Merkel zur Corona-Krise - „Also, so geht's mir“

Lange sagte sie nichts zur Coronavirus-Epidemie, am Mittwoch bequemte sich Kanzlerin Merkel dann doch zu einer Pressekonferenz. Einen Erkenntnisgewinn brachte die Veranstaltung allerdings nicht, außer dass man froh sein kann, dass Jens Spahn auch noch da ist.

Jens Spahn und Angela Merkel in der gemeinsamen Pressekonferenz zum Coronavirus: Man wünscht sich mehr Führung
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Krisen sind die Zeiten großer Worte. Selbst Angela Merkel, die nicht als große Rednerin gilt, hat das 2015 bewiesen, als sie ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“ in der Bundespressekonferenz sprach. Der Satz fiel ihr im weiteren Verlauf oft genug auf die Füße, wird heutzutage oft auch gerne in einem sarkastischen Tonfall benutzt, nicht nur beim Thema Flüchtlinge. Möglicherweise hat es auch mit diesem schlecht gealterten Bonmot der Kanzlerin zu tun, dass sie sich in der derzeitigen Corona-Krise, die sowohl das Gesundheitssystem als auch das Wirtschaftssystem unter Stress setzt, eher bedeckt hält. Besser gesagt: bedeckt hielt. Denn am Mittwochvormittag entschloss sie sich dann doch spontan dazu, eine Pressekonferenz zur Coronavirus-Epidemie zu geben.

Über die Gründe der plötzlichen Eingebung, sich als Regierungschefin zu einem Thema öffentlich äußern zu wollen, das die Republik im wahrsten Sinne des Wortes seit Wochen in Atem hält, kann man nur spekulieren. Merkel behauptete selbst, die Videokonferenz mit den übrigen EU-Staats- und Regierungschefs sei der Anlass gewesen. Es könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass sich in den letzten Tagen die politischen Beobachter in der Hauptstadt immer öfter fragten, wo denn eigentlich die Kanzlerin sei. Am Mittwoch machte dann die Bild groß mit dem Thema auf: „Kein Auftritt, keine Führung in der Krise: Die Kanzlerin und das Corona-Chaos“. Und schon saß Merkel ein paar Stunden vor der Hauptstadtpresse und beantwortete über anderthalb Stunden geduldig die Fragen der Journalisten.

Merkel klingt verdächtig nach Seibert

Die Bild ruft, Merkel kommt. Und in der ersten Viertelstunde machte die Kanzlerin einen durchaus konzentrierten, resoluten Eindruck. Ihre Sätze im Eingangsstatement klangen weniger verschwurbelt, als es sonst oft der Fall ist, allerdings klangen sie in Tonalität und Syntax auch verdächtig nach ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert. Inhaltlich erfuhr man nicht viel Neues: „Das Virus ist in Europa angelangt. Es ist da. Das müssen wir alle verstehen“, sagte Merkel, als sei es noch nicht bekannt, dass in Deutschland eine Seuche ausgebrochen ist.

Sie erklärte erneut das, was Gesundheitsminister Jens Spahn, der ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm, in den letzten Tagen bereits öfter gesagt hatte: Zwar seien die Experten sicher, dass sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infizieren werden würden, jedoch käme es darauf an, dass sich die Infektionen über einen möglichst langen Zeitraum verteilten, damit genügend Kapazitäten in den Krankenhäusern frei blieben. Dass die Bundesregierung schnell gehandelt habe, um die wirtschaftlichen Folgen möglichst gering zu halten: Kurzarbeitergeld, Finanzsspritzen und: „Wir haben das Instrument der Lohnfortzahlung, das nicht überall auf der Welt existiert“, so Merkel.

Spahn appelliert an die Selbstverantwortung

Jens Spahn durfte dann ebenfalls ein Statement verlesen, tat dies, wie er es in letzter Zeit immer tut: Besonnen, klar in der Sprache, anschaulich, mit Beispielen, die aus dem Leben gegriffen sind. Am Gesundheitsminister merkt man, dass sich in Krisenzeiten zeigt, wer wirklich seinen Job beherrscht. Spahn setzte vor allem auf das Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Bürgers und verteidigte damit das föderale System der Bundesrepublik. Er habe in den letzten Tagen öfter davon gelesen, dass autoritäre Staaten wie China besser darin seien, eine Epidemie einzudämmen, er sehe das aber nicht so: „Eine offene und pluralistische Gesellschaft hat viel mehr die Möglichkeit, die Bürger mitzunehmen. Kann man die Frage nicht mal umdrehen? Muss man immer warten, bis etwas verboten ist? Oder kann man das als Bürger nicht mal von sich aus entscheiden?“

