Armin Schuster zur Flüchtlingskrise - „Was macht die EU überhaupt?“

Der CDU-Innenexperte Armin Schuster fordert angesichts der Flüchtlingskrise an der türkisch-griechischen Grenze ein härteres Vorgehen Deutschlands als 2015. Der EU-Kommission wirft er im „Cicero“-Interview vor, mit dem „Green New Deal“ falsche Prioritäten zu setzen.

Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze: "Neben Geld geht es auch um praktische Hilfe" / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Seit 2009 ist Armin Schuster Bundestagsabgeordneter der CDU für den Wahlkreis Lörrach – Müllheim, Baden-Württemberg. Er ist Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss und gilt seit 2015 als parteiinterner Kritiker der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel.

Herr Schuster, angesichts der Situation an der türkisch-griechischen Grenze, angesichts der Lage auf Lesbos: Was sollte die EU, was sollte Deutschland jetzt tun?
Das Gegenteil von dem, was Annalena Baerbock vor einigen Tagen gesagt hat. Ich bleibe bei dem Vorschlag, den ich schon im Oktober 2015 gemacht habe. Ein deutliches Signal setzen, was den Außengrenzschutz der EU anbelangt, aber auch den konsequenten Binnengrenzschutz, sollte sich die Lage innerhalb der Europäischen Union ausbreiten. Ich habe schon 2015 eine Doppelstrategie vorgeschlagen: Einerseits Grenzen sichern, andererseits vor Ort in Griechenland und der Türkei helfen. Meiner Meinung nach braucht es beide Signale.

So sehr scheint sich das von Annalena Baerbock momentan gar nicht mehr zu unterscheiden. Sie sagt ja auch, 2015 dürfe sich nicht wiederholen und Humanität und Ordnung müssten zusammengehen ...
Na ja, ich halte es für ziemlich naiv, wenn sie davon spricht, dass die deutschen Flüchtlingsunterkünfte jetzt wieder ins Spiel gebracht werden müssten. Wenn es zu einer europaweiten Verteilung kommt, ist ein deutsches Engagement am Ende sehr wahrscheinlich. Aber nachdem wir 2015 die Erfahrung gesammelt haben, dass ein einseitiges Voranschreiten Deutschlands bereitwillig von allen Partnern falsch verstanden wird, nämlich als "wir machen die Dinge alleine", würde ich diesen Fehler nicht noch einmal wiederholen. Das wäre einfältig. Es geht jetzt nicht um deutsche Flüchtlingsunterkünfte, es geht jetzt darum, Europa und der Europäischen Kommission unmissverständlich zu signalisieren: Es läuft dieses Mal nicht wie 2015. Deutschland wird nur gemeinsam, im europäischen Verbund agieren, und dafür braucht es nicht alle 27 Mitgliedsländer. Es gibt jetzt noch die Chance, an der Außengrenze der EU für Ordnung zu sorgen und den Flüchtlingsdruck zu reduzieren, indem man der Türkei hilft. Ich halte gar nichts davon, Erdogan in dieser Lage als Erpresser darzustellen. Dass er international gravierende Fehler gemacht hat, sei mal dahingestellt. Aber Tatsache ist, dass wir ihn mit fünf bis acht Millionen Flüchtlingen nicht allein lassen können.

Wie würden Sie Erdogan denn unterstützen?
Ich glaube, es geht neben Geld auch um praktische Hilfe. Dazu gehören europäische Blaulichtorganisationen, die wir unterstützend zur Verfügung stellen könnten - aus Deutschland wären das THW, DRK und Bundespolizei. Derartige europäische Hilfstruppen könnten auch helfen, Flüchtlingslager zu betreiben. Wir brauchen dementsprechend schnellstmöglich einen EU-Türkei-Pakt 2.0. Viele kritisieren ja, dass die EU den Flüchtlingspakt mit der Türkei gemacht hat. Ich tue das nicht. Der Pakt hat die Zahlen damals schlagartig einbrechen lassen.

Wird Erdogan das zufriedenstellen? Er verlangt ja nicht nur Hilfe, was die Flüchtlinge angeht, sondern auch die Unterstützung der Nato in Syrien. Auch das scheint ja eine Rolle zu spielen, wenn er jetzt die Flüchtlinge an die griechische Grenze schickt ...
Es liegt auf der Hand, dass Erdogan uns damit auch weitere diplomatische Signale sendet. Das ist zwar perfide, weil er Menschen in einer schlimmen Notlage dafür benutzt. Aber ich vermute, er bittet geradezu um ein zweites Abkommen, das auch in unserem Interesse sein muss. Außerdem sucht Erdogan diplomatische Hilfe, und da ist die glasklare Frage: Wie reagiert die Europäische Union in Richtung Russland? Was macht die Europäische Union überhaupt? Ich habe schon vor Idlib die Priorität der neuen EU-Kommission für den New Green Deal angesichts der Lage in Europa nicht verstanden. Spätestens jetzt muss die Kommission dieses Thema als oberste Priorität annehmen. Das gilt auch für ein neues europäisches Asylsystem, wo die bisherigen Signale aus Brüssel eher überschaubar geblieben sind. Es wird jetzt höchste Zeit.  

Nun schafft die EU es ja offensichtlich schon selber nicht, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, wenn man sich zum Beispiel die Lage auf Lesbos ansieht. Wie soll sie dann Erdogan helfen können?
Deswegen kritisiere ich ja, dass sich die bisherige Schwerpunktsetzung der Kommission mit dem Green Deal kaum erschließt. Wenn die zuständigen Kommissare das Thema Migration auf der Prioritätenliste ganz nach oben rücken, könnte die EU einiges leisten, insbesondere wenn man an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr denkt.

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Haben Sie denn die Hoffnung, dass es mit Merkel an der Spitze in der Ratspräsidentschaft zu etwas kommen wird? Die CDU ist zugleich tief gespalten.
Erstens ist Angela Merkel seit Monaten die einzige Akteurin in diesem Thema. Und zweitens sehe ich bei den drei zur Debatte stehenden Vorsitzenden in dieser Frage kaum unterschiedliche Auffassungen.

Armin Schuster (CDU) / dpa

An der Spitze der Regierung steht aber immer noch Frau Merkel und die hat möglicherweise andere Ansichten als, sagen wir mal, ein Herr Merz ...
Angela Merkel war bei der Entschärfung der Lage in Idomeni und überhaupt in Griechenland in der Vergangenheit ziemlich erfolgreich. Wenn aber alle diplomatischen Wege zunächst scheitern sollten, sind wir sicher immer noch unterschiedlicher Auffassung, wie dann an den deutschen Grenzen konsequent auch mit Zurückweisungen reagiert werden muss. Aber vorher hat die Regierung, hat die EU alle Chancen, international mit ihrem Geschick die Dinge abzuwenden. Wenn jemand in der Lage ist, europäisch so einen Plan zu schmieden, dann Merkel und Macron. Schlüsselperson ist jetzt aber Ursula von der Leyen. Deshalb bleibe ich optimistisch.

Und was passiert, wenn sie es nicht schaffen? Wie sehen Sie das, auch als Innenpolitiker?
Wenn alle internationalen Stricke reißen, dann haben wir letztendlich eine Lage wie 2015. Wir werden dann wieder vor die gleiche Frage gestellt: Wie agieren wir an der deutschen Grenze? Und da bleibe ich bei meiner Aussage von damals. Dann bleibt nur ein hartes Stoppzeichen an unserer Grenze, weil nur das ein Signal an die Flüchtlinge sendet: Macht euch erst gar nicht auf den Weg. Das wäre sehr unangenehm und für mich absolute Ultima Ratio, aber als letztes Mittel unausweichlich. 

Dann fängt auch wieder die Diskussion um die Schließung der Binnengrenzen an, um das Zurückweisen an der Grenze, darum, dass das Schengen widerspricht ...
Ich glaube das ehrlich gesagt nicht. Wenn Deutschland klipp und klar sagt, dass wir zurückweisen werden, dann wird das auch Österreich tun. Und auch weitere Länder auf dem Balkan. Dann kommen auch weniger Flüchtlinge an. Erst wenn diese Botschaft von uns klar formuliert wird, wird Europa das gemeinsame Problem, das immense Leid der Menschen auch als eigenes Problem erkennen. Dann sehe ich die größte Chance, dass wir es auch europäisch lösen. Das klingt hart, aber ich glaube, dass wir die Solidarität einiger europäischer Partner jedenfalls nicht herbeiführen werden, wenn wir wieder zuerst deutsche Turnhallen öffnen und das Leid im Alleingang lösen wollen. 

Die Frage bleibt aber, warum das in den letzten fünf Jahren nicht schon passiert ist. Man hätte die jetzige Situation ja durchaus kommen sehen können.
Die Antwort darauf ist doch leicht. Deutschland arbeitet seit vier Jahren intensiv, aber leider erfolglos daran, ein neues gemeinsames europäisches Asylsystem zu etablieren. Der Grund dafür ist einfach zu erklären: Solange Deutschland als zentrales Ziel der allermeisten Flüchtlinge einen ungehinderten Asylzugang bietet, sieht doch kein EU-Partner einen Grund, am momentanen Zustand etwas zu ändern. Mit dem Signal, dass wir nicht unbegrenzt aufnehmen, fänden wir relativ schnell vielleicht fünf bis zehn Partner in Europa, mit denen wir die Flüchtlingsaufnahme fair teilen könnten. Dass alle mitmachen, das habe ich schon 2015 nicht geglaubt, und das wäre auch erstmal nicht notwendig.

Braucht es nicht darüber hinaus eine Strategie, um auch die Fluchtursachen vernünftig zu bekämpfen?
Ich bin kein Außenpolitiker, aber ich setze mich seit Längerem für eine Lösung ein, die politisch zumindest in der Union umstritten ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass man illegale Migration nur verhindern kann, indem man Abkommen wie mit der Türkei auch mit vielen weiteren Hauptherkunftsländern schließt. Und das heißt: Ihr nehmt Eure Migranten ohne Asylanspruch konsequent zurück, und dafür bekommt ihr von uns zum Beispiel eine erweiterte Visa-Politik für Fachkräfte, Entwicklungshilfeprojekte und Infrastrukturhilfe. Ich bin von dem EU-Türkei-Abkommen grundsätzlich überzeugt. Der Deal ist, dass wir die Hauptherkunftsländer politisch und finanziell unterstützen und dafür von diesen Ländern die konsequente Rücknahme ihrer Landsleute ohne Asylanspruch in Europa garantiert wird. Für jeden in diesen Ländern wird schnell klar werden, dass sich der Weg nach Europa nicht lohnt. 

Aber an der Türkei sieht man ja, dass man sich mit solchen Deals erpressbar machen kann ...
Nein. Nehmen wir das Beispiel Gambia: Da ging es ja zumeist um junge Männer, die nicht in einem fremden Land in einem Flüchtlingslager leben, sondern sich aus ihrem Heimatland Gambia auf den Weg machen, statt dort zu bleiben. Bei der Türkei geht es um Syrer, die dort im Flüchtlingslager leben. Das ist ja schon ein gravierender Unterschied. Ich würde eher sagen: Wenn es mit der Türkei geklappt hat, die Zahlen einzuschmelzen, dann klappt es mit Gambia oder Senegal erst recht.

Das Interview führte Marko Northe.
 

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