die Pandemie gekommen sind“, wie es oft heißt.

An der Entstehung dieses Heldenmythos hat der Virologe selbst fleißig mitgewirkt. Drosten machte stets mehr oder weniger subtil klar, dass vor allem er hier „die Wissenschaft“ verkörpere. Andere Wissenschaftler, die ihm in einzelnen Fragen des Pandemie-Managements widersprachen, bekamen den Zorn seiner Anhänger zu spüren. Drosten selbst begnügte sich damit, durch mehr oder weniger subtile Sticheleien die entsprechenden Signale zu setzen. Den Rest erledigten seine Twitter-Follower und Fans in den Redaktionen. So setzte sich die klare Botschaft durch: Es kann nur einen geben.

Streit um Verschwörungsvorwurf

Inzwischen, nachdem die Panik abgeklungen ist und sich die Frage stellt, ob manche der teils massiven Seuchenschutzmaßnahmen nicht übertrieben oder gar falsch waren, bröckelt der Sockel des Drosten-Denkmals. Zum einen, weil aus den USA immer mehr Informationen nach Deutschland herüber schwappen, die nahelegen, dass führende Virologen sehr früh den Verdacht hegten, das hochansteckende Virus könnte aus dem Labor stammen, dies aber vor der Öffentlichkeit verbergen wollten. Drosten, der in diese Diskussionen eingebunden war, unterzeichnete dennoch einen offenen Brief in einer angesehenen medizinischen Fachzeitschrift, in dem die sogenannte Laborthese als Verschwörungstheorie abgetan wurde.

Mit dem Hamburger Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger, der Drosten deshalb in einem Cicero-Interview deutliche Vorwürfe machte, liefert sich der Berliner Virologe einen juristischen Kleinkrieg, der noch nicht entschieden ist. Cicero nahm das online veröffentlichte Interview zwar vorläufig vom Netz, aber die mündliche Verhandlung zwischen den beiden Kontrahenten steht noch aus. Am 20. Mai ist ein öffentlicher Termin vor dem Landgericht Hamburg angesetzt. Wiesendanger will persönlich erscheinen. Ob Drosten selbst kommt oder nur einen Anwalt schickt, ist offen. Es könnte spannend werden. 

Offene Aufarbeitung der Corona-Politik

Anderes Ungemach könnte Drosten drohen, wenn es in Deutschland zu einer offenen Aufarbeitung der Corona-Politik kommt. Denn er spielte als zentraler Berater der Bundesregierung eine wichtige Rolle. Ob die monatelangen Schulschließungen wirklich notwendig waren oder doch mehr Schaden angerichtet als Nutzen bewirkt haben, ist eine der noch zu klärenden Fragen. Drosten, dessen Charité-Institut sich dazu auch vor dem Bundesverfassungsgericht geäußert hat, bekommt aus der Medizin gerade heftigen Gegenwind.

Im Hessischen Ärzteblatt ist ein bemerkenswert kritischer Artikel zu den Schulschließungen erschienen, in dem die Charité-Stellungnahme auseinandergenommen wird. Der Autorin Ursula Heudorf, einer anerkannten Expertin für öffentliches Gesundheitswesen, sprang daraufhin die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene bei und veröffentlichte eine ebenso bemerkenswerte Stellungnahme. Darin heißt es:

„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit der Bundesnotbremse im Hinblick auf Kinder und Schulen ist aus medizinischer (vor allem pädiatrischer) und wissenschaftlicher Sicht fragwürdig unter anderem, weil sie sich auf ein unzureichendes Gutachten der Charité stützt. Wichtige Aspekte der anderen Gutachten und Mängel der Stellungnahme des Instituts für Virologie der Charité wurden nicht gewürdigt, obwohl das Gericht auf diese Widersprüche und Fehler hingewiesen wurde. Wir sehen, wie Frau Prof. Heudorf, die Gefahr, dass auch in Zukunft Kinder und Jugendliche in ihren Lebenschancen u.a. in ihrem Recht auf Bildung und uneingeschränkte altersentsprechende soziale Teilhabe aufgrund dieser Entscheidung stärker eingeschränkt werden, als es durch die Studienlage und auch durch die Erfahrungen in anderen Ländern geboten wäre.“

Ein starker Vorwurf sowohl gegenüber Drosten als auch den Karlsruher Richtern, die mit der ihnen zugedachten Rolle als Kontrollinstanz des Regierungshandelns in der Corona-Pandemie offenbar überfordert waren. Doch das Medienecho blieb aus. Natürlich kann das am Krieg in der Ukraine liegen, der andere Themen gerade in den Hintergrund drängt. Aber es hat wohl auch damit zu tun, dass in den Redaktionen, vor allem den öffentlich-rechtlichen, die Angst umgeht, das selbst geschaffene Denkmal des Berliner Corona-Papstes könnte beschädigt werden.

Lauterbach sieht seine Felle davonschwimmen

Eine Furcht, die offenbar auch der Gesundheitsminister teilt. Denn Lauterbach, der stets ein Verfechter möglichst strenger Lockdown-Maßnahmen war, sieht seine Felle davonschwimmen. Er versuchte, eine Expertenkommission auszubremsen, die den gesetzlichen Auftrag hat, die deutsche Pandemie-Politik kritisch zu beleuchten. Eigentlich soll diese Kommission ihren Bericht Ende Juni vorlegen. Doch Lauterbach wollte auf Zeit spielen und behauptete, das sei nicht möglich, weil wesentliche Daten fehlten. Intern gab es darüber wohl Streit, der durch Berichte der Welt an die Öffentlichkeit drang. Und das wiederum brachte das Kommissionsmitglied Christian Drosten so auf die Palme, dass er die Kommission jetzt verlassen hat.

Drostens Rückzug gab Lauterbach am Donnerstag per Twitter-Meldung bekannt und fügte hinzu: „Das ist ein schwerer Verlust, weil niemand könnte es besser.“

Natürlich nicht. Wer könnte schon besser die Sinnhaftigkeit von Pandemiebekämpfungs-Maßnahmen beurteilen, an deren Entstehen er selbst als Berater beteiligt war? Diese Frage hat übrigens, parallel zu den Querelen innerhalb der Kommission, der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki gestellt. Und zwar an den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, von dem er sich eine juristische Antwort darauf erhofft. Kubicki will wissen, ob Drosten überhaupt Mitglied dieser Kommission hätte sein dürfen, die laut Gesetzestext aus „unabhängigen Sachverständigen“ bestehen soll.

Der jüngste Eklat zeigt, wie dringend notwendig es ist, dass Deutschlands Corona-Politik umfassend durchleuchtet wird. Dazu zählt auch das Zusammenwirken von wissenschaftlichen Beratern und der Regierung.

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