Andrew Ullmann - Der liberale Lauterbach

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann gilt als der liberale Karl Lauterbach. Als Infektiologe kennt er sich mit Pandemien aus. Anders als sein Kollege hält er einen Lockdown bis April aber nicht für vertretbar. Wie kann er Oppositionsarbeit leisten, ohne sich mit Querdenkern gemein zu machen?

Andrew Ullmann (FDP): Der unbekannte Gesundheitsexperte aus dem Bundestag / Nikita Teryoshin
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn es um Corona geht, scheint es im Bundestag nur einen Fachmann zu geben: Karl Lauterbach von der SPD. Der studierte Epidemiologe aus Köln ist seit der Pandemie in sämtlichen Medien omnipräsent und steht allzeit mit einer Expertise zum aktuellen Infektionsgeschehen parat. Doch Lauterbach, einer der entschiedensten Lockdown-Befürworter, ist nicht der einzige Parlamentarier mit entsprechendem Background. Sein Kollege Andrew Ullmann dürfte mindestens genauso kompetent und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft sein. Denn der 58-jährige Deutsch-Amerikaner ist Professor für Infektiologie an der Universität Würzburg und hat schon Ende der achtziger Jahre an einem New Yorker Krankenhaus zu HIV und Aids geforscht.

Anders als Lauterbach, den er durchaus für dessen mediale Beliebtheit bewundert, ist Ullmann aber kein Hardliner. Sondern eher jemand, der die Eindämmungsmaßnahmen gegen das Coronavirus sehr überlegt gegeneinander abwägt. Die von der Bundesregierung nach Ausbruch der Pandemie ergriffenen Schritte waren ihm da einerseits zu zögerlich, andererseits oft zu wenig gezielt. 

„Ich hätte mir gewünscht, dass es frühzeitig zu Stresstests im Gesundheitssystem und in der Wirtschaft kommt, um so die Lücken und Gefahrenstellen zu erkennen“, sagt Ullmann. Denn so hätte man die Infektionszahlen in Deutschland und Europa niedrig halten können. Dazu gehört auch, die vulnerablen Gruppen zu schützen, wo die Sterblichkeit immens hoch ist: „In Würzburg zum Beispiel, wo ich herkomme, gab es schon im Frühjahr katastrophal viele Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen, die durch konsequente Kontaktbeschränkungen und Testungen hätten vermieden werden können.“

Die Pandemie hat Ullmann früh kommen sehen

Mit seinem Fachwissen ist Andrew Ullmann, der 1963 in Los Angeles zur Welt kam, bevor seine Eltern zehn Jahre später in ihre deutsche Heimat zurückkehrten, bei Fraktionskollegen ein begehrter Berater. Den Beginn der aktuellen Pandemie hat er Weihnachten vor einem Jahr zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, als im Fernsehen Berichte über unklare Lungenerkrankungen aus China liefen. „Da habe ich mich gleich gefragt, ob sich da ein globales Problem zusammenbraut, oder ob es sich nur um einen lokalen Ausbruch handelt.“ 

In Fachkreisen war man durch Mers, Sars oder die Schweinegrippe vorgewarnt, „und unter uns Infektiologen war klar, dass uns irgendwann eine Pandemie trifft“. Im Januar 2020 machte Ullmann sich dann zum ersten Mal richtig Sorgen, gab auch im Bundestag laut kund, dass Deutschland auf ein solches Ereignis nicht gut vorbereitet sei. Allerdings hätte der Familienvater nicht gedacht, dass er mit seiner Warnung derart recht behalten würde.

Relativ früh hat Ullmann auch mit seinem Fraktionschef Christian Lindner ein Vier-Augen-Gespräch darüber geführt, was da auf die Bevölkerung zukommt. Entsprechend haben sich dann die FDP-Parlamentarier beim Bevölkerungsschutzgesetz positioniert, dem sie schließlich zugestimmt haben – „natürlich unter gewissen Bedingungen, denn wir wollten ja die Kontrolle des Bundestags nicht vollständig abgeben“. 

Die FDP breiter aufgestellt

Andrew Ullmanns Positionierung in Sachen Corona lässt sich wohl am besten mit den Worten „konstruktiv“ und „pragmatisch“ umschreiben; Oppositionspolitik bedeutet für ihn nicht, aus Prinzip immer gegen den Kurs der Regierung zu sein. „Aber natürlich ist es in Pandemiezeiten nicht einfach rüberzubringen, dass wir einerseits die Pandemie klar erkennen, uns aber andererseits mit berechtigter Kritik am Regierungshandeln nicht mit den sogenannten Querdenkern gemein machen.“ Da habe es seitens der Regierungsparteien durchaus Versuche gegeben, die Liberalen entsprechend zu diskreditieren.

Als Infektiologe kann Ullmann auf jahrzehntelange Berufserfahrung zurückblicken, in der Politik hingegen ist er beinahe ein Neuling. Erst 2003 trat er überhaupt der FDP bei, weil er damals im Elternbeirat des Kindergartens seines Sohnes saß – und sich über den örtlichen Bürgermeister ärgerte. „Zeitgleich habe ich einen FDP-Politiker medizinisch behandelt, so kamen wir ins Gespräch.“ Im Gemeinderat „habe ich dann gelernt, wie Politik funktioniert“. Und als die FDP 2013 aus dem Bundestag flog, half der Mediziner dabei mit, die Liberalen breiter aufzustellen, „also nicht nur als reine Wirtschaftspartei“. 

2017 kandidierte Ullmann dann erstmals für den Bundestag – mit Erfolg. Was ihn dort antreibt? Die Erkenntnis, „dass unsere Gesundheitspolitik immer nur am Mangel und an den Kosten orientiert ist“. Gleichzeitig dürften Wirtschaft und Gesundheit auch während der Pandemie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Da tickt Ullmann dann doch anders als sein Kollege Lauterbach: „Einen Lockdown bis April halten wir nicht durch, das gibt bürgerliche Unruhen.“
 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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