Während Spahn also für jeden Bundesbürger verständlich erklärte, was nun zu tun sei, fand Merkel keine Gelegenheit zum Appell, zu dem einen Satz, den man von einer Regierungschefin eigentlich erwarten kann. Selbst als ein Journalist sie direkt dazu aufforderte. Welchen Appell sie persönlich an die Menschen habe, wenn man jetzt schon höre, dass die Leute Desinfektionmittel in Krankenhäusern stehlen würden?

Ein echter Merkel-Satz

Auf so eine Frage könnte man vieles als Antwort erwarten, vielleicht: „Ich appelliere an alle Bürger, besonnen mit der Situation umzugehen. Natürlich ist das Virus eine Bedrohung, aber Überreaktionen führen zu nichts. Und bitte lassen Sie das Desinfektionsmittel dort, wo es wirklich gebraucht wird. Diebstahl ist eine Straftat.“ Doch Merkel sagte auf diese Frage Folgendes:

„Wir haben ja die Eigenschaft, dass oft mehr über negative als über positive Vorfälle berichtet wird. Und es gibt viele, viele positive Erfahrungen, und die werden wir auch hervorheben, und die werden wir stärken, und ich finde, den Beitrag, den der Staat und die Akteure des Staates leisten können, unter anderem auch die Politiker, ist, dass wir das Notwendige tun, dass wir es schnell tun, dass wir es besonnen tun, dass wir entschlossen sind, und vor allen Dingen, dass wir uns an den Rat halten, wo wir nicht die Experten sind, sondern andere, die Experten sind, und ich glaube, das ist ein Beitrag dazu, dass andere auch sagen, ich möchte meine Verantwortung auch wahrnehmen.“     

Ein paar flapsige Worte

Mehr ließ sich die Kanzlerin partout nicht entlocken. Auch die Frage, wie es ihr in einem geschlossenen Raum mit vielen Menschen gehe, ließ sie nicht auf die Idee kommen, eventuelle Ängste der Bevölkerung zu thematisieren oder von ihrer persönlichen Besorgnis zu sprechen, sondern lediglich ein paar flapsige Worte über die Bestuhlung in der Bundespressekonferenz verlieren:

„Also, wie geht’s mir? Erstmal hab ich den Fotografen gesagt, ich trete ein Stück zurück, damit der Abstand von einem bis 1,5 Metern gewahrt ist. Dann guck ich mir an, weil man da so oft drauf aufmerksam gemacht wird, wie viele von Ihnen die Hand im Gesicht haben, was man ja nicht haben soll, und da fallen mir auch einige auf. Und dann sage ich, noch schöner wär’s, Sie könnten alle in einem Meter Abstand zueinander sitzen, aber das können wir nicht überall gewährleisten. Also, so geht’s mir. Ansonsten freue ich mich natürlich, Sie alle gesund hier zu sehen.“

Nicht das richtige Krisenmanagement

Nun kann man natürlich sagen, gerade ein solcher Umgang mit einer Virus-Epidemie sei richtig. Auf dem Teppich bleiben, sich nicht verrückt machen lassen, hier und da ein kleiner Spaß, das beruhigt die Bürger, das entkrampft. Angesichts der Situation im Nachbarland Italien, in dem sich das Coronavirus bereits rasend schnell ausgebreitet hat, die Krankenhäuser massiv überlastet sind und nun bereits täglich Todesfälle in dreistelliger Höhe gemeldet werden, ist Merkels verschwurbelt-flapsige Art aber vielleicht nicht die richtige Art von Krisenmanagement.

In einer solchen Situation wünscht man sich mehr Führung oder zumindest das Gefühl, dass da jemand alles im Griff hat. Die Kanzlerin aber vermittelte eher den Eindruck, dass sie die Corona-Krise verschleppt wie eine lästige Grippe, weil ja alles halb so wild sei. Und ihre technokratische Sprache zeigte im Kontrast zum handfesten Jens Spahn, dass sie sich mit den Sorgen der Bevölkerung wenig auseinandergesetzt hat. Hätte ein großes Boulevardblatt nicht in großen Lettern gefragt, wo sie bleibt, hätte Merkel sich womöglich gar nicht gezeigt.   

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