Andrea Nahles und die Wahlniederlage der SPD - Nach ihr die Sintflut

Die SPD erlitt in Bremen und in Europa die bittersten Niederlagen ihrer Geschichte. Nun stellt Parteichefin Andrea Nahles die Machtfrage viel früher als geplant. Offenbar will sie so Zeit gewinnen. Warum lassen die Genossen sie gewähren?

Gerät zunehmend unter Druck, aber denkt nicht an einen Abgang: Noch-Parteichefin Andrea Nahles / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es ist ein absurdes Szenario. Da erlebt die SPD gerade die bitterste Niederlage ihrer Geschichte. Der historische Tiefstand bei der Europawahl mit 15,8 Prozent. Der Verlust einer ihrer letzten Hochburgen Bremen an die CDU. Doch was macht die Frau, der viele Genossen diese historische Klatsche anlasten?

Sie spielt auf Zeit. Sie versucht, zu retten, was kaum noch zu retten ist. Geht es ihr noch um die Partei? Oder nur die eigene Haut? „Was nun, Frau Nahles?“, fragten ZDF-Chefredakteur Peter Frey und seine Stellvertreterin, Bettina Schausten einen Tag nach dem Absturz. Eine Antwort kam schnell, es war die Nachricht des Abends- Die Partei wird ihre für September geplante Wahl der Fraktionsvorsitzenden vorziehen. Schon nächste Woche werde sie sich ihren partei-internen Kritikern stellen, kündigte Nahles an. Es gehe darum, strategiefähig zu werden, um in der GroKo mehr Profil zu zeigen. Zu der steht sie, aber nicht um jeden Preis. Wenn man zusammen keine gute Politik mehr machen könne, könne das Bündnis nicht weiter bestehen. Themen wie die Grundrente und der Klimaschutz müssten jetzt zügig angegangen werden. Doch wer von der Parteichefin Einsicht oder gar Selbstkritik erwartet hatte, wartete vergeblich.

Am Tropf der GroKO

Dabei liegt die SPD auf der Intensivstation. Ein Blick auf die Monitore reicht, und alle sehen, wie es um sie steht. Es geht offenbar zu Ende mit der SPD. Sie hängt am Tropf einer Groko, die nur nur noch von der Angst vor dem Machtverlust  zusammengehalten wird. Vielleicht bleiben ihr noch einige Wochen, vielleicht auch nur einige Monate. Doch die Frau, die erst vor einem Jahr angetreten ist, um die Partei rundherum zu erneuern, blendet das einfach aus. Da sitzt sie wie immer auf Krawall gebürstet, blauer Anzug, grün-blau-gestreiftes Top, und geht zur Tagesordnung über. Business as usual.

Natürlich tue ihr das Ergebnis weh, räumt Andrea Nahles, mit Blick auf den überragenden Erfolg der Grünen ein, die die SPD bei der EU-Wahl als zweitstärkste Kraft abgelöst haben. Aber die Niederlage sei doch „das Ergebnis von 15 Jahren, nicht von zwölf Monaten.“ Ob sie insgeheim mal an Rücktritt gedacht habe, will Peter Frey wissen. Doch es scheint, als dringe seine Frage nicht mehr zu ihr durch. „Die Konsequenz, die ich daraus ziehe, ist, dass ich die Partei auch mit meinen Stellvertretern in einer schwierigen Phase führen möchte“. Ein personeller Wechsel? Davon habe es in der Vergangenheit schon genug gegeben, sagt sie. „Und, hätten die irgendetwas genützt?“  

Wären Neuwahlen nicht der bessere Weg?

Keine Frage: Die Frau ist sich ihrer Sache sehr sicher. Dabei dreht sich längst das Personalkarussell in der SPD. Martin Schulz, Stephan Weil, Achim Post, das sind Namen von Genossen, die schon vor der EU-Wahl als potenzielle Nachfolger genannt wurden. Aber was wäre gewonnen, wenn die SPD einfach ihre Führung austauschen würde, sich aber in der Groko weiterhin mit ihren Vorschlägen für eine Reform des Sozialstaates durchwurschteln würde? Wären dann nicht Neuwahlen der bessere Weg?

Nach dem SPD-Debakel in Bremen und im EU-Parlament ist der Druck auf Nahles gestiegen. Genossen aus dem mitgliederstärksten SPD-Land Nordrhein-Westfalen haben die SPD-Chefin angezählt. Zwar hieß es, jetzt gelte es, Ruhe zu bewahren. Aber ein „Weiter so“ sei keine Option. 

Bremsklotz: Landtagswahlen im Osten

Es mutet absurd an, aber das Timing für die vorgezogenen Wahlen zum Fraktionsvorsitz kommen ihr entgegen. Im Herbst stehen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bevor. Auch im Osten sieht es für die Partei nicht gut aus. Warum sollten sich ihre Nachfolger also jetzt in Stellung bringen? Wäre es strategisch nicht sinnvoller, die Wahlen abzuwarten? Im Fall eines erneuten Debakels könnte man ihr dann die Schuld zuschieben.

Das ist ihr letzter Strohhalm, daran klammert sich Andrea Nahles fest. So, wie es aussieht, wird die Partei mit ihrer Abwahl noch bis Oktober warten. Jeder weitere Monat mit ihr als SPD-Chefin mag ein verlorengegangener Monat für die Rettung der Partei sein. Für Andrea Nahles ist es ein Gewinn. Dass sie kein Teil der Lösung mehr ist, sondern längst Teil des Problems, hat sie verdrängt. Nach ihr die Sintflut.

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