Armin Laschet - Der Aussitzer

Nach einem harten Machtkampf geht Armin Laschet als Spitzenkandidat der Union in den Bundestagswahlkampf – und steuert auf die erste schwarz-grüne Kanzlerschaft der deutschen Geschichte zu. Wie die Grundlagen dafür vor mehr als zwanzig Jahren bei einem Bonner Italiener gelegt wurden.

Armin Laschet: Hat er das Erfolgsrezept für eine schwarz-grüne Bundesregierung? / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

So erreichen Sie Moritz Gathmann:

Anzeige

Armin Laschet hat durchgehalten, hat bewiesen, dass er die Paradedisziplin eines Kanzlers beherrscht: das Aussitzen. Nicht Markus Söder wird CDU und CSU in den Kampf ums Kanzleramt führen, sondern er, der Rheinländer. Die Medien gegen ihn? Drauf gepfiffen. Persönliche Umfragewerte? Darauf hat Laschet noch nie viel gegeben.

Das gilt auch für die Union: Trotz der zuletzt gesunkenen Werte für die Union ist die wahrscheinlichste Variante der nächsten Bundesregierung noch immer eine schwarz-grüne. Und sollten sich nach den Wahlen im September Armin Laschet und Cem Özdemir am Verhandlungstisch für eine schwarz-grüne Bundesregierung gegenübersitzen – es wäre der logische Schluss einer Entwicklung, die vor einem Vierteljahrhundert begann. 

Am 1. Juni 1995 saßen sie sich erstmals gegenüber, an einem großen Holztisch im Keller des Edelitalieners Sassella im Bonner Stadtteil Kessenich. Laschet, Özdemir und ein weiteres Dutzend junger Abgeordneter von CDU und Grünen: Peter Altmaier war dabei, Norbert Röttgen, Ronald Pofalla. Die Pizza-­Connection, die in Wirklichkeit gehobene italienische Küche aß, lotete erstmals schwarz-grüne Gemeinsamkeiten aus. Laschet gehörte zu den Drahtziehern der Gruppe, wie sich der Grünen-­Veteran Rezzo Schlauch erinnert. Der damals 34-jährige Bundestagsneuling warb in seiner Fraktion für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft – und arbeitete damit gegen den damaligen Common Sense der CDU.

Eine offene Rebellion gegen Kohl und das Establishment praktizierte der Kreis aber nicht – sonst hätte man wohl einen anderen Ort gewählt. Denn das Sassella war auch der Stammitaliener des Kanzlers: „Oben aß Helmut Kohl mit seinen Getreuen, während wir im Untergrund tagten“, erinnert sich Schlauch. Dass es mit Pofalla einen „Maulwurf“ gab, der nach den Treffen bei Kohl Rapport darüber erstattete, was der schwarz-grüne Untergrund diskutiert hatte, wurde toleriert.

Neben der „inhaltlichen Offenheit“, so erinnert sich Schlauch, hatte Laschet auch „erheblichen Anteil am Entertainment“ im Keller des Italieners.

Geradlinig war seine Karriere nicht

Wer Laschet auf ein Kölsch in der Kölner Innenstadt trifft, wird davon überzeugt, dass sich die rheinische Frohnatur auch nach 25 Jahren nicht abgenutzt hat: Der Wirt erzählt, dies sei einst die Stammkneipe des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers gewesen. Der habe sich dann aber, so der Wirt, „beruflisch umorientiert“. Laschet kommen beinahe die Tränen vor Lachen. 

Es mag auch diese Menschlichkeit sein, mit der der 59-Jährige auf dem Parteitag im Januar die Delegierten auf seine Seite zog – im Kontrast zum kalten Willen zur Macht, den Friedrich Merz ausstrahlte. 

Die Pizza-Connection war Laschets Einstieg in die große Politik. 22 Jahre später wird er Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, 2021 CDU-Vorsitzender und wenige Monate später Kanzlerkandidat. Geradlinig war seine Karriere nicht.

