Andrea Nahles - Auf der Suche nach der verlorenen Macht

Es war ihr erster öffentlicher Auftritt seit ihrem Rücktritt als SPD-Vorsitzende. Im Kloster Maria Laach sprach Andrea Nahles über Gleichberechtigung – und am Rande über „männliche Machtzirkel“ in der SPD. Dieses Lamento hat in der Partei Tradition. Doch kann sich die SPD das heute noch leisten?

Seitenhiebe auf „die Jungs“ in der Parteizentrale: Andrea Nahles stilisierte sich zum Opfer von Machtkämpfen / picture alliance
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Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

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Im Präsidium der SPD gäbe es viel zu besprechen. Die Massenproteste in Hongkong. Der Streit um die Seewege im Persischen Golf. Der Ärger über den Brexit. Die Aussicht auf Neuwahlen in Italien. Und dann die Probleme im eigenen Land. Ökonomisch schlittert Deutschland nach einem zehnjährigen Konjunkturaufschwung in die Rezession.Darüber könnte ein Präsidium diskutieren, sogar darüber streiten, wie man darauf reagieren sollte. In früheren Zeiten gab es in vergleichbaren Situationen selten Einigkeit, und Kompromisse zu finden, erwies sich als eine der schwierigsten Übungen.

„Wir haben mehr miteinander durchgemacht und bewirkt, als die meisten wissen können. Und ich denke, dass niemand dies wird verdunkeln oder zerreden können“, so formulierte das der damalige Parteivorsitzende Willy Brandt in einem Geburtstagsglückwunsch an Helmut Schmidt am 18. Dezember 1983. Ein Jahr zuvor war die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung gestürzt worden, und die Sozialdemokraten waren nach dreizehn Jahren wieder in der Opposition. Der Dissens der beiden SPD-Granden über die Nachrüstung hatte Spuren hinterlassen. Brandt versuchte trotz allem, versöhnliche Worte zu finden. Er appellierte an den gemeinsamen Lebensweg. So seien beiden „alt genug“, um sich auch „durch Bösartiges nicht über Gebühr in Anspruch nehmen zu lassen.“

Nahles als Unschuldslamm

Brandt und Schmidt waren höchst unterschiedliche Persönlichkeiten, ihr Verhältnis häufig schwierig. Als der langjährige Parteivorsitzende schließlich vier Jahre nach diesem Brief an Schmidt zurücktrat, beklagte er wiederum in seiner Rücktrittserklärung vor dem Parteivorstand jene „Zirkel“ in der Partei, die ihre „Sonderinteressen“ höher bewerten als solche der Partei. Brandt lieferte die Vorlage – und Andrea Nahles jetzt die zeitgenössische Interpretation in feministischer Kostümierung. Noch in ihrer Amtszeit als SPD-Parteivorsitzende hatte sie einen Vortrag über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Benediktinerabtei Maria Laach verabredet. Zwischenzeitlich war sie zurückgetreten, nur das Vortragsthema blieb. Sie wollte dort nicht über die Lage der Sozialdemokratie reden.

Das ist nachvollziehbar: Ansonsten wäre noch jemand auf die Idee gekommen, über die Verantwortlichkeit eines der führenden Protagonisten der deutschen Sozialdemokratie zu reden. Stattdessen stellte sich eine der begabtesten Strippenzieherin dieser Partei als Unschuldslamm vor: „Ich bin in die Vorstände und Präsidien gekommen, aber die Macht war ein flüchtiges Reh“, so wird sie zitiert. Außerdem hätten sich „die Jungs vor und nach den Präsidien getroffen.“ Um schließlich ihre Erfahrungen so zusammenzufassen: „Als ich dann an der Spitze war, da gab es nicht so viele Zirkel, wo ich nicht dabei war. Aber doch zu viel.“

Eitelkeit first

Nun wird niemand etwas in der Politik, der keine Bündnisse auf Zeit zu schmieden weiß. Kommunikationsfähigkeit ist die Kernkompetenz des Spitzenpolitikers. Brandt hatte seine Schwächen, aber in seinem Brief an Schmidt zeigte sich seine Fähigkeit als Brückenbauer. Vor allem aber dominierte die Persönlichkeitsstruktur nicht den politischen Inhalt. Am Ende ging es immer um mehr als um die Eitelkeit von Spitzenpolitikern. Die war bekanntlich weder Brandt, noch Schmidt fremd. Davon ist nichts geblieben. In Nahles Worten wird Politik zum inhaltslosen Begriff, weshalb ihr Bild vom „flüchtigen Reh“ so gut passt.

Es beschreibt den Zustand einer Partei, die ziellos über die Lichtung rennt, immer in Angst vor allen möglichen Gefahren. Tatsächlich ist die Macht in der SPD verschwunden und diese Partei seitdem auf der Flucht. Das liegt nicht an intriganten Männern oder vermeintlich naiven Frauen als Rednerinnen in ehrwürdigen Gemäuern. Vielmehr an dem Verlust eines handlungsfähigen Zentrums, das nach innen und außen Orientierung bieten kann. Das etwas von der historischen Verantwortung weiß, weil man erst gemeinsam etwas durchmachen muss, um Wirkung zu erzielen. Das Scheitern von Andrea Nahles  machte den Zerfall der SPD als Organisation sichtbar. Die feministischen Deutungen über das Scheitern der Andrea Nahles sind deshalb eine Attitüde ohne Erklärungswert. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass es im Präsidium oder im Vorstand dieser Partei noch Männer oder Frauen gibt, die in der skizzierten weltpolitischen Lage Orientierung vermitteln könnten?

Organisation eigener Orientierungslosigkeit

Dort sind sie mit sich selbst und der Organisation eigener Orientierungslosigkeit beschäftigt. Es ist eben kein Zufall, dass niemand mehr das längst machtlose Amt des Parteivorsitzenden bekleiden will. Deshalb organisiert die Partei ihre Suche nach einem Nachfolger von Frau Nahles als Castingshow. Getreu dem richtigen Gedanken, dass diese Funktion formal jeder Mann und jede Frau ausfüllen kann, solange dort nur noch Machtlosigkeit zu finden ist. So gibt es theoretisch im Präsidium der SPD viel zu besprechen. Das wird allerdings nicht geschehen. Dort ist man weiterhin mit der Suche nach der verloren gegangenen Macht beschäftigt. In der Benediktinerabtei Maria Laach war sie auch nicht mehr zu finden. Dort referierte dafür Bambi über ihre Erfahrungen in der Politik.

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