„Anne Will“ zur Coronakrise - Auf der Suche nach der Gelddruckmaschine

Auch diese „Anne Will“-Sendung zeigte: Das ökonomische Wissen liegt in Deutschland ebenso darnieder wie der Mut, eine eigene Ansicht im Angesicht derer zu vertreten, von denen man gelobt werden will. Etwas war dann aber doch nicht wie immer.

Etwas war doch nicht wie immer: „Anne Will“ am 25.05. / Screenshot „ARD“
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Anzeige

Es war eigentlich wie immer, gestern Abend in der Talkshow „Anne Will“. Die Grünen machten von ihrer Einladungsgarantie Gebrauch und schickten, wie schon am 26. April, ihre Ko-Vorsitzende Annalena Baerbock. Am 3. Mai hatten sie ihren Ko-Vorsitzenden Robert Habeck entsandt. Nach Lage der Dinge müsste Habeck am 7. Juni wieder in den Ring steigen. Hätten die öffentlich-rechtlichen Talkshows verfassungsgebende Kompetenz, wäre es längst um das aus grüner Sicht antiquierte Grundgesetz von 1949 geschehen.

Die AfD machte wie immer Gebrauch von der Garantie, nicht eingeladen zu werden, und blieb fern, und die Moderatorin hielt dem Modetrend Flanking die Treue und ließ die Knöchel frei. Etwas war dann doch nicht wie immer, wodurch „Anne Will“ fast spannender wurde als der überraschungsarm abgedichtete „Tatort“.

So kam es dann auch

Jede gute Unterhaltungssendung braucht neben eitlen Soloselbständigen vom Schlage etwa eines Wolfgang Kubicki und quengeligen Oberprimanern in der Manier beispielsweise des Karl Lauterbach auch den strengen Direktor am Rand. Er greift ein, wenn die Hauptattraktion zu stocken droht. Diesen Part übernahm gestern Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Er war letztmals am 5. April zu Gast gewesen bei „Anne Will“. Seitdem sind satte sieben Wochen verstrichen, aber Olaf Scholz gehört auch nicht den Grünen an.

Damals lautete das Thema „Zwei Wochen Ausnahmezustand – wo steht Deutschland im Kampf gegen Corona?“ Gestern hieß die Überschrift „Milliarden gegen die Krise – wird das Geld richtig investiert?“. Die leitenden Fragen haben das Ziel, eine Frage vorab auszusortieren. Sie muss dann im Verlauf der Sendung nicht mehr beantwortet werden. So kam es dann auch. Stattdessen erfuhren wir manches, von dem wir nicht gedacht hätten, dass man es wissen kann.

Was immer Schnitzer sagte, Baerbock nickte

Zum Beispiel führte sich die neue Wirtschaftsweise Monika Schnitzer als Literaturwissenschaftlerin ein. Dreimal sprach sie in ihrer ersten Wortmeldung vom „Narrativ“, das es zu ändern gelte, man denke auf „die falsche Art“ über Europa nach, man brauche „ein neues Narrativ“. Später beschwor sie die „Gefahr“, die Europäische Union durch zu viel Gerede auseinander zu treiben. Eine Zahl war der habilitierten Ökonomin nicht zu entlocken. Wohl aber sah sie nur in „nachhaltigen“ auch „wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle“, weshalb „Verbrenner-Autos“ keine besondere Förderung durch die EU erfahren sollten.

Was immer Schnitzer sagte, Baerbock nickte. Nur ganz am Schluss deutete sich grüner Dissens an, als Schnitzer bei Baerbocks Vorschlag von Konsum- beziehungsweise „Kauf-vor-Ort-Gutscheinen“ nicht applaudieren wollte. Unwidersprochen blieb Baerbocks kühne Aussage, Europa sei die „größte Volkswirtschaft der Welt“. Wollen wir hoffen, dass „Anne Will“ nicht in den USA und nicht in China gesehen wird.

Die Irrealisierung des Geldes

Als Konterpart zum Herrn der Zahlen fielen Schnitzer und Baerbock aus. Der Präsident des Bundes der Steuerzahlers, Reiner Holznagel, sprang gern in die Bresche und wies Scholz darauf hin, dass im 500-Milliarden-Euro-Paket, das Merkel und Macron für die EU schnüren wollen, rund 140 Milliarden Euro deutsches Steuerzahlergeld „im Feuer“ stünden. Man dürfe das Sparen darüber nicht vergessen, der Bundestag sei zu groß und zu teuer, den Solidaritätszuschlag sollte „rückwirkend“ abgeschafft, die Steuerlast allgemein gesenkt werden. Scholz gab daraufhin den blasierten Hanseaten und tat, was man gerne tut, wenn man in der Sache nicht antworten will: Man erklärt die Frage für unernst und plädiert dafür, „strikt bei der Sache zu bleiben“, also an der eigenen Erzählung festzuhalten.