1961 als Ältester von vier Jungen in einer Aachener Familie aus der Mittelschicht geboren, folgt Laschet den Traditionen seiner katholischen Herkunft: Er wird Messdiener, singt im Kirchenchor, wo er seine spätere Ehefrau, Nichte des langjährigen Aachener Bürgermeisters, kennenlernt. Mit ihr hat er drei Kinder. Mit 18 tritt er in die CDU ein, studiert Jura in München und Bonn, macht dann ein journalistisches Volontariat und arbeitet bis 1994 als freier Journalist und Chefredakteur der Kirchenzeitung Aachen. Seit 1989 im Aachener Stadtrat, zieht er 1994 in den Bundestag ein.

Die Gefälligkeiten des „Türken-Armin“

Gerade hat sich Laschet als Kopf der Pizza-Connection einen Namen gemacht, da ist es schon wieder vorbei: 1998 verliert er sein Bundestagsmandat, rettet sich 1999 ins Europaparlament – damals noch mehr als heute politisches Wartezimmer: Für die deutschen Medien ist er passé. 

2005 holt ihn Rüttgers zurück: In der schwarz-gelben Landesregierung wird Laschet Integrationsminister, was ihm den Spitznamen „Türken-Armin“ verschafft: Als erster Integrationsminister des Landes müht er sich, in der CDU den Gedanken zu verankern, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Er kämpft gegen die Praxis, auch gut integrierte Flüchtlingsfamilien abzuschieben. Und er befördert Menschen mit Migrationshintergrund in politische Ämter: Seine ehemalige Referentin Serap Güler zieht dank eines guten Listenplatzes in den Landtag ein, die Aachener CDU-Politikerin Cemile Giousouf schafft es mit Laschets Hilfe 2013 in den Bundestag.

Ist Laschet ein Mann, der gerne Gefälligkeiten erweist? Im April 2020 vergibt NRW einen Auftrag für Schutzkittel über 38,5 Millionen Euro an die Firma van Laack. Den Kontakt hatte Laschets Sohn Joe vermittelt, der für die Firma als Model arbeitet. Dass Joe nichts an dem Deal verdient, kann Vater Laschet beweisen. Ein Gschmäckle bleibt. In der 2020 erschienenen Laschet-Biografie von Moritz Küpper und Tobias Blasius heißt es im Kapitel über Laschets familiäre Verquickungen in Kirchen, Firmen und Vereinen: „Bislang kommen sich die Laschet-Brüder bei ihren Tänzen auf ziemlich vielen Hochzeiten in NRW nicht in die Quere.“ Bislang.

Laschet wartet und macht keine halben Sachen

2010 zieht Laschet in den Landtag ein, aber schon kommt der nächste Knick: Nach dem Rückzug von Rüttgers wählen die CDU-Mitglieder in NRW ihren neuen Vorsitzenden: Laschet verliert gegen Norbert Röttgen. Aus dieser Zeit stammt Laschets Abneigung gegen Mitgliederentscheide. Auch gegen Merz hätte er auf diese Weise wohl verloren.

Aber er beweist eine Qualität, die ihm auf seinem Weg nach oben hilft: Geduld. „Manche haben ihm das als Schwäche ausgelegt: Der Laschet zaudere, der greife nicht zu“, sagt der Thüringer Mike Mohring, der Laschet aus seiner Arbeit als Fraktionsvorsitzender kennt. „Aber Armin greift schon zu, wenn’s geht.“

Die Geduld hält ihn davon ab, 2018 für die Merkel-Nachfolge zu kandidieren. Selbst wenn er gewonnen hätte – in der Konstellation als CDU-Chef unter einer Kanzlerin Merkel hätte sich Laschet zerrieben wie Annegret Kramp-Karrenbauer. Laschet wartet. Und schiebt sich im Januar 2021 an Merz und seinem alten Konkurrenten Röttgen vorbei.

2012 war der grandios bei den Landtagswahlen gescheitert. Das liegt auch daran, davon ist Laschet überzeugt, dass sich Röttgen, damals Bundesumweltminister, nie festlegt, ob er auch im Falle einer Niederlage in den Landtag von NRW zurückkehren würde. Man sollte das im Kopf behalten für die Frage, ob Laschet die Rolle des Kanzlerkandidaten anderen überlässt: Armin Laschet macht keine halben Sachen. Er wird nach Berlin wechseln. Er will ins Kanzleramt.

Siegen mit dem Rezept Helmut Kohls

Auch aus einem anderen Fehler Röttgens hat Laschet gelernt: Der gab nach seiner Wahlniederlage die Schuld der Kanzlerin und der Bundes-CDU – daraufhin feuerte Merkel ihren Minister. Röttgen hatte alles verloren. 