Bei Scholz ging sie so: Die EU bekomme kein Geld geschenkt, sondern Kredite gewährt, die sie nicht an einzelne Länder ausschütte, sondern an „konkrete Projekte“ in den Ländern, etwa beim Straßenbau, die Kredite der EU müssten später zurückgezahlt werden, „und das geht auch“. Aber wäre das nicht ein halbseidenes Linke-Tasche-rechte-Tasche-Modell, mit dem Risiko freilich, dass sich in den Taschen Löcher befinden, die wachsen bei jedem Griff hinein? Die Irrealisierung des Geldes schreitet energisch voran. Selbst ein deutscher Finanzminister bekennt sich zum Primat der Aktion und der Nachrangigkeit ihrer Finanzierung – „die EU muss handeln, wo sie handeln muss“ –, und eine Wirtschaftsweise erklärt, nicht die Höhe einer Ausgabe, sondern deren Verwendungszweck sei das entscheidende Kriterium. Irgendwo in deutschen Landen muss sich eine Gelddruckmaschine befinden.

In den Studiohimmel gehauchte Fragezeichen

Carsten Linnemann vom Wirtschaftsflügel der CDU nahm an der Diskussion teil, hatte aber seine Angriffsfreude ebenso zuhause gelassen wie sein Zahlenmaterial. Er pflichtete mal Baerbock bei, mal Scholz, mal Schnitzer, wagte Kritik am Merkel-Macron-Plan nur in homöopathischer Dosis, gedämpft durch viele „vielleichts“ und in den Studiohimmel gehauchte Fragezeichen. Ganz am Ende ließ er sich hinreißen, Betriebskostenzuschüsse und Liquiditätsmaßnahmen für Corona-gebeutelte Unternehmen zu fordern – auch diese winzige Konkretion musste man ihm mit vereinten Kräften aus der Nase ziehen. Die Heimatlosigkeit der Ordoliberalen in der CDU spiegelte sich wieder in Linnemanns unsicher verstolpertem Auftritt.

Anne Will setzte derweil ihren Kleinkrieg gegen die deutsche Sprache fort, quälte uns und ihre Zunge mit phonetischem Tinnef namens „Steuerzahler-i-nnen“. Solche kindischen Rechthabereien sind wirklich ein Ausbund an „Unernstigkeit“ (Scholz). Baerbock hingegen sprach von „Lehrern“ und „Studenten“, nicht von „Lehrenden“, „Studierenden“ oder gar „Student-i-nnen“. Das war die erste große Überraschung des Abends. Die Gender-Partei kann auch lässig. Soviel Abweichung im Umgang mit dem sprachlichen Material zahlte auf Baerbocks Souveränitätskonto ein. Sie zehrte davon auch noch dann, als sie „klimafeste“ Milliarden für die Wirtschaft forderte, an die „Kauf-vor-Ort-Gutscheine“ aber keine Bedingungen knüpfte.

Das ökonomische Wissen liegt darnieder

Auch diese Sendung zeigte: Das ökonomische Wissen liegt in Deutschland ebenso darnieder wie der Mut, eine eigene Ansicht im Angesicht derer zu vertreten, von denen man gelobt werden will. Anerkennungsgier verhindert, dass Erkenntnis sich einstellt. Weltanschauliche Homogenität steht der Wahrheit im Weg, reflexhafte Polarisierung täte es auch. Dennoch war es eine Überraschung – und keine schöne –, dass Anne Will sich die journalistische Chance entgehen ließ, die Ko-Vorsitzende der Grünen zu fragen, was sie davon halte, dass die Grüne Jugend sich als linksextrem bezeichnet und die Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert.

Wie will man ernsthaft über die Zukunft Europas und den Beitrag Deutschlands diskutieren, wenn dieses Deutschland die eigene Verfassung zur Disposition stellt? Wenn eine staatstragende Partei durch ihre Jugendorganisation Mittel gegen diesen Staat nicht rundweg ablehnt? Vielleicht löst Robert Habeck das Rätsel, bei „Anne Will“ am 7. Juni oder schon eher.

Anzeige