Laschet steht zur Kanzlerin. In den schwersten Zeiten der Flüchtlingskrise verteidigt er sie mit einer Verve, als würde die beiden mehr verbinden als eine Parteimitgliedschaft. „Wenn Laschet von etwas überzeugt ist, dann steht er dazu, egal wie viel Gegenwind das bedeutet“, sagt Laschet-Biograf Küpper. „Ähnlich war es in der Corona-Krise, als der überzeugte Europäer Laschet gegen jede politische Opportunität die Grenzen offengehalten hat.“

Während in anderen Bundesländern CDU-Politiker versuchen, mit Kritik an der Kanzlerin beim Wähler zu punkten, ruft Laschet den Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf zu: Wir schaffen das! Viele Parteigenossen raten ihm: Kante zeigen, das CDU-Profil schärfen, angreifen. Aber Laschet tut das Gegenteil. Und gewinnt die Wahl gegen die schwächelnde SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Er siegt mit dem Rezept des Helmut Kohl: Dem Pfälzer gelang es, so unterschiedliche Politiker wie den Herz-Jesu-­Sozialisten Norbert Blüm und den Weltkriegsveteranen Alfred Dregger zu vereinen. Laschet bietet mit Wolfgang Bosbach einem der härtesten Merkel-­Kritiker den Job des Innenministers an – der lehnt ab, übernimmt aber eine Regierungskommission zur Sicherheit.

Die langen Arme des Armin Laschets

Innenminister wird Herbert Reul, den Laschet seit jüngsten Jahren aus dem liberalen Leichlinger Kreis kennt: Eigentlich aus dem gleichen Holz wie Laschet geschnitzt, feiert die Öffentlichkeit Reul bald als Null-Toleranz-Sheriff im Kampf gegen die Clan-Kriminalität. Es gehört zu Laschets Mantras, dass es kein Gegensatz sei, liberal und offen, aber gleichzeitig knallhart bei der inneren Sicherheit zu sein.

Laschet bindet als Verkehrsminister Hendrik Wüst ein, einen seiner größten Kritiker von der wirtschaftsliberalen Seite. Mit Karl-Josef Laumann als Arbeitsminister besetzt er die soziale Flanke.
Und dann ist da noch Nathanael Liminski: Der unscheinbare 35-Jährige übernimmt 2017 die Leitung der Staatskanzlei und ist Laschets Verbindung in wertkonservative Kreise. Liminski war Redenschreiber beim hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und erarbeitete konservative Grundsatzpapiere. Vor einem Jahrzehnt gründete er die Initiative Generation Benedikt und lobte in Talkshows den Papst – der 25-Jährige war der Shootingstar der konservativen Katholiken. Dann trat er einen Schritt zurück, seit 2014 stützt er als Schattenmann seinen Chef Laschet – und schärft dessen Profil in Kreisen, in denen er als Angela Merkel 2.0 gilt. Liminski wird Laschet mit nach Berlin nehmen. 

Was immer das ist

Nicht mitnehmen wird er wohl die FDP, mit der er in NRW lautlos zusammenarbeitet. Es müsste ein Wunder geschehen, um auf Bundesebene eine schwarz-gelbe Mehrheit zu formieren.
Stattdessen wird wohl kommen, wofür Laschet vor einem Vierteljahrhundert bei edlen Weinen im Sassella das Fundament gelegt hat: eine schwarz-grüne Bundesregierung.

Der neue CDU-Chef muss seine Mannschaft so breit aufstellen, wie er es in NRW getan hat. Denn in der AfD-Führung knallten die Sektkorken, als er im Januar Friedrich Merz besiegte: Die Hoffnung ist groß, dass sich nun noch mehr Konservative der Partei rechts von der CDU anschließen werden. 
Laschet sollte für diese Menschen eine andere Formel parat haben als jene, die er im Januar bei einer Buchvorstellung in Berlin von sich gibt: „Wir müssen, auch wenn Schwarz-Grün kommt, immer noch unser Profil haben und schwarz sein. Was immer das ist.“ Was immer das ist.
 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. Er wurde am 20. April 2021 aktualisiert.

 

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige